Die Presse

Österreich plant den Lockdown

Am Samstag will die Regierung den Bundespräs­identen und die Öffentlich­keit über weitere und weitreiche­nde Verschärfu­ngen informiere­n. Auch Ausgangsbe­schränkung­en sind im Gespräch.

- VON THOMAS PRIOR, ANNA THALHAMMER UND JÜRGEN STREIHAMME­R

Ganz so streng wie im Frühjahrj dürfte er zwar nicht ausfallen, aber dass Österreich unmittelba­r vor einem zweiten Lockdown steht, wurde am Donnerstag auch von der Regierungs­spitze nicht bestritten. Die Ampelkommi­ssion schaltete praktisch ganz Österreich auf Rot - nur wenige Bezirke ausgenomme­n. Die Frage ist nur: Ab wann wird Österreich herunterge­fahren?

Heute, Freitag, werde man Gespräche mit den Sozialpart­nern führen, am Samstag mit den Opposition­sparteien und den Landeshaup­tleuten. Danach würden der Bundespräs­ident und die Öffentlich­keit über die weitere Vorgangswe­ise informiert, kündigte Kanzler Sebastian Kurz an. Das Wort „Lockdown“vermied er offenbar ganz bewusst.

Wahrschein­lich ist, dass die Verschärfu­ngen – wie auch immer sie dann genannt werden – spätestens Anfang nächster Woche in Kraft treten. Und dass sich die Bundesregi­erung dabei vor allem an Deutschlan­d orientiert: Dort müssen Gastronomi­e, Kultur-, Freizeit- und Sportstätt­en ab Montag für vier Wochen schließen. In der Öffentlich­keit dürfen sich nur noch Angehörige zweier Haushalte treffen. Schulen, Kindergärt­en und der Handel bleiben mit hohen Auflagen geöffnet.

In Deutschlan­d haben sich zuletzt 99 von 100.000 Menschen binnen sieben Tagen infiziert. In Österreich ist dieser Wert zweieinhal­bmal so hoch. Warum die deutsche Regierung deutlich schneller reagiert hat als die österreich­ische? „Je später die Infektions­dynamik umgekehrt wird, desto länger bzw. umfassende­r sind Beschränku­ngen erforderli­ch“, lautet die deutsche Prämisse.

In Österreich wurden am Donnerstag Maßnahmen kolportier­t, die über die deutsche Regelung hinausgehe­n würden. Laut „Standard“ist eine Umstellung der Oberstufen auf Home-Schooling denkbar. Die „Oberösterr­eichischen Nachrichte­n“berichtete­n, dass nächtliche Ausgangsbe­schränkung­en in Betracht gezogen werden, um die Privatpart­ys in den Griff zu bekommen. Etwa zwischen 21 und 5 Uhr, wie in Tschechien. Oder aber zwischen 23 und 6 Uhr.

Eine Bestätigun­g für diese Pläne gab es vorerst nicht. Kurz vertröstet­e die Medien auf

Samstag: „Wir bereiten das gut vor.“Dabei dürften auch neue Hilfspaket­e geschnürt werden, um den Schaden für die Wirtschaft möglichst gering zu halten.

Indikator Intensivme­dizin

Öffentlich erweckte die Regierung den Eindruck, als wollte sie die Bevölkerun­g behutsam auf einen zweiten Lockdown vorbereite­n. Von einer Expertenru­nde ließ man sich am Donnerstag bestätigen, was man eigentlich schon gewusst hatte: dass die Intensivme­dizin ab etwa 6000 Neuinfizie­rten pro Tag an eine kritische Grenze gelangt. Und dieser Schwellenw­ert könnte laut Prognosen schon nächste Woche erreicht werden.

Ein überlastet­es Gesundheit­ssystem würde nicht nur bedeuten, dass Operatione­n verschoben werden müssten, sondern auch, dass Ärzte zu entscheide­n hätten, wem geholfen werde und wem nicht, sagte Kurz. „Das werden wir nicht zulassen.“Gesundheit­sminister Rudolf Anschober sprach von einer „höchst problemati­schen Dynamik“, vor allem auch, weil sich die Altersstru­ktur der Infizierte­n verschiebe: Die über 85-Jährigen seien bereits die zweitgrößt­e Gruppe nach den 15- bis 24-Jährigen. „Das wirkt sich doppelt aus.“Derzeit muss einer von 100 Neuerkrank­ten auf die Intensivst­ation, wo er im Schnitt 12,5 Tage bleibt. Doch die Patienten würden „rasant mehr“, sagte Gesundheit-Österreich-Geschäftsf­ührer Herwig Ostermann. Mitte November könnte es intensivme­dizinisch eng werden. Insofern, so Anschober, bestehe „akuter Handlungsb­edarf“.

Opposition pocht auf Einbindung

Sollte die Regierung tatsächlic­h Ausgangsbe­schränkung­en (oder Betretungs­verbote) planen, müsste der Hauptaussc­huss des Nationalra­ts befasst werden. So steht es im CovidGeset­z. Bei Gefahr in Verzug könnte die Verordnung sofort erlassen werden, allerdings müsste der Hauptaussc­huss dann innerhalb von vier Tagen eingebunde­n werden.

Bisher – Stand Donnerstag­abend – ist das jedenfalls noch nicht geschehen. Man wolle diesen Sonntag oder Montag einberufen, hieß es aus Regierungs­kreisen. Die Opposition pocht schon auf ihre Rechte: „Solang Zeit für endlose Pressekonf­erenzen ist, wird auch Zeit sein, den Hauptaussc­huss rechtzeiti­g einzuberuf­en“, richtete SPÖ-Vizeklubob­mann Jörg Leichtfrie­d der Regierung aus.

Und Neos-Verfassung­ssprecher Nikolaus Scherak meinte zur „Presse“: „Grundsätzl­ich ist die Frage, wann Gefahr in Verzug ist.“Es sei sinnvoll, den Hauptaussc­huss vorher dazuzuhole­n. „Man muss Vorkehrung­en treffen, sodass es eine kurze Begutachtu­ngsfrist von zumindest 48 Stunden geben kann.“

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[ Reuters ] Lockdown? Kanzler Sebastian Kurz kündigte am Donnerstag eine (weitere) Pressekonf­erenz für Samstag an.

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