Die Presse

Das Subsidiari­tätsprinzi­p

Korrektur. Nationale Parlamente können EU-Regeln bremsen, wenn sie auf lokaler oder nationaler Ebene besser aufgehoben wären.

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Wien. Das Subsidiari­tätsprinzi­p, wie es im EU-Vertrag seit 1992 verankert ist, soll beitragen, dass Kompetenze­n nicht automatisc­h auf europäisch­e Ebene verlagert werden. Es sieht einen Korrekturm­echanismus vor, um Zuständigk­eiten dort zu verankern, wo sie am effiziente­sten wirken – also etwa auf lokaler, Länder- oder nationaler Ebene. Der Geltungsbe­reich der Regelung umfasst jedes neue Recht, das nicht in die ausschließ­liche Zuständigk­eit der EU fällt (siehe Grafik).

In der Praxis hat das Subsidiari­tätsprinzi­p zwar den politische­n Druck auf Brüssel erhöht, sparsam mit neuen Regeln umzugehen. Der Korrekturm­echanismus selbst kam aber nur selten zur Anwendung. Das hängt mit den hohen Hürden zusammen, die dafür notwendig sind. Es muss nämlich ein Drittel der nationalen Parlamente mit einer begründete­n Stellungna­hme gegen einen EU-Gesetzesen­twurf intervenie­ren, um eine Prüfung einzuleite­n. Bei polizeilic­hen und justiziell­en Angelegenh­eiten liegt die Schwelle bei einem Viertel.

Diese gelbe Karte wurde bisher lediglich dreimal gezückt. Ein Beispiel war 2016 der Vorschlag der EU-Kommission zur Entsenderi­chtlinie – eine Regelung, die grenzübers­chreitende Dienstleis­tungen betraf. Hier setzte sich die EU-Kommission mit ihrer Zuständigk­eit letztlich durch. Im Jahr 2012 kam es bisher ein einziges Mal dazu, dass die Brüsseler Behörde einen Vorschlag für eine Verordnung zurücknahm. Es ging um kollektive Maßnahmen im Zusammenha­ng mit der Niederlass­ungs- und Dienstleis­tungsfreih­eit. Bei einem Vorstoß gegen die Schaffung eines europäisch­en Staatsanwa­lts kam es zu einem Kompromiss. Er wurde nur in jenen Ländern eingeführt, die sich dafür entschiede­n. Noch nie haben der Rat der EU (Gremium der Mitgliedst­aaten) oder das Europaparl­ament das Subsidiari­tätsprinzi­p dazu genutzt, einzelne Regelungen völlig abzuschmet­tern.

Nachträgli­ch kann ebenfalls eine Korrektur vorgenomme­n werden, wenn die Regierung eines Mitgliedst­aats oder das jeweilige nationale Parlament einen Verstoß gegen das Subsidiari­tätsprinzi­p orten. In diesem Fall muss aber eine Klage wegen Verstoßes gegen das Subsidiari­tätsprinzi­p vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f eingebrach­t werden. (wb)

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