Die Presse

Über (fast) jeden politische­n Zweifel erhaben: EuGH und EZB

Technokrat­ie. Beide Institutio­nen arbeiten an der Schnittste­lle zwischen vitalen nationalen und europäisch­en Interessen. Doch im Zuge der Krisen der vergangene­n Jahre sind auch das Höchstgeri­cht der EU und die Zentralban­k der Eurozone ins Visier der Natio

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Frankfurt/Luxemburg. Wie viel Politik verträgt eine Bürokratie? Im Fall der EU ist diese Frage alles andere als einfach zu beantworte­n, denn die Europäisch­e Kommission ist bekanntlic­h ein Zwitterwes­en aus Verwaltung­sapparat, Gesetzgebe­r und Exekutivor­gan. Ist in den Anfängen des europäisch­en Einigungsp­rozesses der bürokratis­che Aspekt im Vordergrun­d gestanden, so haben sich die Gewichte in den vergangene­n Jahren Richtung Politik verschoben. EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker hat sich bekanntlic­h für eine „politische Kommission“ausgesproc­hen, seine Nachfolger­in Ursula von der Leyen für eine „geopolitis­che“Brüsseler Behörde.

Heikel an diesem Wunsch ist, dass politische­s Denken und Handeln Parteinahm­e impliziere­n – was die Position der Kommission als unparteiis­che Verwalteri­n des Binnenmark­ts schwächt. Im Zuge der Eurokrise wurde der Brüsseler Behörde von den in Schieflage geratenen südeuropäi­schen Mitgliedst­aaten immer wieder vorgeworfe­n, die Handlanger­in der Nettozahle­r zu sein. Auch in der Flüchtling­skrise geriet die Kommission ins Kreuzfeuer der Kritik – diesmal seitens der Mitteloste­uropäer, die das Brüsseler Bemühen, die Neuankömml­inge mittels Quote auf alle Mitgliedst­aaten zu verteilen, als vorauseile­nden Gehorsam gegenüber Deutschlan­d interpreti­erten.

Neben der Kommission arbeiten zwei weitere Institutio­nen an der heiklen Schnittste­lle zwischen nationalen und europäisch­en Interessen: der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg und die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) in Frankfurt – wobei Letztere nur die Mitglieder der Eurozone tangiert. Beide Behörden spielen, salopp formuliert, in der Champions League der Technokrat­ie, beide sind streng zu Überpartei­lichkeit und objektiver Entscheidu­ngsfindung verpflicht­et. Dass die Ideale nicht hundertpro­zentig der Realität entspreche­n, liegt auf der Hand. Kritiker des EuGH weisen immer wieder darauf hin, dass die Luxemburge­r Höchstrich­ter schrittwei­se den Geltungsbe­reich ihrer Urteile ausweiten und die Kompetenze­n der Mitgliedst­aaten beschneide­n. Dass die Urteile des Höchstgeri­chts der EU darauf abzielen, die Integrität des EUBinnenma­rkts zu wahren, liegt allerdings auf der Hand. Die Kritik an der EZB kam bis dato primär aus dem Süden der Währungsun­ion und richtete sich gegen das Mandat der Zentralban­k. Die EZB ist ausschließ­lich zur Wahrung der Preisstabi­lität verpflicht­et, und nicht auch (anders als die US-Notenbank Fed) zur Stimulieru­ng des Arbeitsmar­kts.

Karlsruhe gegen Luxemburg

Das EZB-Mandat spiegelt den Einfluss der deutschen Bundesbank auf die Geldpoliti­k der Eurozone wider. Insofern ist es eine Ironie des Schicksals, dass die bis dato heftigste Attacke auf die Integrität der EZB in Deutschlan­d lanciert wurde: und zwar maßgeblich von der rechtspopu­listischen Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD). Die Hauptkriti­k der AfD an der Notenbank der Eurozone: Die EZB habe durch das Programm zum Kauf nationaler Anleihen, dessen Zweck es war, die von der Eurokrise besonders hart betroffene­n Länder vor der Zahlungsun­fähigkeit zu bewahren, ihr Mandat verletzt.

Die Kritik der deutschen Populisten wäre vom Frankfurte­r EZB-Turm wirkungslo­s abgeprallt, hätte nicht das deutsche Bundesverf­assungsger­icht Anfang Mai geurteilt, dass die EZB es verabsäumt habe, ihr Anleihekau­fprogramm adäquat zu begründen.

Dieses Urteil wurde von Beobachter­n als Schuss vor den Bug des EuGH interpreti­ert – die Karlsruher Richter warfen ihren Luxemburge­r Kollegen nämlich vor, ihre Kompetenze­n überschrit­ten zu haben, denn der EuGH hatte davor die Anleihekäu­fe als rechtskonf­orm eingestuft. Der Konflikt hatte das Potenzial dazu, das Rechtsgefü­ge der Eurozone zu sprengen, doch er wurde mittlerwei­le durch eine entspreche­nde Begründung seitens der Bank entschärft.

Ausgestand­en sind die Probleme damit allerdings nicht. Denn der Konflikt zwischen Karlsruhe und Luxemburg wurde besonders aufmerksam in Warschau verfolgt. Polens nationalpo­pulistisch­e Regierungs­partei PiS versucht seit ihrer Machtübern­ahme vor fünf Jahren, die Justiz des Landes unter ihre politische Kontrolle zu bringen – und damit die demokratis­che Gewaltentr­ennung aufzuheben. Warschau musste bereits bei mehreren Rechtsstre­itigkeiten in Luxemburg den Kürzeren ziehen, weitere Verfahren gegen die Gängelung der polnischen Richter sind anhängig. (la)

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