Österreich plant den Lockdown
Am Samstag will die Regierung den Bundespräsidenten und die Öffentlichkeit über weitere und weitreichende Verschärfungen informieren. Auch Ausgangsbeschränkungen sind im Gespräch.
Ganz so streng wie im Frühjahrj dürfte er zwar nicht ausfallen, aber dass Österreich unmittelbar vor einem zweiten Lockdown steht, wurde am Donnerstag auch von der Regierungsspitze nicht bestritten. Die Ampelkommission schaltete praktisch ganz Österreich auf Rot - nur wenige Bezirke ausgenommen. Die Frage ist nur: Ab wann wird Österreich heruntergefahren?
Heute, Freitag, werde man Gespräche mit den Sozialpartnern führen, am Samstag mit den Oppositionsparteien und den Landeshauptleuten. Danach würden der Bundespräsident und die Öffentlichkeit über die weitere Vorgangsweise informiert, kündigte Kanzler Sebastian Kurz an. Das Wort „Lockdown“vermied er offenbar ganz bewusst.
Wahrscheinlich ist, dass die Verschärfungen – wie auch immer sie dann genannt werden – spätestens Anfang nächster Woche in Kraft treten. Und dass sich die Bundesregierung dabei vor allem an Deutschland orientiert: Dort müssen Gastronomie, Kultur-, Freizeit- und Sportstätten ab Montag für vier Wochen schließen. In der Öffentlichkeit dürfen sich nur noch Angehörige zweier Haushalte treffen. Schulen, Kindergärten und der Handel bleiben mit hohen Auflagen geöffnet.
In Deutschland haben sich zuletzt 99 von 100.000 Menschen binnen sieben Tagen infiziert. In Österreich ist dieser Wert zweieinhalbmal so hoch. Warum die deutsche Regierung deutlich schneller reagiert hat als die österreichische? „Je später die Infektionsdynamik umgekehrt wird, desto länger bzw. umfassender sind Beschränkungen erforderlich“, lautet die deutsche Prämisse.
In Österreich wurden am Donnerstag Maßnahmen kolportiert, die über die deutsche Regelung hinausgehen würden. Laut „Standard“ist eine Umstellung der Oberstufen auf Home-Schooling denkbar. Die „Oberösterreichischen Nachrichten“berichteten, dass nächtliche Ausgangsbeschränkungen in Betracht gezogen werden, um die Privatpartys in den Griff zu bekommen. Etwa zwischen 21 und 5 Uhr, wie in Tschechien. Oder aber zwischen 23 und 6 Uhr.
Eine Bestätigung für diese Pläne gab es vorerst nicht. Kurz vertröstete die Medien auf
Samstag: „Wir bereiten das gut vor.“Dabei dürften auch neue Hilfspakete geschnürt werden, um den Schaden für die Wirtschaft möglichst gering zu halten.
Indikator Intensivmedizin
Öffentlich erweckte die Regierung den Eindruck, als wollte sie die Bevölkerung behutsam auf einen zweiten Lockdown vorbereiten. Von einer Expertenrunde ließ man sich am Donnerstag bestätigen, was man eigentlich schon gewusst hatte: dass die Intensivmedizin ab etwa 6000 Neuinfizierten pro Tag an eine kritische Grenze gelangt. Und dieser Schwellenwert könnte laut Prognosen schon nächste Woche erreicht werden.
Ein überlastetes Gesundheitssystem würde nicht nur bedeuten, dass Operationen verschoben werden müssten, sondern auch, dass Ärzte zu entscheiden hätten, wem geholfen werde und wem nicht, sagte Kurz. „Das werden wir nicht zulassen.“Gesundheitsminister Rudolf Anschober sprach von einer „höchst problematischen Dynamik“, vor allem auch, weil sich die Altersstruktur der Infizierten verschiebe: Die über 85-Jährigen seien bereits die zweitgrößte Gruppe nach den 15- bis 24-Jährigen. „Das wirkt sich doppelt aus.“Derzeit muss einer von 100 Neuerkrankten auf die Intensivstation, wo er im Schnitt 12,5 Tage bleibt. Doch die Patienten würden „rasant mehr“, sagte Gesundheit-Österreich-Geschäftsführer Herwig Ostermann. Mitte November könnte es intensivmedizinisch eng werden. Insofern, so Anschober, bestehe „akuter Handlungsbedarf“.
Opposition pocht auf Einbindung
Sollte die Regierung tatsächlich Ausgangsbeschränkungen (oder Betretungsverbote) planen, müsste der Hauptausschuss des Nationalrats befasst werden. So steht es im CovidGesetz. Bei Gefahr in Verzug könnte die Verordnung sofort erlassen werden, allerdings müsste der Hauptausschuss dann innerhalb von vier Tagen eingebunden werden.
Bisher – Stand Donnerstagabend – ist das jedenfalls noch nicht geschehen. Man wolle diesen Sonntag oder Montag einberufen, hieß es aus Regierungskreisen. Die Opposition pocht schon auf ihre Rechte: „Solang Zeit für endlose Pressekonferenzen ist, wird auch Zeit sein, den Hauptausschuss rechtzeitig einzuberufen“, richtete SPÖ-Vizeklubobmann Jörg Leichtfried der Regierung aus.
Und Neos-Verfassungssprecher Nikolaus Scherak meinte zur „Presse“: „Grundsätzlich ist die Frage, wann Gefahr in Verzug ist.“Es sei sinnvoll, den Hauptausschuss vorher dazuzuholen. „Man muss Vorkehrungen treffen, sodass es eine kurze Begutachtungsfrist von zumindest 48 Stunden geben kann.“