Einige Coronaregeln kamen gesetzwidrig zustande
Verordnung. Minister Anschober habe seine Maßnahmen aus dem Frühjahr nicht begründet, rügen die Höchstrichter.
Wien. Während die Regierung weitere Corona-Verordnungen andenkt, erteilte ihr der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in mehreren am Donnerstag veröffentlichten Erkenntnissen eine weitere juristische Lektion. Bereits im Juli hatten die Richter ja die vergangenen Ausgangsbeschränkungen und die Quadratmetergrenzen in Geschäften bei der Wiedereröffnung für rechtswidrig erklärt. Nun machten sie klar, dass eine Fülle an weiteren Corona-Verordnungen aus dem Frühjahr gesetzwidrig war. Sie sind zwar größtenteils überholt, aber auch eine noch geltende Verordnung zum Mindestabstand in Gaststätten wurde vom VfGH gekippt. Doch was bedeuten diese Entscheidungen für noch offene Strafverfahren aus der Vergangenheit und warum müssen aktuelle Coronasünder trotzdem wieder mit Geldbußen rechnen?
Die Liste der Vorschriften, die laut dem VfGH im Frühjahr nicht korrekt verordnet wurden, ist lang. Und es geht um Vorschriften, die im Kampf gegen die Pandemie durchwegs zentral waren. Von den höchstrichterlichen Erkenntnissen umfasst sind etwa das zwischenzeitliche Betretungsverbot für Gaststätten oder für Waschstraßen, die nicht zu einer Tankstelle gehören. Aber auch Beschränkungen für Besuchergruppen in Gaststätten (maximal vier Erwachsene, wenn sie nicht gemeinsam wohnen), das Verbot von Veranstaltungen mit mehr als zehn Personen (etwa für Discos) oder die Maskenpflicht in öffentlichen, geschlossenen Räumen (etwa Ämtern) waren gesetzwidrig erlassen worden.
VfGH: Sagen, warum Maßnahme nützt
Das Grundproblem ist in allen Fällen dasselbe. Gesundheitsminister Rudolf Anschober hatte die Regeln erlassen, ohne sie zu begründen. So aber funktioniere das auch in einer Pandemie nicht, sagt der VfGH.
Das Parlament habe den Minister per Gesetz zwar dazu ermächtigt, weitgehende Entscheidungen, auch über Eingriffe in Grundrechte, zu treffen. Aber der Minister dürfe nicht einfach so Verordnungen erlassen, sondern er müsse Eingriffe in Grundrechte der Unternehmer bzw. Bürger begründen. Bei der Maskenpflicht etwa hätte
Anschober laut dem VfGH erklären müssen, warum das Tragen des Schutzes geeignet ist, die Ausbreitung von Covid-19 zu verhindern. Oder bei Betretungsverboten von Lokalen, warum nicht gelindere Maßnahmen reichen.
Begründen heißt freilich nicht, dass man Maßnahmen zum Beispiel in Pressekonferenzen erklärt, sondern dass man die Motive für das Handeln dem Verordnungsakt beilegt. Das geschah aber nicht. Dass der VfGH deswegen die Regeln für illegal erklärte, mag für die Regierung im Allgemeinen und für Anschober im Besonderen unangenehm sein. Die Auswirkungen sind aber überschaubar, weil z. B. bei den Masken inzwischen andere Verordnungen gelten, die der VfGH diesmal nicht zu prüfen hatte. Wer also ohne Mund-Nasen-Schutz öffentliche Räume betritt, muss weiter Strafen fürchten oder die neuen Verordnungen bekämpfen.
Nicht anzuwenden sind die nun für gesetzwidrig erklärten Regeln aber für noch (aus dem Frühjahr) offene Verfahren. Wer schon gezahlt hat, kann hingegen nur hoffen, dass die Behörde von sich aus zurückzahlt.
Etwas anders ist die Situation bei dem in Lokalen vorgeschriebenen Mindestabstand von einem Meter zwischen Tischen. Diese ebenfalls aus dem Frühjahr stammende Verordnung gilt nämlich noch. Und auch sie ist laut dem VfGH gesetzwidrig. Denn die Richter fanden im Akt dazu nur Verordnungsentwürfe, eine Anwesenheitsliste oder diverse E-Mails, aber keinerlei Begründung.
Anschober: Dokumentation seit Juli
Diesfalls kommt der VfGH aber der Politik entgegen, indem er ihr eine Reparaturfrist setzt. Die Verordnung tritt erst Ende des Jahres außer in Kraft und gilt bis dahin. Für die Zeit danach muss Anschober eine neue Verordnung (mit Begründung) erlassen, wenn der Mindestabstand der Tische weiter bestehen soll. Das Setzen einer solchen Frist durch die Richter ist nicht ungewöhnlich.
Anschober erklärte am Donnerstag, dass er bereits seit den VfGH-Erkenntnissen vom Juli die Gründe für seine Verordnungen im Sinne der Richter dokumentiere. Schon zuvor habe er seine Entscheidungen aber stets evidenzbasiert und in Abwägung der betroffenen Interessen getroffen.
Entscheidungsgrundlagen, Unterlagen oder Hinweise (. . .) fehlen im Verordnungsakt gänzlich.
Der VfGH is not amused