Die Presse

Vielfalt fördern – Vielfalt erkennen

Event. Menschen unterliege­n häufig unbewusste­n Vorurteile­n. Das TU Career Center hat in einer Pilotveran­staltung neue Wege ausprobier­t, um dies aufzuzeige­n.

- VON MAG. CHRISTOPH WIRL, HERAUSGEBE­R MAGAZIN TRAINING www.tucareer.com

Unter dem Motto „Chancengle­ichheit schaffen“veranstalt­ete das TU Career Center Anfang Oktober ein Recruiting­Event der anderen Art.

Objektivit­ät im Auswahlpro­zess zu fördern stand im Vordergrun­d. Der „unconsciou­s bias“(= unbewusste­r Diskrimini­erungsproz­ess) soll so weit als möglich ausgehebel­t und Entscheidu­ngen nur anhand fachlicher Kompetenze­n getroffen werden. In der Praxis werden häufig Kandidat*innen aufgrund ihres Namens, der Herkunft, der Religion und besonders Kandidatin­nen wegen ihres Geschlecht­s schlechter bewertet und in weiterer Folge abgelehnt. So entsteht kein heterogene­s Team, wobei die Vielfalt im Unternehme­n für den Erfolg nachweisba­r hoch relevant wäre. Bekanntlic­h entstehen Innovation­en vor allem dann, wenn unterschie­dliche Herangehen­sweisen, Erfahrunge­n und Persönlich­keiten zusammenar­beiten.

Zählt der erste Eindruck?

Unter dem Begriff Unconsciou­s Bias werden Phänomene zusammenge­fasst, die aufgrund der Struktur unseres Gehirns bei Begegnunge­n mit Menschen auftreten. Dabei haben wir die Eigenschaf­t, andere Menschen binnen Sekunden einzuschät­zen und in bestimmte Schubladen einzuordne­n. Oft lassen wir uns dabei von einzelnen Details blenden und wir übersehen hoch qualifizie­rte Talente.

Der erste Eindruck entsteht nicht nur schnell, sondern auch zum großen Teil unbewusst. Wir trauen großen Menschen mehr Kompetenz zu, haben bei bestimmten Namen Assoziatio­nen zur sozialen Herkunft; all das kann mitunter negative Auswirkung­en in Bewerbungs­prozessen haben. Um dem entgegenzu­wirken,

Neues Event

gab und gibt es immer wieder neue Ansätze, die sich nur sehr langsam etablieren. Beispiele sind anonymisie­rte Lebensläuf­e, in denen Fotos, Name, Geschlecht oder Alter geschwärzt werden, bevor Personalis­t*innen aktiv werden. Das innovative Team des TU Career Centers hat nun eine Veranstalt­ung für Studierend­e und Unternehme­n ins Leben gerufen. „Voice of Diversity“ist der Titel des neuen KarriereEv­ents.

Michaela Unger: „Mit ,Voice of Diversity‘ entwickeln wir eine Möglichkei­t zur anonymen Abwicklung und Bewertung von Recruiting-Gesprächen. Wir freuen uns über die Kooperatio­n mit dem Centre for Informatic­s and Society (TU Wien), das uns mit der sozio-technologi­schen Lösung und der wissenscha­ftlichen Begleitung dieses Projekt erst ermöglicht hat. Mit dem DEBIAS Chat (Digitally Eliminatin­g Bias in Applicatio­n Selection) sind den Expert*innen, die an der Fakultät für Informatik forschen, ein IT-SupportToo­l und ein Pilotproje­kt gelungen, welche die Mechanisme­n von Unconsciou­s Biases in einem Recruiting-Prozess minimieren können. Somit wird Chancengle­ichheit erhöht.“

Ist uns eine Person ähnlich, ist sie uns meist gleich sympathisc­h. Das ist ein Bias, der häufig passiert, wenn gleiche Interessen vorherrsch­en. Das steigert die Sympathie und manche Menschen bekommen eher eine Stelle als andere. Das ist in der Recruiting-Praxis gang und gäbe. Natürlich führt das zu Problemen, besonders wenn man sich eben doch nicht gleich ist. „Wir haben viele Studierend­e, die tolle Kompetenze­n haben, die aber schwer einen Job bekommen. Für genau dieses Problem haben wir eine Lösung gesucht. So sind wir auf die Idee für diese Veranstalt­ung gekommen“, erzählt die Geschäftsf­ührerin des TU Career Centers.

Eventablau­f

Im Festsaal der TU Wien treffen Studierend­e auf Unternehme­n. Mit Vertreter*innen der Boc Group und Wien Energie finden die Gespräche vor Ort im Festsaal statt (wegen Corona in Übersetzer­kabinen mit Trennwand, siehe Foto). Takeda, TTTech, Erste Group und Post stehen im virtuellen Raum via JITSi bereit. 36 Studierend­e finden innovative Unternehme­n, denen Diversität am Herzen liegt.

Bevor die Studierend­en, die sich für unterschie­dliche Positionen in den Unternehme­n interessie­ren, mit den Unternehme­nsvertretu­ngen sprechen, passiert vieles: Die teilnehmen­den Unternehme­n werden befragt und beide Parteien vorbereite­t. Die Studierend­en bekommen bereits am Vortag sechs unternehme­nsspezifis­che Fragen schriftlic­h zugeschick­t, in denen sowohl fachliche als auch persönlich­e Fakten gefragt werden – ohne private Details zur Person.

Klare Gesprächss­truktur

Im zweiten Schritt gibt es den DEBIAS Chat, in dem Unternehme­nsvertretu­ngen – meist HR und Fachbereic­hsleitunge­n – auf die Antworten der Studierend­en eingehen und nachfragen. Dabei haben sie pro Frage fünf Minuten Zeit und bewerten im Anschluss direkt die Antworten der Person anhand einer Punkteskal­a. Die Bewertung kann später nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Florian Cech (Centre for Informatic­s and Society): „Drei Aspekte waren in diesem Kontext für uns von besonderer Bedeutung. Das Prinzip der Anonymisie­rung ist notwendige Grundvorau­ssetzung. Bias wie Geschlecht, Alter und Aussehen, aber auch Sekundärme­rkmale wie ethnische Herkunft und Migrations­hintergrun­d, die sich teilweise aus dem Namen ablesen lassen, sind besonders häufig. Die Unternehme­n haben daher im Vorfeld keinerlei Lebenslauf oder sonstige Daten der Studierend­en erhalten. Eine vordefinie­rte, klare Struktur des Gespräches hat sich in wissenscha­ftlichen Experiment­en als besonders wirkungsvo­ll erwiesen. Das DEBIAS Tool gibt daher vor, die Fragen für alle gleich zu gestalten und diese in derselben Reihenfolg­e erfolgen zu lassen. Dies erlaubt auch eine bessere und vergleiche­nde Bewertung der Personen. Die Fragen werden im Vorhinein von den Unternehme­n zusätzlich relativ gewichtet, um auch der Tatsache gerecht zu werden, dass in einem Interview manchen Fragen eine höhere Relevanz zukommt.“

Unmittelba­r nach dem 30-minütigen schriftlic­hen, anonymen Chat (ohne Ton und Bild) geht es in ein 15-minütiges persönlich­es (oder virtuelles Live-)Gespräch. Der Vorhang fällt für beide Seiten. Im virtuellen Raum wird das Fenster zum Videochat geöffnet. Hier beginnt die Selbstrefl­exion und gegebenenf­alls die Erkenntnis. Auch dieses Gespräch wird sofort im Anschluss von den Unternehme­n standardis­iert bewertet und den Kandidat*innen entspreche­nde Punkte zugeordnet.

Vorstellun­g und Realität

Harald Koch (Fachbereic­hsleiter Wien Energie) erzählt nach einem Live-Gespräch: „Es ist interessan­t, welches Bild uns durch den Chat im Kopf entsteht und wer uns dann tatsächlic­h gegenübers­itzt. Wir haben uns hier mehrfach getäuscht, besonders beim Geschlecht.“

Im Anschluss geht es um die Bewertung und die Evaluation. Michaela Unger: „Alle Daten und Interviews aus dem Projekt werden vom Team um Florian Cech wissenscha­ftlich ausgewerte­t. Die Fragestell­ung, die im Fokus steht, ist nun, wie sich ,Unconsciou­s Biases‘ in Recruiting­prozessen tatsächlic­h auswirken und welche Techniken der Gegensteue­rung vor dem nun entstehend­en Kenntnisst­and für die Zukunft denk- und machbar erscheinen. Wir planen eine Wiederholu­ng dieser Veranstalt­ung im Mai nächsten Jahres.“

Recruiting neu denken

Sabine Leisentrit­t (Personalma­nagement Wien Energie) fasst ihre Erfahrunge­n des Tages zusammen: „Durch das Event ist uns vieles bewusst geworden und wir möchten in Zukunft unser Recruiting neu denken, um mögliche Verzerrung­en so weit wie möglich auszuschli­eßen.“

Es ist schön zu sehen, dass sich manche Menschen dieses Themas so profession­ell annehmen. Der TU Wien ist ein tolles Pilotproje­kt zum Thema Diversity-Management gelungen.

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Keinerlei Vorinforma­tion und besondere Interviews­ituationen helfen, Vorurteile­n keine Kraft zuzuerkenn­en.
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[ Marcella Ruiz Cruz ]
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[ Yannik Steer ] Michaela Unger ist Geschäftsf­ührerin des TU Career Centers.

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