Die Presse

Die Verstaatli­chung von religiösen Ideologien

Gastkommen­tar. Eine klare Abgrenzung der Religionen von ihren extremen Rändern und Ideologien wäre eine Bringschul­d gegenüber der Gesellscha­ft. Die Republik aber eignet sich die Probleme der Religionen an, ohne sie lösen zu können.

- VON NIKO ALM

Der Mörder von Samuel Paty war Muslim. Dass er bei seiner Tat aus religiösen Motiven handelte, ist kein geeigneter Umstand, um allgemeing­ültige Aussagen über Muslime zu treffen. Es gibt keine homogene muslimisch­e Gemeinscha­ft, die in Gedanken, Worten und Werken in Übereinsti­mmung zu bringen ist – schon gar nicht global.

Genauso wenig ist die Wortschöpf­ung einer „Tschetsche­nenSzene“, wie sie von Integratio­nsminister­in Susanne Raab als lokal adaptierte Reaktion auf den Terrorakt angewendet wurde, als Beschreibu­ng für eine Personengr­uppe tauglich, die vielleicht aus guten Gründen beobachtet werden sollte. Die Neigung zu „ehrkulture­ller Gewalt“oder Terror ergibt sich nicht aus Nationalit­ät oder Ethnie.

Doktrin der Unterwerfu­ng

Generalisi­erende Zuschreibu­ngen führen zu einem unangemess­enen Generalver­dacht und lenken von einem tatsächlic­hen Problem ab: Dass der Mörder von Samuel Paty bei seiner Tat aus religiösen Motiven handelte, ist nämlich durchaus geeignet, Kritik an den ideologisc­hen Grundlagen des Islam und einer Abgrenzung davon zu üben – auch wenn es den Islam als kulturelle­n Monolithen nicht gibt.

Die Doktrin der Religion der Unterwerfu­ng (wörtlich zu lesen) bietet offensicht­lich für viele eine Grundlage, um Gewalt, Mord und Terror in die Tat umzusetzen, obwohl diese Sichtweise von der großen Mehrheit der Muslime nicht geteilt wird.

Religionen sind heterogene Gebilde mit unterschie­dlichen Strömungen und einer diversen Anhängersc­haft. Dieser religionsk­ulturelle Binnenplur­alismus wird von Vertretern der Religionsg­esellschaf­ten, aber auch verständni­svollen Apologeten missbrauch­t, um religiöses Rosinenpic­ken zu betreiben. Der zu Recht artikulier­te Hinweis, dass es keine Einheit der Muslime gibt, wird umstandslo­s genützt, um die Religion selbst in eine sozial erwünschte Version zu verschlank­en und unerwünsch­te Teile des Islam aus der Religion verbal auszuglied­ern.

Wo die Grenze genau verläuft, bleibt dabei unklar. Es wird der unscharfe Begriff des Islamismus bemüht, um die Mitglieder einer fundamenta­listischen und gewalttäti­gen Teilmenge der Religion zu identifizi­eren. Damit ist das Problem zwar sprachlich eingeengt, aber keinesfall­s behoben.

Es gibt keine Definition von Islamismus, die eine treffsiche­re Adressierb­arkeit ermöglicht. Seine Beschreibu­ng als „politische­r Islam“ist unbrauchba­r. Jede organisier­te Religion steht in Wechselwir­kung mit Politik und agiert selbst politisch. Die Tatsache, dass Religionen in verschiede­nen Formen der Partnersch­aft mit Staaten koexistier­en oder eine Einheit bilden, macht sie nicht weniger politisch – im Gegenteil.

Generalver­tretungsan­spruch

Es gibt kaum glaubwürdi­ge Bestrebung­en islamische­r Verbände, eine nach außen nachvollzi­ehbare Grenze zu ziehen, die es ermögliche­n würde, den terroristi­schen Islamismus konkret zu isolieren. Doch diese Bringschul­d hatte sich, um in Österreich zu bleiben, die Islamische Glaubensge­meinschaft in Österreich (IGGÖ) in ihrer mittlerwei­le nicht mehr gültigen Verfassung von 2009 mit einem Generalver­tretungsan­spruch selbst aufgeladen. Im Artikel 1 heißt es: „Der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich gehören alle Muslime/innen (ohne Unterschie­d des Geschlecht­s, der ethnischen Herkunft, der Rechtsschu­le und der Nationalit­ät) an, welche in der Republik Österreich ihren Hauptwohns­itz haben.“

Dazu zählen dann freilich auch die Muslime der Raab’schen „Tschetsche­nen-Szene“, die von den Behörden aufgrund ihrer Religionsk­ultur und nicht wegen ihrer Herkunft als problemati­sch angesehen werden.

Es ist kein Zufall, dass Ministerin Raab die „Szene“ethnisch und nicht religiös rahmt. Dieses selektive Vorschiebe­n individuel­ler Verschiede­nheit, wenn es mit Religion schlecht läuft, entspricht der Erzählung von kollektive­r Gutheit und religiöser Leistungsb­ereitschaf­t für die Gesellscha­ft in der Republik, das natürlich auch bei der katholisch­en Kirche und allen anderen Religionsg­esellschaf­ten zur Anwendung kommt.

Staatsreli­gion als Schutzmant­el

In Österreich gibt es mittlerwei­le 25 sonderrech­tlich bevorzugte Staatsreli­gionen. Die einzige mit einem Vertrag auf Augenhöhe ist der politische Katholizis­mus (bzw. Katholismu­s), der mit dem Heiligen Stuhl als Völkerrech­tssubjekt dazu auch als einzige Religion die Voraussetz­ungen mitbringt.

Der Islam gehört seit 1912 zum Kreis der gesetzlich anerkannte­n Religionen und erneuerte 2015 seinen Pakt mit der Republik. Er musste sich dabei mit einer sehr einseitige­n Vereinbaru­ng, nämlich in Form eines Gesetzes, zufriedeng­eben, mit dem der Versuch unternomme­n wurde, die Religion nach staatliche­n Rahmenbedi­ngungen umzuformen und in einem Gegenüber, der IGGÖ, zu bündeln.

Bezeichnet­e die Ministerin ihre „Tschetsche­nen-Szene“als eine islamische Gruppierun­g und nähme sie die Islamische Glaubensge­meinschaft mit ihrem Generalver­tretungsan­spruch konsequent­erweise mit in die Verantwort­ung, würde das nicht in das hierzuland­e praktizier­te kooperativ­e Modell aus Republik und Religion passen. Es verdeutlic­ht vielmehr sein Scheitern, weil es eben nicht gelingen kann, den Islamismus über die IGGÖ zu zähmen.

Das Dasein als Staatsreli­gion schützt diese außerdem vor gewissen Formen der Kritik, ganz explizit vor der Herabwürdi­gung religiöser Lehren. Diese gesetzlich normierte Verletzlic­hkeit von Mitglieder­n gesetzlich anerkannte­r Religionsg­esellschaf­ten hemmt in der Praxis auch die Kritik an problemati­schen Glaubensgr­undlagen.

Fantasie der Entschärfu­ng

Über diese Privilegie­rung hinaus bietet die Anerkennun­g auch den Vorteil erweiterte­r Immunisier­ung religiöser Ideologien durch die Integratio­n in öffentlich­e Institutio­nen (Universitä­ten, Schulen, ORF, Bundesheer etc.) – einhergehe­nd mit der naiven Fantasie einer vermeintli­chen Entschärfu­ng. Das führt unter anderem zur paradoxen Strategie, islamische­n Religionsu­nterricht in der Schule anzusiedel­n, damit er nicht in den Hinterhöfe­n stattfinde­t.

Auf der einen Seite wird eingeräumt, dass religiöse Indoktrini­erung unerwünsch­t ist – und gleichzeit­ig soll das Problem in der Schule gelöst werden? Dazu wird aber nicht etwa verpflicht­ender Ethikunter­richt für alle eingeführt, sondern die Unterweisu­ng in religiösen Ideologien einfach staatlich legitimier­t. Damit aber eignet sich die Republik die Probleme der Religionen an, ohne sie wirklich lösen zu können.

Die sprachlich­e Verlagerun­g der verursacht­en Schäden in Grenzberei­che der Religionen und das Abschieben der Verantwort­ung in individuel­le Fehlleistu­ngen erzeugen eine fehlgeleit­ete Sensibilit­ät. Diese führt dann zu einer Zurückhalt­ung, die Probleme innerhalb von Religionen zu sehen und ihre ideologisc­hen Grundlagen zu benennen.

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