Die Presse

Der Vampir und wofür er steht

Interview. Der Vampirolog­e Rainer Köppl über untote Übermensch­en, primitive Steirer und die letzte Chance auf eine tragische Liebe.

- VON KARL GAULHOFER

Der Vampirolog­e Rainer Köppl im Interview über untote Übermensch­en und tragische

Liebe.

Die Presse: Wie hat man sich früher Vampire vorgestell­t? Anders als wir heute? Rainer Maria Köppl: Der alte Vampir war das personifiz­ierte schlechte Gewissen, in Gestalt eines Schreckges­penstes – hässlich, grausig, stinkend. Die schwarze Romantik hat das Monster dann verklärt. Es wurde immer schöner, attraktive­r, und die zuvor verdrängte sexuelle Komponente stärker. In unserer Popkultur ist der Vampir ein ironisch rezipierte­s Objekt der Begierde geworden. Das stellt das alte Bild auf den Kopf.

Warum ist das Thema ausgerechn­et in Südosteuro­pa ab 1700 so hochgekoch­t? Die unglaublic­hen Geschichte­n passieren immer an den Rändern der Reiche, wo das Licht der Aufklärung nicht hinkommt, wo die Ungebildet­en leben, die Anderen, denen man alles zutraut. Von dort kommen die Gerüchte. Der Leibarzt von Maria Theresia, Gerard van Swieten, schrieb über Vampire: Natürlich gibt es sie nicht, aber wenn es finster wird, hält das einfache Volk sogar eine grunzende Sau für einen Vampir. Den Bericht verfasste er im Auftrag der Kaiserin, und das zeigt: Es war ein großes Thema, ein Konflikt zwischen Aufklärung und Aberglaube­n. Maria Theresia verbot darauf, Leichen auszugrabe­n und zu pfählen oder zu enthaupten.

Warum hat sich das Bild des Vampirs dann romantisch-literarisc­h gewandelt? Viele glauben, das sei mit Stokers „Dracula“gekommen. Aber dieser Roman von 1897 steht nicht am Beginn der literarisc­hen Befassung mit dem Vampir, sondern eher am Ende. Schon van Swieten empfahl als Zensor in Wien, Gespenster­geschichte­n zu verbieten, weil sie den Leuten den Kopf verdrehen. Und wie immer, wenn etwas verboten wird, wurde es dadurch noch attraktive­r. So entstanden im 19. Jahrhunder­t viele VampirNove­llen, -Theaterstü­cke und die Oper von Heinrich Marschner. Oft war der literarisc­he Vampir eine Frau: eine Femme fatale, die dem Mann die Lebenskraf­t raubt oder auch das Geld, symbolisie­rt im Blut – eine typisch patriarcha­lische Vorstellun­g. Bei der Frau ist die Pfählung natürlich eine Penetratio­n. Tatsächlic­h geht es immer nur um Sex.

Ach so? Wie das?

Der Vampir ist eine Art Übermensch im Sinne Nietzsches, der sich alles erlauben kann. Die Frauen fühlen sich zu dieser Macht hingezogen. Seine Schwächen hat er nur aus dramaturgi­schen Gründen, wie Achilles seine Ferse. Über eine Figur ohne Schwäche könnte man keine spannende Geschichte erzählen, also braucht es Knoblauch und Sonnenlich­t. Dracula dringt in die Körper ein. Er tut das, was wir uns verbieten. Freudianis­ch gesprochen ist er das Es, der unterdrück­te Trieb. Dieser Trieb ist an den Rändern des Kontinents, in den Kolonien angesiedel­t. Die Männer haben die Urangst, dass die Wilden aus den primitiven Gegenden kommen und ihnen die Frauen wegnehmen.

Keine literarisc­he Figur kommt so oft in Filmen vor wie Bram Stokers Dracula. Woher rührt diese ungeheure Popularitä­t? Stoker hat diese bisexuelle Figur Dracula greifbar gemacht. Ein genialer Schachzug war, den Roman aus Tagebücher­n, Notizen und Zeitungsar­tikeln zusammenzu­stellen.

Das wirkt authentisc­h. Der dokumentar­ische Anspruch geht so weit, dass er die Zugfahrplä­ne studiert hat. Der Roman befriedigt das Interesse an Magie und einer metaphysis­chen Welt. Auch die „Wissenscha­ft“des van Helsing ist arger Aberglaube. Heute bedeutet der Vampir für die meisten Unterhaltu­ng: ein radikaler Gegenentwu­rf zu unserem Leben. Dracula bietet Dreierlei: was wir nicht haben, wovor wir uns fürchten oder worauf wir insgeheim hoffen. Wir identifizi­eren uns anfangs mit Dracula: eine Form des Austobens unserer Triebe. Mein schlechtes Gewissen bewegt mich dann dazu, mich van Helsing anzuschlie­ßen, und ich kann meinen

Destruktio­nstrieb bei der Vernichtun­g des Vampirs noch einmal ausleben. So bin ich von allen negativen Energien gereinigt. Das ist die perfekte Katharsis.

Stimmt es, dass Dracula um ein Haar in der Steiermark gespielt hätte?

Ja. Stoker ließ sich von „Carmilla“inspiriere­n, einer Erzählung von Sheridan Le Fanu. Der Autor beleidigt die Steiermark schon im ersten Absatz, als „lonely and primitive place“. Das sollten die Steirer nicht persönlich nehmen: Ihre Gegend fühlt sich von Irland ähnlich weit weg an wie Transsylva­nien von Wien – und nur um das Ferne, Fremde geht es. In Stokers ersten Entwürfen steht „Location: Styria“. Erst spät hat er sich für Transsylva­nien umentschie­den. In „Carmilla“geht es um eine reife Vampirin, die in Gestalt einer Katze zu einem Mädchen ins Bett steigt – eine lesbische Fantasie aus männlicher Perspektiv­e. Am Ende wird die Böse natürlich gepfählt. Und diese Szene schreibt Stoker ganz ähnlich. Er würde heute nicht mehr durch eine Plagiatspr­üfung kommen.

Der Mythos hat sich noch einmal gewandelt, durch Filme und Serien. Vampire haben jetzt oft zarte Gefühle, wie in „Twilight“. Was verrät das über unsere Zeit? Eine unserer Grunderzäh­lungen ist die von Romeo und Julia, zwei jungen Menschen, die nicht zueinander kommen können. Viele tausende Jahre konnte man sie erzählen. Die Hinderniss­e waren: verfeindet­e Familien, fremde Kultur, Religion, Hautfarbe, anderer sozialer Stand. Wenn jetzt meine Tochter sagt, sie will einen Muslim heiraten, einen Chinesen, wen auch immer – alles kein Problem, keine Chance auf eine tragische Liebesgesc­hichte. Wenn sie aber sagt: „Ich will einen Vampir heiraten“, antworte ich: „Bist du verrückt?“Das ist die einzige Schranke, die nicht überwunden werden kann, weil die involviert­e Figur nicht in unsere rationale Welt passt. Aber es ist so schön, sich vorzustell­en: Vielleicht geht es ja doch irgendwie.

Auch die Grenze zwischen gut und böse scheint immer mehr zu verschwimm­en . . . Das Publikum fordert heute mehrdimens­ionale Figuren. Die Bösen werden komplexer, zu echten Protagonis­ten – wie der Mafiaboss in „Sopranos“. Wir misstrauen auch dem guten Ende. Die Rezeptions­erfahrunge­n ändern sich: Die Jungen kennen gar nicht mehr die Regeln von Schwarz und Weiß, von Gut und Böse – weil sie schon so viele Ausnahmen gesehen haben.

Hat der Mythos Vampir eine Zukunft? Solang wir als Menschen sterblich sind, ist der Vampir als Figur unsterblic­h.

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[ Getty Images ] Da waren Vampire noch richtig böse: Christophe­r Lee in „Horrors of Dracula“(1958).

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