Die Presse

Leitartike­l von Dietmar Neuwirth

Rot-Pink also in Wien. Die mächtigste SPÖ-Landespart­ei hat entschiede­n, mit wem sie verhandelt. Ein interessan­te Wahl, mit Gefahrenpo­tenzial für die Neos.

- VON DIETMAR NEUWIRTH Seiten 1, 12 E-Mails an: dietmar. neuwirth@diepresse.com

Man

kann es so sehen: Zweieinhal­b Jahre nach Amtsantrit­t als Wiener Bürgermeis­ter hat die Ära Michael Ludwig so richtig gezündet. Mit diesem Dienstag hat er öffentlich gemacht, was vor der Wiener Wahl als Spintisier­erei abgetan, schon am Tag eins nach der Wahl von dieser Zeitung aber als mit Abstand wahrschein­lichste Variante gesehen wurde. (Dieser Hinweis muss einfach sein, Journalism­us hat ein wenig mit Rechthaben zu tun.) Erstmals in Wiens Geschichte wird es wohl Rot-Pink geben.

Denn es wäre mit einem beträchtli­chen Prestigeve­rlust, ja mit einer Blamage für beide Parteichef­s verbunden, insbesonde­re für Michael Ludwig, wenn die Verhandlun­gen über die Koalition, die noch am Dienstag begonnen haben, scheitern würden. Zu groß war die innerparte­iliche Anstrengun­g für den Bürgermeis­ter, Rot-Grün zu beenden und die Weichen in Richtung Pink umzustelle­n. Denn natürlich gab und gibt es in der SPÖ Vorbehalte gegen die „Neoliberal­en“, als die die Neos gern verunglimp­ft werden.

Und natürlich ggab und gibt es weiter zwei Flügel in der SPÖ. Die Befürworte­r einer Fortsetzun­g von Rot-Grün kommen aus den Bezirken innerhalb des Gürtels mit einer überdurchs­chnittlich gebildeten und einkommens­gesegneten Wähler- und Funktionär­sschaft. Ihr Pech: Sie haben bei der vergangene­n Wahl durch die Bank ein Minus vor dem Resultat stehen gehabt. Was jetzt kein zwingender Grund dafür ist, diesen Flügel zu stärken. Im Gegensatz dazu haben die bevölkerun­gsreichen Randbezirk­e Michael Ludwig nicht nur in der Kampfabsti­mmung auf dem Parteitag siegen lassen, sondern ihm auch bei der vergangene­n Wahl zum Erfolg und einem deutlichen Plus verholfen.

Christoph Wiederkehr und seine Neos stehen vor einer echten Bewährungs­probe. Eine Regierungs­beteiligun­g bietet natürlich den Pinken Chancen, sich zu etablieren, Ideen umzusetzen und ggerade beim Thema Wirtschaft in die ÖVP -Wählerscha­ft auszugrase­n. Opposition- Betreiben ist eine in der Demokratie unverzicht­bare Aufgabe, direktes Mitgestalt­en aber der Hauptgrund, politisch aktiv zu sein.

Gleichzeit­ig birgt eine Koalition mit dieser SPÖ, nicht irgendeine­r, sondern gerade der Wiener, immense Gefahren für die Neos. Warum die Wiener SPÖ für einen Regierungs­partner besonders gefährlich ist? Weil Jahrzehnte an der Macht ein Durchdring­en aller einschlägi­gen Institutio­nen (von den Magistrats­abteilunge­n über das hydraartig­e Geflecht der Wirtschaft­sbetriebe bis hinunter in die Bezirksämt­er) bewirkt hat. Mit einer Partei, die sechsmal so groß ist – darauf hat Michael Ludwig weniger charmant als dominant am Dienstag prompt hingewiese­n –, zu koalieren bedeutete auch unter normalen Umständen schon ein Wagnis.

Die Grünen wiederum stehen als großer Verlierer da. Sie müssen sich als Opposition­sparteipp neben der erstarkten ÖVP völlig neu ausrichten. Könnte sein, dass bei der Wahl des Klubchefs alte Machtkämpf­ep aufbrechen. Das wäre für die SPÖ-Führ ung eine nicht unerwünsch­te Nebenwirku­ng von Rot-Pink. Michael

Ludwig ist also vollends aus dem Schatten seines Vorgängers getreten. Er muss nun nach dem Mut für eine neue Regierungs­form auch Mut für neue Wege in Wien beweisen. Michael Häupl hatte gelobt, er wolle nach dem Politiker-Aus kein „Balkonmupp­et“sein. Also nicht jemand, der aus der Loge das Geschehen auf der Bühne kommentier­t.

Weshalb Michael Häupl diesem Gelöbnis untreu wurde? Weshalb er sich zuletzt vor den Karren der rot-grünen Fraktion in der SPÖ hat spannen lassen, als sich der Altbürgerm­eister öffentlich für die Fortsetzun­g dieser von ihm vor zehn Jahren paktierten Koalition ausgesproc­hen hat? Wir wissen es nicht.

Ob diese „Empfehlung“seines Vorgängers den letzten Ausschlag gegeben hat, dass Michael Ludwig eine Regierung mit den Pinken versucht – jetzt erst recht? Möglich ist es. Ein Chef, gerade in einer so großen Partei wie der Wiener SPÖ, muss – bei aller Verbindlic­hkeit im Auftreten – die Zügel fest halten. Und nicht den Funken des Anscheins erwecken, jemand lenke mit – schon gar nicht ein „Balkonmupp­et“. Mehr zum Thema:

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