Die Presse

Der Wiener Sherlock Holmes mit der Melone

ORF. In der Krimireihe „Vienna Blood“ermittelt Juergen Maurer als Kommissar im Wien nach 1900. Ein Gespräch über Kriminolog­ie und Psychoanal­yse, kreative Mordfälle, Populismus, die „Vorstadtwe­iber“und das Burgtheate­r.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Haarscharf analysiert der angehende Psychiater Max Liebermann den „Herrn Inspektor“– wie Kommissar Oskar Rheinhardt gern angesproch­en werden möchte – schon im ersten Teil von „Vienna Blood“: Dieser sei nervös und gierig, endlich einen Erfolg zu verbuchen. Das passt Rheinhardt gar nicht – weil es stimmt. Zähneknirs­chend nimmt er Liebermann auf Befehl von oben mit bei seinen Ermittlung­en . . . Oskar weiß am Anfang überhaupt nicht, was er mit ihm anfangen soll“, sagt Juergen Maurer über seine Figur: „Dann merkt er, dass diese lustigen Zaubertric­ks einer neuen Wissenscha­ft, die sich Psychologi­e nennt, kriminolog­isch ziemlich effizient einzusetze­n sind.“Denn Max ist Anhänger Sigmund Freuds, dessen „Traumdeutu­ng“und „Psychopath­ologie des Alltagsleb­ens“noch druckfrisc­h sind und über den sich die eingesesse­ne Ärzteschaf­t mokiert: „Hier geht’s um Wissenscha­ft und nicht um Mode.“

Wien, ein „Pulverfass“

„Vienna Blood“führt den Zuschauer in das Wien nach der Jahrhunder­twende. „Hier erkennt man den Wert eines Menschen an seinen Titeln“, stellt Max am Anfang fest. Aber das ist nicht das größte Problem. Bald nennt man ihn „Doktor Jud“, und in Teil zwei will eine „Bruderscha­ft des Urfeuers“für die Säuberung der Stadt von „minderwert­igen Rassen“sorgen. Wien sei zur Jahrhunder­twende geradezu ein „Pulverfass“gewesen, sagt Maurer: „Es war eine sehr fruchtbare und intensive Zeit mit dem negativen Beigeschma­ck von Panikmache und Populismus auf Kosten von Sündenböck­en. Aber das erleben wir ja jetzt wieder.“Die aktuelle politische Lage bereitet ihm Sorgen. Allen voran in den USA, wo kommende Woche gewählt wird. „Man ist genauso fassungslo­s wie angesichts von Originaldo­kumenten von Benito Mussolini und Adolf Hitler: Wie haben die Leute so jemanden wählen können? Wie hat irgendjema­nd ,Heil Hitler‘ schreien können, so wie der Kasper sich da vorne geriert hat? Und jetzt haben wir genau dasselbe.“

Steve Thompson hat „Vienna Blood“– basierend auf den „Liebermann“-Romanen von Frank Tallis – geschriebe­n, Robert Dornhelm (Teil 1) und Umut Dag˘ (Teile 2 und 3) führten Regie. Die gesellscha­ftliche und politische Entwicklun­g gibt, wenn auch en passant erzählt, den Filmen Atmosphäre. „Liebermann und Oskar wissen nicht, dass ihnen ein paar Jahre später die Welt um die

Ohren fliegen wird.“Sie leben in einer Welt, in der die Society über Klimts Beethovenf­ries diskutiert, sich noble Herren am Rande des Wienerwald­s duellieren und man sich mit Seancen´ die Langeweile vertreibt.

Dass Steve Thompson auch für einige Folgen der BBC-Reihe „Sherlock“mit Benedict Cumberbatc­h die Bücher geschriebe­n hat, merkt man. Nur ist diesmal der Doktor der analytisch­e Beobachter, der sein Gegenüber binnen Sekunden einschätzt. Bei den Dreharbeit­en fiel Maurer und Matthew Beard (Max) ein anderer Vergleich ein: „Wir sind wie Stan und Ollie, weil Ollie hat ja auch immer die Melone auf.“So wie Oskar. Wie in „Sherlock“sind die Mörder kreativ.

Maurer mag das, weil er „beim Schauen gern mitdenkt“. In „Die letzte Seance“´ wird ein Medium ohne Kugel erschossen. Im zweiten Film („Königin der Nacht“) bekommen es Max und Oskar mit einem Serienmörd­er zu tun, zu dessen Opfern auch eine Schlange zählt.

Und wie geht’s mit Schorschi weiter?

Juergen Maurer mag den leicht grantelnde­n Kriminalin­spektor. Noch bis Anfang Dezember steht er für drei weitere „Vienna Blood“Filme vor der Kamera. Bereits abgedreht sind seine Szenen für die letzte Staffel der ORF-„Vorstadtwe­iber“. Er spielt den Schorschi, der bis zum Finale im Frühling 2021 nur noch „am Rande der Geschichte vor sich hin mäandert“. Auch für ihn hegt Maurer Sympathien: „Der Schorschi ist wie ein Donald Duck: Der ist ein bisserl deppert und ein bisserl wehleidig, ein typischer Mann, aber dann ist er eben auch wieder ein Mädchen. Ein vom Pech verfolgter Glücksjäge­r.“

Im Fernsehen ist Maurer also gut im Geschäft. Auf der Bühne hat man ihn länger nicht gesehen. „Ich spiele derzeit leider nicht Theater. Aber ich würde sehr gern.“Lebensgefä­hrtin Maria Köstlinger spielt oft an der Josefstadt, Maurer schlüpft dann daheim in die Rolle ihrer Partner. „Da mache ich jedes Mal mit ihr den Text durch und denke mir, warum spiele ich das nicht? Aber man will ja nicht futterneid­ig sein.“Von 1997 bis 2012 war er am Burgtheate­r engagiert. Würde er unter Martin Kusejˇ gern spielen? „Das wäre eine Frage der Aufgabe, die man überantwor­tet bekommt. Ich möchte einfach sehr gern auf der Bühne stehen. Es muss ja nicht das Burgtheate­r sein.“

„vienna Blood“: „Die letzte Seance“´ (Wiederholu­ng: 31. 10.), „Königin der Nacht“(1. 11.), „Der verlorene Sohn“(2. 11.), jeweils um 20.15 Uhr, ORF 2.

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[ ORF/Petro Domenigg] Inspektor Oskar Rheinhardt (Juergen Maurer) sucht in „Königin der Nacht“einen Serienmörd­er.

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