Eingriff ins Private kann Pflicht sein
Gastkommentar. Es ist erfreulich, welch hohen Stellenwert die Politik bei den Coronamaßnahmen dem Privatleben gibt. Zumindest bei einer krassen Missachtung aller aktuellen Hygieneregeln muss der Staat aber eingreifen.
Salzburg.
In den vergangenen Tagen haben vor allem zwei auch rechtlich relevante Fragen des Corona-Managements die Öffentlichkeit bewegt: Einmal wurde vorgeschlagen, Angehörige oder sonstige nahe Kontaktpersonen von nachweislich Infizierten nicht mehr zu testen (um die Statistik damit zu beschönigen). Dann wieder haben Bundeskanzler, Gesundheits- und Innenminister, zuletzt auch der ÖVP-Klubobmann erklärt, Kontaktbeschränkungen für den privaten Bereich könnten weder verhängt noch kontrolliert werden – Kontrollen im privaten Bereich werde es aber auch selbst dann nicht geben, wenn sie rechtlich zulässig wären. In beiden Fällen befindet sich die Diskussion auf juristischen Abwegen.
Was zunächst die Test-Strategie betrifft, so ist festzuhalten: Quarantäne, also ein Entzug der persönlichen Freiheit, darf nach Art 2 Abs 1 Z 5 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der Persönlichen Freiheit (PersFrG) über jemanden verhängt werden, „wenn Grund zur Annahme besteht, dass er eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten“sei.
Verzicht auf Test bedenklich
Sicherlich besteht bei nachgewiesener Infektion einer nahen Kontaktperson „Grund“zu dieser „Annahme“. Dann aber muss nicht der Betroffene beweisen, dass er ungefährlich ist, um seine persönliche Freiheit zu behalten. Vielmehr muss der Staat überprüfen, ob sich diese „Annahme“erhärten lässt. Daher ist so bald wie möglich – ab jenem Zeitpunkt, zu dem nach aktuellem Erkenntnisstand erstmals ein sicherer Nachweis zu erwarten wäre – und von Amts wegen ein Test durchzuführen. Ein Verzicht auf den Test kann nur bei gleichzeitigem Verzicht auf die Quarantäne rechtmäßig sein. Ein Verzicht auf den Test mit der Begründung, der Betroffene sei ohnehin in Quarantäne, stellt diese Logik auf den Kopf und verfehlt die verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine Freiheitsentziehung klar.
Etwas komplizierter ist die Frage nach Geltung und Kontrolle von
Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich. Es ist erfreulich, dass die Politik den hohen Stellenwert des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs anerkennt (Art 8 EMRK, Art 7 GRC). Dieses Grundrecht ist allerdings Beschränkungen zum Schutz der Gesundheit zugänglich, etwa zur Erfüllung der lebensrechtlichen Schutzpflicht aus Art 2 EMRK. Das bedeutet, dass verhältnismäßige Kontaktbeschränkungen – etwa, wie viele Menschen aus wie vielen Haushalten in einem privaten Raum zusammentreffen dürfen – auch für den Privatbereich durchaus verhängt werden können, zumal sie im Vergleich zu einer sonst drohenden allgemeinen Ausgangsbeschränkung (die ebenfalls zu Kontaktbeschränkungen führt) das gelindere Mittel wären. Die Formulierung solcher Beschränkungen ist bestimmt eine Herausforderung, weil verschiedene Ausnahmen, vor allem für das Privat- und Familienleben, notwendig sind. Sie ist aber bewältigbar.
Es erscheint auch unsachlich, das soziale Geschehen aus der Gastronomie in den privaten Bereich zu verdrängen, ohne diesen entsprechend zu kontrollieren. Wenn der Eingriffszweck der Abwehr der epidemiologischen Gefährdung die Einschränkungen der Gastronomie rechtfertigen soll, muss er auch sonst konsequent verfolgt werden (Kohärenz), die dortigen Einschränkungen (der Erwerbsausübungsfreiheit) erweisen sich sonst womöglich nicht mehr als adäquat (Verhältnis der Einschränkung zum öffentlichen Nutzen).
Deshalb sind aber private Kontaktbeschränkungen noch nicht angeordnet; soweit ersichtlich ist dies in der aktuellen Covid-Gesetzgebung auch (bewusst) nicht vorgesehen. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Staat gegen private Coronapartys wehrlos wäre.
Zur Not Nachschau in Wohnung
Wer sich bei aktuellem Stand der Kenntnisse über Gefährlichkeit, Infektionsweg und Verbreitung des Virus in einem Gebiet mit hoher Inzidenz mit einer Mehrzahl anderer nicht zum selben Haushalt gehörender Personen versammelt, ohne dass die notwendigen Vorbeugungsmaßnahmen (Abstand, regelmäßiges Lüften, Mund-Nasen-Schutz) eingehalten werden, der muss dabei eine Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten (§ 178 StGB) ernsthaft für möglich halten; hält er die Zusammenkunft trotzdem ab oder nimmt er an ihr teil, dann findet er sich mit diesem Erfolg ab. Damit ist der Tatbestand einer mit Vorsatz begangenen strafbaren Handlung erfüllt und die Sicherheitspolizei ist nach §§ 16, 21 und 39 SPG nicht nur ermächtigt, sondern auch verpflichtet, diesen gefährlichen Angriff zu beenden. Nötigenfalls auch mit Nachschau im privaten Bereich.
Selbstverständlich ist bei der Kriminalisierung gewöhnlichen Alltagsverhaltens größte Vorsicht geboten. Nicht jeder, der an einer gemütlichen Kartenrunde teilnimmt, ist ein Verbrecher oder soll vom Rechtsstaat wie ein Verbrecher behandelt werden. Und die Gefährdungslage, an die hier angeknüpft wird, kann je nach Infektionsgeschehen im betroffenen örtlichen Umfeld variieren.
Wir wissen aber inzwischen, dass von privaten Feiern, insbesondere im Zusammenhang mit dem Genuss von Alkohol, zum gravierenden Nachteil der Allgemeinheit, größte Gefahren der Verbreitung des Virus ausgehen. Diese Gefahr wächst, wenn das Geschehen durch vorverlegte Sperrstunden in den privaten Bereich abgedrängt wird. Wir können also – bei allem Respekt vor dem Privat- und Familienleben, der Wohnung und des Briefverkehrs – die Bedrohungslage nicht ignorieren.
Zumindest in krassen Fällen einer Missachtung der derzeit allgemein gebotenen Hygieneregeln darf der Rechtsstaat daher auch im privaten Bereich nicht nur einschreiten, er muss es (zur Erfüllung seiner lebensrechtlichen Schutzpflicht und nach dem geltenden, die Verwaltung bindenden Gesetz) vielmehr auch tun. Selbst wenn das der Politik nicht gefällt.
Univ. Prof. Dr. Benjamin Kneihs, Fachbereich Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht der Paris Lodron Universität Salzburg (benjamin.kneihs@sbg.ac.at), hat soeben mit Kollegen eine ausführliche unions- und verfassungsrechtliche Untersuchung zu den bisherigen Coronamaßnahmen veröffentlicht (https://elibrary.verlagoesterreich.at/ article/10.33196/zoer2020OF000101). Im hier vorliegenden Beitrag drückt er ausschließlich seine persönliche Auffassung aus.