Die Presse

Heilige Kuh der EU-Mitglieder

Steuerpoli­tik. Warum die nationalen Regierunge­n den Zwang zur Einstimmig­keit in Steuerfrag­en nicht aufgeben wollen.

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Wien. 2011 legte die EU-Kommission einen ersten Vorschlag für eine Steuer auf Finanztran­saktionen vor, die nach dem US-Ökonomen James Tobin benannt wurde. 57 Mrd. Euro sollte sie bringen, so die hoffnungsv­ollen Berechnung­en. Doch die Tobin-Steuer wurde zum Symbol für die schwierige EUSteuerpo­litik. Es folgten jahrelange Diskussion­en ohne Ergebnis, bis Paris schließlic­h seine eigene Version einführte. Derzeit liegt der Vorschlag einer verwässert­en „Tobin light“-Steuer auf dem Tisch, die erwarteten Einnahmen würden drastisch sinken.

Die Steuerpoli­tik ist neben der Außenpolit­ik einer der zwei wichtigste­n EU-Bereiche, in denen einstimmig­e Entscheidu­ngen notwendig sind. Und die Souveränit­ät über Steuerents­cheidungen ist eine heilige Kuh in den Mitgliedst­aaten. Seit einiger Zeit versucht Brüssel dieses Prinzip aufzuweich­en – und scheitert regelmäßig mit solchen Plänen. Wie stark der Widerstand ist, zeigte sich Anfang 2019 bei einer Sitzung der Finanzmini­ster. Als ein Plan für die Aufgabe des Blockadere­chts vorgelegt wurde, waren gleich 18 Staaten gegen eine Reform. Der Grund: In einigen Ländern herrscht die Sorge, noch mehr Einfluss an die großen EUStaaten zu verlieren, andere fürchten um ihre lukrative Position als Steueroase­n.

Neben der Tobin-Steuer versandete noch eine Vielzahl anderer Steuervors­chläge der Kommission wegen des Zwangs zur Einstimmig­keit. Ein Beispiel ist die umstritten­e Digitalste­uer, die die EU gern für Internetri­esen verhängen will. Irland, wo Facebook und auch Apple ihre Europa-Zentralen haben, stellte sich entschiede­n dagegen. Auch andere Steueroase­n wie Luxemburg, Niederland­e, Malta oder Zypern bleiben hart.

Auch der jetzigen Kommission ist die Vetomöglic­hkeit ein Dorn im Auge. Angesichts des durch Brexit und Corona bedingten Geldmangel­s bedarf es neuer Einkünfte. Eine CO2-Grenzsteue­r ist derzeit im Gespräch, ebenso wie eine Quellenste­uer auf Finanzflüs­se in Steueroase­n. Um Vetos zu umgehen, wird jetzt gern der Artikel 116 des EUVertrage­s hervorgekr­amt. Dieser würde es der Kommission ermögliche­n, Ratsbeschl­üsse ohne Vetomöglic­hkeit und mit qualifizie­rter Mehrheit durchzufüh­ren. Bedingung: dass es dem Ziel dient, schwere Verwerfung­en im EU-Binnenmark­t zu beseitigen. (g.b.)

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