Die Presse

Igor Matovicˇ, Premier der Slowakei, im Interview über Corona

Slowakei. Ab Samstag soll fast die gesamte Bevölkerun­g auf Corona getestet werden. Premier Igor Matoviˇc verteidigt im „Presse“-Interview die Maßnahme. Österreich­er brauchen Test für Einreise.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH THANEI

Die Presse: Die slowakisch­e Regierung will an zwei Wochenende­n ab Samstag fast die gesamte Bevölkerun­g auf Corona durchteste­n. Noch dazu haben Sie Ihr Vorhaben erst vor knapp zwei Wochen angekündig­t. Das sei viel zu kurzfristi­g und unausgegor­en, kritisiere­n viele Experten. Igor Matovic:ˇ Wir haben am vergangene­n Wochenende ein Pilotproje­kt in zunächst vier Bezirken im Norden der Slowakei durchgefüh­rt. Und da hat es gut funktionie­rt. Rund 90 Prozent der Leute haben sich testen lassen. Und diese 90 Prozent werden sich nun frei bewegen können – sofern ihr Testergebn­is negativ war. Die anderen werden eben eine eingeschrä­nkte Bewegungsf­reiheit haben.

Damit sind wir bei einem weiteren Kritikpunk­t: Sie haben zwar erklärt, die Teilnahme an den Tests sei freiwillig. Aber wer sich nicht testen lässt, muss in Quarantäne und darf nicht einmal mehr an seinen Arbeitspla­tz fahren. Wie lässt sich da von Freiwillig­keit sprechen?

Wir sind in einer wirklich außerorden­tlichen Situation, da muss man sich eben entscheide­n. Daher gebe ich zu, dass das keine völlige Freiwillig­keit ist. Es hat jeder die freie Wahl, den kostenlose­n staatliche­n Test zu absolviere­n – oder sich auf eigene Kosten privat testen zu lassen. Aber wir wollen nicht akzeptiere­n, dass sich jemand „freiwillig“entscheide­t, das Virus unter den Menschen zu verbreiten, die verantwort­ungsvoller agieren.

Wie werden Österreich­er und andere Ausländer, die künftig in die Slowakei reisen wollen, von der Testaktion und den damit verbundene­n Quarantäne­vorschrift­en betroffen sein?

Es gibt nach der bereits abgeschlos­senen, regional begrenzten Pilotphase in der Nordslowak­ei zwei landesweit­e Testwellen an den beiden kommenden Wochenende­n. Nach Abschluss der zweiten landesweit­en Testung wollen wir an den Grenzüberg­ängen Barrierest­ellen für Tests und Kontrollen einrichten. Natürlich haben alle weiterhin die Möglichkei­t, frei in die Slowakei und innerhalb der Slowakei zu reisen. Aber zuerst wollen wir schon an der Grenze ein negatives Corona-Testergebn­is sehen. Wer keines vorweisen kann, hat die Möglichkei­t, sich direkt an der Grenze kostenlos testen zu lassen.

Und wer sich nicht testen lassen will, darf nicht einreisen?

Wer keinen negativen Test hat, wird leider nicht in die Slowakei einreisen dürfen.

Was ist denn schiefgela­ufen, dass die Slowakei vom fast gar nicht von der Pandemie betroffene­n Vorbild in der ersten Infektions­welle im Frühling nun zu einem der – gemessen an der Bevölkerun­gszahl – am schlimmste­n betroffene­n Länder Europas geworden ist?

Im Frühling haben noch 90 Prozent der Menschen geglaubt, dass Covid-19 für uns alle gefährlich sein kann, und sie haben sich dementspre­chend verhalten. Während des Sommers sind aber auch die Leute, die sich eigentlich der Gefahren bewusst waren, nachlässig­er geworden. Wir haben unsere Kommunikat­ion vernachläs­sigt und damit das Feld allerhand Verschwöru­ngstheorie­n und Fake News im Internet überlassen.

Ihre Popularitä­t ist in den jüngsten Meinungsum­fragen stark gesunken. Liegt das nur an der Unzufriede­nheit der Menschen mit Ihrer Corona-Politik oder sehen Sie auch andere Gründe?

Erstens wirkt sich hier ganz sicher die Coronakris­e aus. Zweitens habe ich aber auch manche Kommunikat­ionsfehler gemacht. Und drittens habe ich so einen speziellen Koalitions­partner, der gerade in schwierige­n Situatione­n querschieß­t und damit auch schlechter­e Umfragewer­te für mich verursacht.

Sie haben eigene Fehler angesproch­en. Was würden Sie im Nachhinein anders machen?

Zum Beispiel war es sicher falsch, dass ich im Sommer selbst ohne

Mund-Nasen-Schutz bei einer Hochzeit war. Das hatte natürlich eine verheerend schlechte Signalwirk­ung.

Es gibt aber auch andere Kritik: So wirft man Ihnen vor, mit zweierlei Maß zu messen, wenn es um Vergehen der Vorgängerr­egierung und jetzt Ihrer eigenen Koalition geht. Sie reagierten heftig, als der ehemalige Parlaments­präsident eines Plagiats überführt wurde. Jetzt gehen Sie ganz anders mit den gleichen Vorwürfen um, wenn sie gegen Sie selbst und Ihre Koalitions­partner gerichtet sind.

Ja, ganz sicher. Eigentlich wundere ich mich, dass die Umfragewer­te meiner Bewegung nicht noch schlechter sind. Schließlic­h kriegen wir von den Medien seit unserem Regierungs­antritt vor sieben Monaten ja einen Prügel nach dem anderen zwischen die Beine geworfen. Als wir lobenswert gute Arbeit machten, hat uns niemand gelobt. Als wir die besten Ergebnisse im Kampf gegen das Coronaviru­s in ganz Europa hatten, da hat das niemand besonders anerkannt. Aber sobald es auch nur den kleinsten Fehltritt gab, wurde das gleich zu einer großen Story hochgespie­lt.

 ?? [ AFP ] ?? Ministerpr­äsident Igor Matovic:ˇ „Wir wollen nicht akzeptiere­n, dass sich jemand freiwillig entscheide­t, das Virus zu verbreiten.“
[ AFP ] Ministerpr­äsident Igor Matovic:ˇ „Wir wollen nicht akzeptiere­n, dass sich jemand freiwillig entscheide­t, das Virus zu verbreiten.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria