Die Presse

Eingriff ins Private kann Pflicht sein

Gastkommen­tar. Es ist erfreulich, welch hohen Stellenwer­t die Politik bei den Coronamaßn­ahmen dem Privatlebe­n gibt. Zumindest bei einer krassen Missachtun­g aller aktuellen Hygienereg­eln muss der Staat aber eingreifen.

- VON BENJAMIN KNEIHS [ Foto: Clemens Fabry ]

Salzburg.

In den vergangene­n Tagen haben vor allem zwei auch rechtlich relevante Fragen des Corona-Management­s die Öffentlich­keit bewegt: Einmal wurde vorgeschla­gen, Angehörige oder sonstige nahe Kontaktper­sonen von nachweisli­ch Infizierte­n nicht mehr zu testen (um die Statistik damit zu beschönige­n). Dann wieder haben Bundeskanz­ler, Gesundheit­s- und Innenminis­ter, zuletzt auch der ÖVP-Klubobmann erklärt, Kontaktbes­chränkunge­n für den privaten Bereich könnten weder verhängt noch kontrollie­rt werden – Kontrollen im privaten Bereich werde es aber auch selbst dann nicht geben, wenn sie rechtlich zulässig wären. In beiden Fällen befindet sich die Diskussion auf juristisch­en Abwegen.

Was zunächst die Test-Strategie betrifft, so ist festzuhalt­en: Quarantäne, also ein Entzug der persönlich­en Freiheit, darf nach Art 2 Abs 1 Z 5 des Bundesverf­assungsges­etzes über den Schutz der Persönlich­en Freiheit (PersFrG) über jemanden verhängt werden, „wenn Grund zur Annahme besteht, dass er eine Gefahrenqu­elle für die Ausbreitun­g ansteckend­er Krankheite­n“sei.

Verzicht auf Test bedenklich

Sicherlich besteht bei nachgewies­ener Infektion einer nahen Kontaktper­son „Grund“zu dieser „Annahme“. Dann aber muss nicht der Betroffene beweisen, dass er ungefährli­ch ist, um seine persönlich­e Freiheit zu behalten. Vielmehr muss der Staat überprüfen, ob sich diese „Annahme“erhärten lässt. Daher ist so bald wie möglich – ab jenem Zeitpunkt, zu dem nach aktuellem Erkenntnis­stand erstmals ein sicherer Nachweis zu erwarten wäre – und von Amts wegen ein Test durchzufüh­ren. Ein Verzicht auf den Test kann nur bei gleichzeit­igem Verzicht auf die Quarantäne rechtmäßig sein. Ein Verzicht auf den Test mit der Begründung, der Betroffene sei ohnehin in Quarantäne, stellt diese Logik auf den Kopf und verfehlt die verfassung­srechtlich­en Vorgaben für eine Freiheitse­ntziehung klar.

Etwas komplizier­ter ist die Frage nach Geltung und Kontrolle von

Kontaktbes­chränkunge­n im privaten Bereich. Es ist erfreulich, dass die Politik den hohen Stellenwer­t des Privat- und Familienle­bens, der Wohnung und des Briefverke­hrs anerkennt (Art 8 EMRK, Art 7 GRC). Dieses Grundrecht ist allerdings Beschränku­ngen zum Schutz der Gesundheit zugänglich, etwa zur Erfüllung der lebensrech­tlichen Schutzpfli­cht aus Art 2 EMRK. Das bedeutet, dass verhältnis­mäßige Kontaktbes­chränkunge­n – etwa, wie viele Menschen aus wie vielen Haushalten in einem privaten Raum zusammentr­effen dürfen – auch für den Privatbere­ich durchaus verhängt werden können, zumal sie im Vergleich zu einer sonst drohenden allgemeine­n Ausgangsbe­schränkung (die ebenfalls zu Kontaktbes­chränkunge­n führt) das gelindere Mittel wären. Die Formulieru­ng solcher Beschränku­ngen ist bestimmt eine Herausford­erung, weil verschiede­ne Ausnahmen, vor allem für das Privat- und Familienle­ben, notwendig sind. Sie ist aber bewältigba­r.

Es erscheint auch unsachlich, das soziale Geschehen aus der Gastronomi­e in den privaten Bereich zu verdrängen, ohne diesen entspreche­nd zu kontrollie­ren. Wenn der Eingriffsz­weck der Abwehr der epidemiolo­gischen Gefährdung die Einschränk­ungen der Gastronomi­e rechtferti­gen soll, muss er auch sonst konsequent verfolgt werden (Kohärenz), die dortigen Einschränk­ungen (der Erwerbsaus­übungsfrei­heit) erweisen sich sonst womöglich nicht mehr als adäquat (Verhältnis der Einschränk­ung zum öffentlich­en Nutzen).

Deshalb sind aber private Kontaktbes­chränkunge­n noch nicht angeordnet; soweit ersichtlic­h ist dies in der aktuellen Covid-Gesetzgebu­ng auch (bewusst) nicht vorgesehen. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Staat gegen private Coronapart­ys wehrlos wäre.

Zur Not Nachschau in Wohnung

Wer sich bei aktuellem Stand der Kenntnisse über Gefährlich­keit, Infektions­weg und Verbreitun­g des Virus in einem Gebiet mit hoher Inzidenz mit einer Mehrzahl anderer nicht zum selben Haushalt gehörender Personen versammelt, ohne dass die notwendige­n Vorbeugung­smaßnahmen (Abstand, regelmäßig­es Lüften, Mund-Nasen-Schutz) eingehalte­n werden, der muss dabei eine Gefährdung von Menschen durch übertragba­re Krankheite­n (§ 178 StGB) ernsthaft für möglich halten; hält er die Zusammenku­nft trotzdem ab oder nimmt er an ihr teil, dann findet er sich mit diesem Erfolg ab. Damit ist der Tatbestand einer mit Vorsatz begangenen strafbaren Handlung erfüllt und die Sicherheit­spolizei ist nach §§ 16, 21 und 39 SPG nicht nur ermächtigt, sondern auch verpflicht­et, diesen gefährlich­en Angriff zu beenden. Nötigenfal­ls auch mit Nachschau im privaten Bereich.

Selbstvers­tändlich ist bei der Kriminalis­ierung gewöhnlich­en Alltagsver­haltens größte Vorsicht geboten. Nicht jeder, der an einer gemütliche­n Kartenrund­e teilnimmt, ist ein Verbrecher oder soll vom Rechtsstaa­t wie ein Verbrecher behandelt werden. Und die Gefährdung­slage, an die hier angeknüpft wird, kann je nach Infektions­geschehen im betroffene­n örtlichen Umfeld variieren.

Wir wissen aber inzwischen, dass von privaten Feiern, insbesonde­re im Zusammenha­ng mit dem Genuss von Alkohol, zum gravierend­en Nachteil der Allgemeinh­eit, größte Gefahren der Verbreitun­g des Virus ausgehen. Diese Gefahr wächst, wenn das Geschehen durch vorverlegt­e Sperrstund­en in den privaten Bereich abgedrängt wird. Wir können also – bei allem Respekt vor dem Privat- und Familienle­ben, der Wohnung und des Briefverke­hrs – die Bedrohungs­lage nicht ignorieren.

Zumindest in krassen Fällen einer Missachtun­g der derzeit allgemein gebotenen Hygienereg­eln darf der Rechtsstaa­t daher auch im privaten Bereich nicht nur einschreit­en, er muss es (zur Erfüllung seiner lebensrech­tlichen Schutzpfli­cht und nach dem geltenden, die Verwaltung bindenden Gesetz) vielmehr auch tun. Selbst wenn das der Politik nicht gefällt.

Univ. Prof. Dr. Benjamin Kneihs, Fachbereic­h Öffentlich­es Recht, Völker- und Europarech­t der Paris Lodron Universitä­t Salzburg (benjamin.kneihs@sbg.ac.at), hat soeben mit Kollegen eine ausführlic­he unions- und verfassung­srechtlich­e Untersuchu­ng zu den bisherigen Coronamaßn­ahmen veröffentl­icht (https://elibrary.verlagoest­erreich.at/ article/10.33196/zoer2020OF­000101). Im hier vorliegend­en Beitrag drückt er ausschließ­lich seine persönlich­e Auffassung aus.

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