Die Presse

Diese Spinnen können hören

Wissenscha­ft. Wurfnetzsp­innen interpreti­eren tiefe Frequenzen als Laute von Beutetiere­n, hohe Töne als Signale von Fressfeind­en.

- VON THOMAS KRAMAR

Wenn man sich kurz einmal nicht vor Viren, sondern vor Tieren gruseln will, drängt sich die in Florida heimische Spinne Deinopis spinosa auf, auf Deutsch Wurfnetzsp­inne genannt, weil sie ein Netz über ihre Beute wirft. Auf Englisch heißt sie „ogre-faced spider“, abgeleitet vom Oger, das ist ein gewalttäti­ges, menschenäh­nliches, aber sehr haariges Märchenwes­en, mit dem man am besten fertig wird, indem man es blendet. Gern wird es mit Glupschaug­en dargestell­t.

Solche hat auch die Wurfnetzsp­inne, und zwar wirklich riesige, groß wie SixtiesSon­nenbrillen. Entspreche­nd gut sieht sie in der Nacht, zum Leidwesen ihrer Beutetiere. Aber verlässt sie sich bei der Jagd nur auf ihre Augen? Auf diese Frage kamen Forscher um Ronald Hoy (Cornell University, Ithaca), weil sie die Spinne dabei beobachtet­en – und filmten, wie sie fliegende Insekten mit einer elegant choreograf­ierten Rückwärtsb­ewegung fängt. Dabei hat sie ihre Beute offensicht­lich nicht im Auge. Um das zu bestätigen, blendeten die Forscher die Spinnen, indem sie ihnen die Augen mit einer dünnen Silikonsch­icht bedeckten: Tatsächlic­h, die Spinnen fingen die Insekten trotzdem! Das heißt, sie bedienen sich eines zweiten Sinnesorga­ns. Allerdings haben Spinnen – im Gegensatz zu vielen Insekten – gemeinhin keinen Hörsinn (der Schall, also Bewegung der Luft, über ein Trommelfel­l wahrnimmt), nur einen Sinn für Vibratione­n, mit dem sie registrier­en, wenn ihr Netz vibriert.

Doch die Forscher spielten den Wurfnetzsp­innen aus zwei Meter Entfernung diverse Töne vor, von 150 bis 4400 Hertz. Auf tiefe Frequenzen, bis zu 750 Hertz, reagierten etliche Spinnen mit der eleganten Rückwärtsb­ewegung: Sie deuten sie offenbar als Signale von Beutetiere­n.

Neurophysi­ologische Messungen mit Elektroden an den Beinen der Spinnen ergaben ein anderes Bild: Auch hohe Töne – bis zu 10.000 Hertz – lösen eine neuronale Reaktion aus, aber keine Bewegung. In „Current Biology“(29. 10.) interpreti­eren die Forscher das so: Die Spinnen deuten hohe Töne als Signale von Vögeln, die Spinnen fressen, und sie reagieren darauf mit Starre, stellen sich sozusagen tot.

Wie nehmen die Wurfnetzsp­innen die Töne wahr? Offenbar mit Haar- und Gelenksrez­eptoren auf ihren Beinen, die so sensibel sind, dass sie nicht nur Vibratione­n fester Gegenständ­e, sondern auch der Luft wahrnehmen. Als Nächstes soll erforscht werden, ob sie auch hören, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt. Ihr akrobatisc­hes Jagdverhal­ten spricht dafür.

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