Lehrer-Mord spaltet Schulpolitik
Debatte. Während die einen ein „linkes Schweigen“kritisieren, rufen Integrations- und Innenministerium zur Taskforce gegen tschetschenische Gewalt: Wie der Fall Paty hierzulande aufregt.
Wien. Während der türkische Präsident öffentlich gegen jenen Frankreichs agitiert und Länder des mittleren Ostens inzwischen aufrufen, französische Produkte zu boykottieren, wird die politische Spannweite jenes Vorfalls, der am 16. Oktober ganz Europa erschütterte, langsam auch in der heimischen Innenpolitik sichtbar: die Enthauptung von Samuel Paty, einem 47-jährigen französischen Lehrer im Pariser Vorort ConflansSainte-Honorine.
Die Bundesregierung verteidigt dieser Tage Emmanuel Macrons Kritik am politischen Islam, die den Zorn des türkischen Präsidenten nach sich zog. Gleichzeitig wird die Kritik am Umgang der Öffentlichkeit mit dem Vorfall lauter: Als „gespenstisch still“empfand etwa die Journalistin Andrea Schurian die Lage in ihrem Gastkommentar in der „Presse“, da es – anders als etwa in Deutschland – hierzulande keine „Betroffenheitsprosa“oder „Unterschriftenlisten“gegen den radikalen Islam gebe, weil man sich (bzw. die Linke) fürchte, unter „rassistischen Generalverdacht“gestellt zu werden.
Auch die durch ihr Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“bekannt gewordene Lehrerin Susanne Wiesinger sieht das ähnlich: „In Österreich wird das Thema bewusst ausgespart“. Während deutsche Lehrerverbände vor einem „Klima der Einschüchterung“warnten, habe Österreich „ein Problem“, den Islam „zu kritisieren und infrage zu stellen oder sich darüber lustig zu machen.“Ein Diskurs sei nicht möglich, „der Humor fehlt komplett.“Schuld sei daran der „Maulkorb“von links: „Man muss niemanden herabwürdigen, doch jede Ironie, jede Satire ist immer gleich verachtend oder islamophob“, sagt Wiesinger. In der „Krone“rief sie deshalb zum Herzeigen von Mohammed-Karikaturen im Unterricht auf, um sich dagegen zu wehren.
Als „nicht vergleichbar“erteilt die grüne Bildungssprecherin Sibylle Hamann jenen Stimmen eine Absage, die den Vorfall mit der heimischen Situation in Verbindung bringen. In Paris gebe es „ein extremes Auseinanderfallen der Milieus“, sagt Hamann.
Der Vorwurf, die Politik habe sich zu Patys Ermordung nicht geäußert, ist darüber hinaus ob zahlreicher Aussendungen kaum nachvollziehbar. So forderte etwa ÖVPBildungsminister Heinz Faßmann: „Eine Diskussion über Religion, über Glaubensinhalte und die karikierende Darstellung auch von Mohammed muss erlaubt sein.“
Ebenso reagierten Innenminister Karl Nehammer und Integrationsministerin Susanne Raab (beide ÖVP) in Form einer Taskforce „im Zusammenhang mit extremistischen Tendenzen in der tschetschenischen Szene“gegen „ehrkulturelle Gewalt“. Die Journalistin und ehemalige Lehrerin Melisa Erkurt, die aktuell in ihrem Buch „Generation Haram“die Problematik aus persönlicher Erfahrung schildert, erkennt in der Debatte um Islam und Meinungsfreiheit vor allem Missstände bei der LehrerAusbildung: „Ich glaube, dass sich viele Lehrpersonen das tatsächlich nicht trauen und das im Studium nicht gelernt haben, wie sie damit umgehen sollen“, sagt Erkurt, „ohne dass sie sich unter Generalverdacht gestellt fühlen“.
Der Mythos vom Schweigen
So würden Muslime seit dem 11. September 2001 Kritik oder Satire an ihrem Glauben oftmals emotional als „antimuslimisch“interpretieren, was aber oft nicht so gemeint sei. Auf der anderen Seite kritisiert Erkurt eine problematische Haltung der „Mehrheitsgesellschaft“, die das Wort „anti-muslimischer Rassismus nicht einmal akzeptieren will“.
Hamann fordert deshalb mehr Schulungen, um Pädagogen entsprechende Werkzeuge in die Hand zu geben. Den von Wiesinger aufs Tapet gebrachten „Maulkorb“sieht Erkurt indes nicht: „Wenn etwas in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, dann Islamkritik. Wir diskutieren sehr offen und sehr viel“. Das Schweigen sei „ein Mythos“.
Erkurt plädiert für eine „muslimische Selbstorganisation“sowie die von Raab installierte Dokumentationsstelle für politischen Islam, die auch an Schulen wertvolle Arbeit leisten könnte. Mit dieser hat die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) eine Zusammenarbeit jedoch wegen der befürchteten „Überwachung“der Community als „unzumutbar“abgelehnt.