„Winterreise“auf Wienerisch
Musik. Wienerlied-Ikone Roland Neuwirth hatte seine Karriere schon beendet. Zum 70. Geburtstag feiert er nun ein Comeback – und vertont Franz Schubert.
Eigentlich hätte ich mit Lungenkrebs gerechnet, weil ich starker Raucher bin. Dann war es eine seltene Form von Epilepsie, bei der man ein paar Sekunden lang einen Aussetzer hat, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. So kann man keine Musik spielen.“
Beim Lachsfischen in Alaska verspürte Roland Neuwirth erste Symptome, die sich dann in Wien häuften. Nach 42 Jahren Karriere war plötzlich nicht mehr an Konzerte zu denken. „Ich bin in ein Loch gefallen. Von einem Tag auf den anderen überhaupt nicht mehr spielen, das geht einfach nicht. Auf Luft kann ich auch nicht komponieren. Das geht nur, wenn ich weiß, dass ich spiele.“
Ein befreundeter Veranstalter wies Neuwirth den Weg zurück. „Du gehörst auf die Bühne, egal, womit“, lautete dessen Einschätzung. So begann Neuwirths Kooperation mit dem Radio String Quartet. „Sie haben sich Lieder von mir ausgesucht und bearbeitet. Diese Stücke haben so eine neue Dimension gewonnen“, lobt Neuwirth in einem Ton, der Klage und Frohlocken so innig miteinander verbindet, wie es nur in Wien passieren kann.
Feier zum 70er
Und so wird das Radio String Quartet gemeinsam mit Neuwirth dessen 70. Geburtstag am 10. November auf der Bühne des Wiener Konzerthauses zelebrieren. „Schall und Rauch ist das Motto des Abends“, schmunzelt Neuwirth, „davon und von Liebe und Luft ernähre ich mich immer schon.“
Der Jubilar blickt auf ein erfülltes Leben zurück, dessen Verlauf er Mitte der Siebzigerjahre, als er noch als Setzer in einer Partezetteldruckerei wirkte, nicht vorausahnen hätte können. In den Mittagspausen aß er nicht, er spielte Gitarre. Bis zu jenem Tag, als ihm ein Kollege zuraunte, dass er, wenn er so gut spielen könnte, schon längst die Firma verlassen hätte. Das zog Neuwirth dann in Erwägung. Zunächst zögerlich, weil er ja keine Noten lesen konnte.
Hansi Dujmic half ihm weiter. „Wild hat er ausgeschaut. Bloßhappert und mit Haaren bis zum Steiß ist er da auf der Straße gestanden. Ich habe ihn angejammert. Er meinte bloß, das lernst du bei mir. Er konnte alles spielen. Von Blues bis zu Bach. Und er gab mir Stunden. Ich habe mir die Finger blutig gespielt“, erzählt Neuwirth. „Dann ging ich zur Prüfung an die Musikhochschule. 14 Tage später konnte ich meinen Namen nicht auf der schwarzen Tafel finden. ,Ich bin durchgefallen!‘, jammerte ich den Hansi an. Er ganz trocken: ,Du Trottel, es ist genau umgekehrt. Genommen sind die, die nicht oben stehen.‘“
So war es auch. Inspiriert vom Liedermacher Franz Bilek schrieb er erste Lieder der Empörung. Er protestierte gegen das AKW und gegen die damals geplante Schleifung des Wiener Naschmarkts. „Jedes Mal, wenn ich heute über den Markt gehe, denke ich
ZUR PERSON
Roland Neuwirth plant, seinen 70. Geburtstag am 10. November im Wiener Konzerthaus mit dem Radio String Quartet unter dem Motto „Schall und Rauch“zu feiern. Am 12. und 13.12. steht eine „Wiener Winterreise“mit dem Pianisten Florian Krumpöck auf dem Programm des Konzerthauses. Neuwirths Album „Winterreise“(Quinton Records) erscheint am 20. November. (konzerthaus.at) mir, es ist auch mein Verdienst, dass es ihn noch gibt.“
1978 kam sein erstes Album „Zehn Wienerlieder und ein Fußpilz-Blues“bei Preiser heraus. Seither hat er mehr als 400 Lieder und einige Orchesterstücke komponiert. Mit seinem neuesten Opus wird er wieder überraschen. Neuwirth hat Franz Schuberts „Winterreise“auf Wienerisch aufgenommen. „Die Musik ist genial, sie würde allein funktionieren. Die Texte, die Schubert aussuchte, sind romantisch bis biedermeierlich. Vieles habe ich in den Dialekt übertragen, einiges aber auch entkitscht, denn beim Singen darf ich mich nicht genieren.“
Wiener Dialekt als Anliegen
Bei drei, vier Liedern hat er das Thema Emigration eingebracht. „Weil es passt“, erklärt er. „Den ,Leiermann‘ gibt es nicht mehr. Also singe ich ,Drüben in der Köödn steht a Emigrant, der mit seiner Quetschn fremde Liada waant.‘“Eine schöne Zeile. Neuwirth, der seine Klangsprache aus den alten „Weana Tanz“hergeleitet hat, war der Wiener Dialekt immer schon ein Anliegen. Früher trat er gegen das Wenzel-Lüdecke-Deutsch (Filmsynchronisation) an, heute gegen das Internet.
„Stirbt die Sprache aus, stirbt der ganze Geist aus“, warnt Neuwirth. „Viele Junge sind nicht mehr in der Wiener Sprache beheimatet. Die Türken reden oft besser Wiener Dialekt als die Hiesigen. Und sie haben sogar den Schmäh, den Wienerischen, übernommen. Taugen tun mir neue Komposita wie ,Pappnwindel‘ und ,Schachtelwirt‘. Zur Sprache möchte ich Goethes Faust zitieren: ,Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.‘“Alte Meister unter sich.