Der Wiener Sherlock Holmes mit der Melone
ORF. In der Krimireihe „Vienna Blood“ermittelt Juergen Maurer als Kommissar im Wien nach 1900. Ein Gespräch über Kriminologie und Psychoanalyse, kreative Mordfälle, Populismus, die „Vorstadtweiber“und das Burgtheater.
Haarscharf analysiert der angehende Psychiater Max Liebermann den „Herrn Inspektor“– wie Kommissar Oskar Rheinhardt gern angesprochen werden möchte – schon im ersten Teil von „Vienna Blood“: Dieser sei nervös und gierig, endlich einen Erfolg zu verbuchen. Das passt Rheinhardt gar nicht – weil es stimmt. Zähneknirschend nimmt er Liebermann auf Befehl von oben mit bei seinen Ermittlungen . . . Oskar weiß am Anfang überhaupt nicht, was er mit ihm anfangen soll“, sagt Juergen Maurer über seine Figur: „Dann merkt er, dass diese lustigen Zaubertricks einer neuen Wissenschaft, die sich Psychologie nennt, kriminologisch ziemlich effizient einzusetzen sind.“Denn Max ist Anhänger Sigmund Freuds, dessen „Traumdeutung“und „Psychopathologie des Alltagslebens“noch druckfrisch sind und über den sich die eingesessene Ärzteschaft mokiert: „Hier geht’s um Wissenschaft und nicht um Mode.“
Wien, ein „Pulverfass“
„Vienna Blood“führt den Zuschauer in das Wien nach der Jahrhundertwende. „Hier erkennt man den Wert eines Menschen an seinen Titeln“, stellt Max am Anfang fest. Aber das ist nicht das größte Problem. Bald nennt man ihn „Doktor Jud“, und in Teil zwei will eine „Bruderschaft des Urfeuers“für die Säuberung der Stadt von „minderwertigen Rassen“sorgen. Wien sei zur Jahrhundertwende geradezu ein „Pulverfass“gewesen, sagt Maurer: „Es war eine sehr fruchtbare und intensive Zeit mit dem negativen Beigeschmack von Panikmache und Populismus auf Kosten von Sündenböcken. Aber das erleben wir ja jetzt wieder.“Die aktuelle politische Lage bereitet ihm Sorgen. Allen voran in den USA, wo kommende Woche gewählt wird. „Man ist genauso fassungslos wie angesichts von Originaldokumenten von Benito Mussolini und Adolf Hitler: Wie haben die Leute so jemanden wählen können? Wie hat irgendjemand ,Heil Hitler‘ schreien können, so wie der Kasper sich da vorne geriert hat? Und jetzt haben wir genau dasselbe.“
Steve Thompson hat „Vienna Blood“– basierend auf den „Liebermann“-Romanen von Frank Tallis – geschrieben, Robert Dornhelm (Teil 1) und Umut Dag˘ (Teile 2 und 3) führten Regie. Die gesellschaftliche und politische Entwicklung gibt, wenn auch en passant erzählt, den Filmen Atmosphäre. „Liebermann und Oskar wissen nicht, dass ihnen ein paar Jahre später die Welt um die
Ohren fliegen wird.“Sie leben in einer Welt, in der die Society über Klimts Beethovenfries diskutiert, sich noble Herren am Rande des Wienerwalds duellieren und man sich mit Seancen´ die Langeweile vertreibt.
Dass Steve Thompson auch für einige Folgen der BBC-Reihe „Sherlock“mit Benedict Cumberbatch die Bücher geschrieben hat, merkt man. Nur ist diesmal der Doktor der analytische Beobachter, der sein Gegenüber binnen Sekunden einschätzt. Bei den Dreharbeiten fiel Maurer und Matthew Beard (Max) ein anderer Vergleich ein: „Wir sind wie Stan und Ollie, weil Ollie hat ja auch immer die Melone auf.“So wie Oskar. Wie in „Sherlock“sind die Mörder kreativ.
Maurer mag das, weil er „beim Schauen gern mitdenkt“. In „Die letzte Seance“´ wird ein Medium ohne Kugel erschossen. Im zweiten Film („Königin der Nacht“) bekommen es Max und Oskar mit einem Serienmörder zu tun, zu dessen Opfern auch eine Schlange zählt.
Und wie geht’s mit Schorschi weiter?
Juergen Maurer mag den leicht grantelnden Kriminalinspektor. Noch bis Anfang Dezember steht er für drei weitere „Vienna Blood“Filme vor der Kamera. Bereits abgedreht sind seine Szenen für die letzte Staffel der ORF-„Vorstadtweiber“. Er spielt den Schorschi, der bis zum Finale im Frühling 2021 nur noch „am Rande der Geschichte vor sich hin mäandert“. Auch für ihn hegt Maurer Sympathien: „Der Schorschi ist wie ein Donald Duck: Der ist ein bisserl deppert und ein bisserl wehleidig, ein typischer Mann, aber dann ist er eben auch wieder ein Mädchen. Ein vom Pech verfolgter Glücksjäger.“
Im Fernsehen ist Maurer also gut im Geschäft. Auf der Bühne hat man ihn länger nicht gesehen. „Ich spiele derzeit leider nicht Theater. Aber ich würde sehr gern.“Lebensgefährtin Maria Köstlinger spielt oft an der Josefstadt, Maurer schlüpft dann daheim in die Rolle ihrer Partner. „Da mache ich jedes Mal mit ihr den Text durch und denke mir, warum spiele ich das nicht? Aber man will ja nicht futterneidig sein.“Von 1997 bis 2012 war er am Burgtheater engagiert. Würde er unter Martin Kusejˇ gern spielen? „Das wäre eine Frage der Aufgabe, die man überantwortet bekommt. Ich möchte einfach sehr gern auf der Bühne stehen. Es muss ja nicht das Burgtheater sein.“
„vienna Blood“: „Die letzte Seance“´ (Wiederholung: 31. 10.), „Königin der Nacht“(1. 11.), „Der verlorene Sohn“(2. 11.), jeweils um 20.15 Uhr, ORF 2.