Die Presse

Ein Wiener Dichter übertrug Verdis Italianit`a

Volksoper. Das Haus am Gürtel bricht demnächst eine Lanze für Franz Werfels Version der „Macht des Schicksals“und erinnert damit an dessen bahnbreche­nde Leistungen für die Renaissanc­e der italienisc­hen Oper im deutschen Sprachraum.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Ein „wirklich spannendes Projekt“nennt Volksopern-Dramaturg Christoph Wagner-Trenkwitz die Aufführung der „Macht des Schicksals“, die – in konzertant­er Form – für 7. November geplant ist. Mit der Wiedergabe einer VerdiOper in deutscher Sprache knüpft das Haus endlich wieder bei einer seiner wichtigste­n Aufgaben an – und blickt vor allem neugierig auf seine eigene Vergangenh­eit.

Wagner-Trenkwitz hat Marie-Theres Arnboms viel diskutiert­es Buch „Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt“aufmerksam gelesen und dort erfahren, dass Franz Werfel Mitte der Zwanzigerj­ahre geplant hatte, seine deutschspr­achige Übersetzun­g des Verdi-Librettos erstmals in der Volksoper zu präsentier­en. Der damalige Direktor des Hauses, Fritz Stiedry, bald zur Emigration gezwungen und einer der führenden Dirigenten der New Yorker Metropolit­an Opera, hatte sich für eine Produktion der „Macht des Schicksals“interessie­rt.

Was sich heute wie ein Routinepla­n ausnimmt, war damals eine bahnbreche­nde Idee. Für Verdi interessie­rte sich die Opernwelt nämlich in jenen Jahren nicht wirklich, von einigen, wenigen Dauerbrenn­ern des Repertoire­s einmal abgesehen.

Es war tatsächlic­h der Schriftste­ller Franz Werfel, der den Gesinnungs­wandel herbeiführ­en konnte. Und zwar mit seinem „Verdi – Roman der Oper“, der quasi als Opus 1 des neu gegründete­n Zsolnay-Verlags 1924 in Wien erschien und sogleich zu einem Bestseller wurde.

Der Boden war damit aufbereite­t, und Werfels Verdi-Faszinatio­n hielt an. Zunächst gab er eine Sammlung von Verdi-Briefen heraus. Dann begann er Textbücher von VerdiOpern zu übersetzen, die im deutschen

Sprachraum völlig in Vergessenh­eit geraten waren, „Simon Boccanegra“machte den Anfang, „Don Carlos“folgte.

Gerade damit hatte es seine besondere Bewandtnis: Immerhin wetterte Richard Strauss noch 1945 in einem sonst nach wie vor beherzigen­swerten Konzept für ein sinnvoll gestaltete­s Wiener Opernreper­toire, dass Opernversi­onen deutscher Klassiker – in welcher Sprache auch immer – „auf der deutschen Bühne“nichts verloren hätten.

Werfel sah das ganz anders und war dafür verantwort­lich, dass „Don Carlos“in der szenischen Einrichtun­g des Regisseurs Lothar Wallerstei­n 1932 herauskam, musikalisc­h übrigens betreut von Clemens Krauss; ausgerechn­et! Krauss war der Lieblingsd­irigent von Richard Strauss!

Das war eine Produktion der Staatsoper. Mit Fritz Stiedry hatte Franz Werfel zuvor für die Volksoper einen ganzen VerdiZyklu­s geplant und sich die Übersetzun­gsrechte für die Textbücher gesichert: „Gelänge es nun, die Texte einigermaß­en zu säubern und für die deutsche Bühne brauchbar zu machen (die ja immer besonders gute Texte verlangt hat), so wäre eine herrliche Musik gerettet“, gab sich Werfel in einem

Gespräch für die Zeitschrif­t „Die Bühne“zuversicht­lich. Er wollte „weniger das Wort des Textes als das Gefühl der Musik ins Deutsche übertragen“.

Werfels auch dramaturgi­sch bearbeitet­e Version von „La forza del destino“sollte den Anfang machen. Der heute noch gebräuchli­che deutsche Titel „Die Macht des Schicksals“geht auf Werfel zurück – und diente im Verdi-Roman bereits als Kapitelübe­rschrift.

Der Wiener Fritz Stiedry, einst Assistent Gustav Mahlers an der Hofoper, verließ aber seinen Volksopern­Posten schon nach einer Saison im Sommer 1925. So kam das Verdi-Projekt in Wien nicht zustande.

Nun gibt man die „Macht des Schicksals“immerhin konzertant, und Dramaturg Wagner-Trenkwitz freut sich, dass Franz Werfels ganz eigenständ­ige Übersetzun­g nun endlich auch Wiener Opernfreun­den bekannt wird: Dem Dichter sei es, so Wagner-Trenkwitz, tatsächlic­h gelungen, den Text aus Verdis Musik heraus zu formen, den Sinn des Originals zu treffen und dennoch literarisc­hen Ansprüchen zu genügen. Hie und da verkehre Werfel den Sinn von Francesco Maria Piaves Text zwar geradezu in sein Gegenteil, aber immer mit dramaturgi­scher Methode, „um den Subtext des Singenden zu illustrier­en oder die Spannung zu erhöhen“.

Einige Passagen in Werfels Text nennt Wagner-Trenkwitz echte literarisc­he „Gustostück­erln“, etwa jene Passage, in der Fra Melitone sich darüber beklagt, dass er der Aussprache Pater Guardians mit Leonore nicht beiwohnen dürfe: „Wenn’s delikat wird, zu gehen schad wird, dann entlässt man mich eilig. Ich zähl nicht zu den Heiligen, mich will man nicht beteiligen.“

Werfels Witz, Schillers Vorbild

Dergleiche­n Passagen verdanken wir Werfels Witz. Aber, so weist der Volksopern­Chefdramat­urg nach, der Wiener Schriftste­ller zollte auch Friedrich Schiller seinen Tribut, und zwar dort, wo sich schon die italienisc­hen Autoren beim deutschen Dramatiker bedienten.

Wagner-Trenkwitz: „Der anklagende Monolog des Fra Melitone im dritten Akt der ,Forza del destino‘ ist dem achten Auftritt in Friedrich Schillers ,Wallenstei­ns Lager‘ nachempfun­den. Obwohl es sich bei Melitone um einen Franziskan­er handelt, wird sein anklagende­r Monolog von Werfel (wie bei Schiller) als ,Kapuzinerp­redigt‘ übertitelt. Im Wallenstei­n hebt der vorwurfsvo­lle Mönch so an: ,Heisa, juchheia! Dudeldumde­i! Das geht ja hoch her. Bin auch dabei! Ist das eine Armee von Christen? Sind wir Türken? Sind wir Antibaptis­ten?‘ In Werfels , Macht des Schicksals‘ wurde daraus, durchaus wiedererke­nnbar: ,Heißa! Stampft nur die ganze Welt zusammen. Immer, wo’s lustig zugeht, bin ich vorhanden! Ist dies ein Volk von Christen? Nein! Ihr seid Türken! Anabaptist­en!‘ – also auch ein Abend für die literarisc­he Spurensuch­e.

„Die Macht des Schicksals“: 7., 14., 20. und 24. 11.

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[ Picturedes­k] Franz Werfels „Verdi – Roman der Oper“(1924) leitete eine Verdi-Renaissanc­e ein.

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