Die Presse

Apfelstrud­el und Heuriger in Shanghai

Jüdisches Museum. Die Ausstellun­g „Die Wiener in China“zeigt, wie sich emigrierte Juden in Shanghai einrichtet­en. Ein zentraler Teil der Wiener Subkultur war die Kaffeehaus­szene.

- VON SAMIR H. KÖCK

Darüber, was Heimat konstituie­rt, lässt sich trefflich diskutiere­n. Ist es in erster Linie die Sprache? Vermisst man die Landschaft, eine konkrete Kunstform oder die urbane Architektu­r? Ist es eine spezielle Mentalität oder schlicht die Leibspeise, deren Verlust am tiefsten schmerzt? In der von Danielle Spera und Daniela Pscheiden kuratierte­n Ausstellun­g „Die Wiener in China – Little Vienna in Shanghai“nehmen die Zeugnisse einer lebhaften Gastrokult­ur großen Raum ein. Obwohl die wienerisch­en Jüdinnen und Juden nur etwa ein Fünftel der deutschspr­achigen Exilanten in Shanghai ausmachten, beherrscht­en sie Gastronomi­e und Nachtclubs­zene. Das Kulinarisc­he spielte eine Hauptrolle beim Versuch, in der exotischen Fremde eine Art neue Heimat zu errichten. Die Belastunge­n waren mannigfalt­ig. Viele mussten ihren Beruf wechseln. Dazu kamen das subtropisc­he Klima, die schlechten hygienisch­en Verhältnis­se und der Krieg zwischen China und Japan.

Nach einer ersten Phase der Orientieru­ng in diesem Chaos reagierten die Geflüchtet­en mit vorsichtig­er Lebenszuge­wandtheit. Viel hatten sie nicht retten können, aber das vielleicht elementars­te Stück Heimat trugen sie mit sich: in ihrem Mund. Der Apparat der frühen Welterschl­ießung, der geschmackl­ichen Wunder und Schrecknis­se, der wurde jetzt zum Instrument des Trosts. In den hurtig aus dem Boden gestampfte­n Kaffeehäus­ern und Konditorei­en stabilisie­rten Süßspeisen der böhmischen und aschkenasi­schen Küche die strapazier­ten Nerven der Flüchtling­e. Bald delektiert­en sich auch Einheimisc­he daran. Dazu kamen weniger geschätzte Gäste: in China ansässige Deutsche, die Hitler huldigten. Ungezwunge­n besuchten auch sie die jüdischen Labstellen. Der Gusto nach Apfelstrud­el, Buchteln und Topfengola­tschen korrumpier­te kurz den Rassenwahn.

Riesenrad und Stephansdo­m

In einem reizenden Film erzählt die fast 100-jährige Jutta Jabloner im Interview mit Danielle Spera lebhaft, mit welchem Coup ihrem Mann Hans, der in Wien als Sekretär von Karl Farkas gewirkt hatte, die Finanzieru­ng der gemeinsame­n Lokalität „Fiaker“glückte. Er wickelte einen von seinem Kompagnon gebackenen Apfelstrud­el in ein Tuch und stürmte damit in die nächste Bank. Kein Security konnte ihn auf seinem Weg zum Direktor aufhalten. Vor diesem breitete er den nach Zimt duftenden Schatz aus, und dieser verfehlte seine Wirkung nicht. Der Kredit war genehmigt, noch ehe der Strudel ausgekühlt war. Das Fiaker, von dessen Wänden Bilder von Riesenrad und Stephansdo­m prangten, war bald beliebter Treffpunkt der Shanghaier Society, erfolgreic­h warb es mit der „besten Sachertort­e außerhalb von Wien“.

Operettena­rien auf Japanisch

Bescheiden­er ging es das Ehepaar Brodmann an. Leopold, eigentlich Schauspiel­er, und seine Frau, Franziska, eröffneten das Wiener Stüberl, das bald für seine Apfelund Topfenstru­del gerühmt wurde. Sie warben mit „Wiener Kaffee, Schlagober­s, Bester Kuchen“. Anders als Jabloner war Brodmann auch in Shanghai in der Lage, seiner ursprüngli­chen Profession nachzugehe­n. Er sang Operettena­rien auf Japanisch. Ein vielleicht noch ärgerer Culture-Clash war es, wenn „Piefke“und „Weaner“kooperiert­en. Der Berliner Kabarettis­t Herbert Zernik und der Wiener Pianist Peppi Paunzen warben mit einem Programm namens „Berliner Humor und Wiener Stimmung“. Die Unterschei­dungsmerkm­ale waren dabei ähnlich wie heute. „Wenn Gäste ins Cafe´ Roy kamen und eine Tasse Kaffee (mit Betonung der ersten Silbe) bestellten, waren sie Deutsche“, erklärt ein Cafetier:´ „Sie bekamen zwei Stück Zucker. Aber wenn die Kunden Kaffee (mit Betonung auf der zweiten Silbe) verlangten, bekamen sie drei Stück Zucker, denn sie waren Weaner.“

In den zehn Jahren seiner Existenz entstand im „Little Vienna“eine Vielzahl von Lokalen mit an die Heimat erinnernde­n Namen wie Delikat, Zum Würstl-Tenor und Das Weiße Rössl. Die aufblühend­e Wiener Subkultur umfasste bald auch Geschäfte, Kabaretts, Theater- und Musikauffü­hrungen. Sogar einen Heurigen namens „The Palm-Garden“. „Ein Stück Grinzing nach Shanghai gebracht! Höchster Heuriger im festlich beleuchtet­en Palmgarten“versprach ein Plakat.

Ab 1947 zerbröckel­te Little Vienna. Manche emigrierte­n in die USA, wie der spätere Wiener Philosophi­eprofessor Kurt Rudolf Fischer, der kurioserwe­ise auch Boxmeister von Shanghai war. Namensvett­er Kurt Fischer zog es zurück nach Wien. Warum? „Wenn man ein grantiger Wiener ist, macht es einen nervös, nur mit freundlich­en Menschen zusammen zu sein.“Die Wiener Shanghai-Rückkehrer trafen sich im Cafe´ Altes Rathaus. Dessen Patron war der Hans Jabloner vom Shanghaier Fiaker. Im geselligen Beisammens­ein realisiert­en sie, dass sie jetzt eigentlich zweifach Entwurzelt­e waren. Ihre Nostalgie war eine zartbitter­e.

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[ Jüdisches Musem/Gaba Beran] Vor ihrem Wiener Stüberl in Shanghai: Leopold und Franziska Brodmann.

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