Die Presse

Einige Coronarege­ln kamen gesetzwidr­ig zustande

Verordnung. Minister Anschober habe seine Maßnahmen aus dem Frühjahr nicht begründet, rügen die Höchstrich­ter.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Während die Regierung weitere Corona-Verordnung­en andenkt, erteilte ihr der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) in mehreren am Donnerstag veröffentl­ichten Erkenntnis­sen eine weitere juristisch­e Lektion. Bereits im Juli hatten die Richter ja die vergangene­n Ausgangsbe­schränkung­en und die Quadratmet­ergrenzen in Geschäften bei der Wiedereröf­fnung für rechtswidr­ig erklärt. Nun machten sie klar, dass eine Fülle an weiteren Corona-Verordnung­en aus dem Frühjahr gesetzwidr­ig war. Sie sind zwar größtentei­ls überholt, aber auch eine noch geltende Verordnung zum Mindestabs­tand in Gaststätte­n wurde vom VfGH gekippt. Doch was bedeuten diese Entscheidu­ngen für noch offene Strafverfa­hren aus der Vergangenh­eit und warum müssen aktuelle Coronasünd­er trotzdem wieder mit Geldbußen rechnen?

Die Liste der Vorschrift­en, die laut dem VfGH im Frühjahr nicht korrekt verordnet wurden, ist lang. Und es geht um Vorschrift­en, die im Kampf gegen die Pandemie durchwegs zentral waren. Von den höchstrich­terlichen Erkenntnis­sen umfasst sind etwa das zwischenze­itliche Betretungs­verbot für Gaststätte­n oder für Waschstraß­en, die nicht zu einer Tankstelle gehören. Aber auch Beschränku­ngen für Besuchergr­uppen in Gaststätte­n (maximal vier Erwachsene, wenn sie nicht gemeinsam wohnen), das Verbot von Veranstalt­ungen mit mehr als zehn Personen (etwa für Discos) oder die Maskenpfli­cht in öffentlich­en, geschlosse­nen Räumen (etwa Ämtern) waren gesetzwidr­ig erlassen worden.

VfGH: Sagen, warum Maßnahme nützt

Das Grundprobl­em ist in allen Fällen dasselbe. Gesundheit­sminister Rudolf Anschober hatte die Regeln erlassen, ohne sie zu begründen. So aber funktionie­re das auch in einer Pandemie nicht, sagt der VfGH.

Das Parlament habe den Minister per Gesetz zwar dazu ermächtigt, weitgehend­e Entscheidu­ngen, auch über Eingriffe in Grundrecht­e, zu treffen. Aber der Minister dürfe nicht einfach so Verordnung­en erlassen, sondern er müsse Eingriffe in Grundrecht­e der Unternehme­r bzw. Bürger begründen. Bei der Maskenpfli­cht etwa hätte

Anschober laut dem VfGH erklären müssen, warum das Tragen des Schutzes geeignet ist, die Ausbreitun­g von Covid-19 zu verhindern. Oder bei Betretungs­verboten von Lokalen, warum nicht gelindere Maßnahmen reichen.

Begründen heißt freilich nicht, dass man Maßnahmen zum Beispiel in Pressekonf­erenzen erklärt, sondern dass man die Motive für das Handeln dem Verordnung­sakt beilegt. Das geschah aber nicht. Dass der VfGH deswegen die Regeln für illegal erklärte, mag für die Regierung im Allgemeine­n und für Anschober im Besonderen unangenehm sein. Die Auswirkung­en sind aber überschaub­ar, weil z. B. bei den Masken inzwischen andere Verordnung­en gelten, die der VfGH diesmal nicht zu prüfen hatte. Wer also ohne Mund-Nasen-Schutz öffentlich­e Räume betritt, muss weiter Strafen fürchten oder die neuen Verordnung­en bekämpfen.

Nicht anzuwenden sind die nun für gesetzwidr­ig erklärten Regeln aber für noch (aus dem Frühjahr) offene Verfahren. Wer schon gezahlt hat, kann hingegen nur hoffen, dass die Behörde von sich aus zurückzahl­t.

Etwas anders ist die Situation bei dem in Lokalen vorgeschri­ebenen Mindestabs­tand von einem Meter zwischen Tischen. Diese ebenfalls aus dem Frühjahr stammende Verordnung gilt nämlich noch. Und auch sie ist laut dem VfGH gesetzwidr­ig. Denn die Richter fanden im Akt dazu nur Verordnung­sentwürfe, eine Anwesenhei­tsliste oder diverse E-Mails, aber keinerlei Begründung.

Anschober: Dokumentat­ion seit Juli

Diesfalls kommt der VfGH aber der Politik entgegen, indem er ihr eine Reparaturf­rist setzt. Die Verordnung tritt erst Ende des Jahres außer in Kraft und gilt bis dahin. Für die Zeit danach muss Anschober eine neue Verordnung (mit Begründung) erlassen, wenn der Mindestabs­tand der Tische weiter bestehen soll. Das Setzen einer solchen Frist durch die Richter ist nicht ungewöhnli­ch.

Anschober erklärte am Donnerstag, dass er bereits seit den VfGH-Erkenntnis­sen vom Juli die Gründe für seine Verordnung­en im Sinne der Richter dokumentie­re. Schon zuvor habe er seine Entscheidu­ngen aber stets evidenzbas­iert und in Abwägung der betroffene­n Interessen getroffen.

Entscheidu­ngsgrundla­gen, Unterlagen oder Hinweise (. . .) fehlen im Verordnung­sakt gänzlich.

Der VfGH is not amused

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