Die Verstaatlichung von religiösen Ideologien
Gastkommentar. Eine klare Abgrenzung der Religionen von ihren extremen Rändern und Ideologien wäre eine Bringschuld gegenüber der Gesellschaft. Die Republik aber eignet sich die Probleme der Religionen an, ohne sie lösen zu können.
Der Mörder von Samuel Paty war Muslim. Dass er bei seiner Tat aus religiösen Motiven handelte, ist kein geeigneter Umstand, um allgemeingültige Aussagen über Muslime zu treffen. Es gibt keine homogene muslimische Gemeinschaft, die in Gedanken, Worten und Werken in Übereinstimmung zu bringen ist – schon gar nicht global.
Genauso wenig ist die Wortschöpfung einer „TschetschenenSzene“, wie sie von Integrationsministerin Susanne Raab als lokal adaptierte Reaktion auf den Terrorakt angewendet wurde, als Beschreibung für eine Personengruppe tauglich, die vielleicht aus guten Gründen beobachtet werden sollte. Die Neigung zu „ehrkultureller Gewalt“oder Terror ergibt sich nicht aus Nationalität oder Ethnie.
Doktrin der Unterwerfung
Generalisierende Zuschreibungen führen zu einem unangemessenen Generalverdacht und lenken von einem tatsächlichen Problem ab: Dass der Mörder von Samuel Paty bei seiner Tat aus religiösen Motiven handelte, ist nämlich durchaus geeignet, Kritik an den ideologischen Grundlagen des Islam und einer Abgrenzung davon zu üben – auch wenn es den Islam als kulturellen Monolithen nicht gibt.
Die Doktrin der Religion der Unterwerfung (wörtlich zu lesen) bietet offensichtlich für viele eine Grundlage, um Gewalt, Mord und Terror in die Tat umzusetzen, obwohl diese Sichtweise von der großen Mehrheit der Muslime nicht geteilt wird.
Religionen sind heterogene Gebilde mit unterschiedlichen Strömungen und einer diversen Anhängerschaft. Dieser religionskulturelle Binnenpluralismus wird von Vertretern der Religionsgesellschaften, aber auch verständnisvollen Apologeten missbraucht, um religiöses Rosinenpicken zu betreiben. Der zu Recht artikulierte Hinweis, dass es keine Einheit der Muslime gibt, wird umstandslos genützt, um die Religion selbst in eine sozial erwünschte Version zu verschlanken und unerwünschte Teile des Islam aus der Religion verbal auszugliedern.
Wo die Grenze genau verläuft, bleibt dabei unklar. Es wird der unscharfe Begriff des Islamismus bemüht, um die Mitglieder einer fundamentalistischen und gewalttätigen Teilmenge der Religion zu identifizieren. Damit ist das Problem zwar sprachlich eingeengt, aber keinesfalls behoben.
Es gibt keine Definition von Islamismus, die eine treffsichere Adressierbarkeit ermöglicht. Seine Beschreibung als „politischer Islam“ist unbrauchbar. Jede organisierte Religion steht in Wechselwirkung mit Politik und agiert selbst politisch. Die Tatsache, dass Religionen in verschiedenen Formen der Partnerschaft mit Staaten koexistieren oder eine Einheit bilden, macht sie nicht weniger politisch – im Gegenteil.
Generalvertretungsanspruch
Es gibt kaum glaubwürdige Bestrebungen islamischer Verbände, eine nach außen nachvollziehbare Grenze zu ziehen, die es ermöglichen würde, den terroristischen Islamismus konkret zu isolieren. Doch diese Bringschuld hatte sich, um in Österreich zu bleiben, die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) in ihrer mittlerweile nicht mehr gültigen Verfassung von 2009 mit einem Generalvertretungsanspruch selbst aufgeladen. Im Artikel 1 heißt es: „Der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich gehören alle Muslime/innen (ohne Unterschied des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Rechtsschule und der Nationalität) an, welche in der Republik Österreich ihren Hauptwohnsitz haben.“
Dazu zählen dann freilich auch die Muslime der Raab’schen „Tschetschenen-Szene“, die von den Behörden aufgrund ihrer Religionskultur und nicht wegen ihrer Herkunft als problematisch angesehen werden.
Es ist kein Zufall, dass Ministerin Raab die „Szene“ethnisch und nicht religiös rahmt. Dieses selektive Vorschieben individueller Verschiedenheit, wenn es mit Religion schlecht läuft, entspricht der Erzählung von kollektiver Gutheit und religiöser Leistungsbereitschaft für die Gesellschaft in der Republik, das natürlich auch bei der katholischen Kirche und allen anderen Religionsgesellschaften zur Anwendung kommt.
Staatsreligion als Schutzmantel
In Österreich gibt es mittlerweile 25 sonderrechtlich bevorzugte Staatsreligionen. Die einzige mit einem Vertrag auf Augenhöhe ist der politische Katholizismus (bzw. Katholismus), der mit dem Heiligen Stuhl als Völkerrechtssubjekt dazu auch als einzige Religion die Voraussetzungen mitbringt.
Der Islam gehört seit 1912 zum Kreis der gesetzlich anerkannten Religionen und erneuerte 2015 seinen Pakt mit der Republik. Er musste sich dabei mit einer sehr einseitigen Vereinbarung, nämlich in Form eines Gesetzes, zufriedengeben, mit dem der Versuch unternommen wurde, die Religion nach staatlichen Rahmenbedingungen umzuformen und in einem Gegenüber, der IGGÖ, zu bündeln.
Bezeichnete die Ministerin ihre „Tschetschenen-Szene“als eine islamische Gruppierung und nähme sie die Islamische Glaubensgemeinschaft mit ihrem Generalvertretungsanspruch konsequenterweise mit in die Verantwortung, würde das nicht in das hierzulande praktizierte kooperative Modell aus Republik und Religion passen. Es verdeutlicht vielmehr sein Scheitern, weil es eben nicht gelingen kann, den Islamismus über die IGGÖ zu zähmen.
Das Dasein als Staatsreligion schützt diese außerdem vor gewissen Formen der Kritik, ganz explizit vor der Herabwürdigung religiöser Lehren. Diese gesetzlich normierte Verletzlichkeit von Mitgliedern gesetzlich anerkannter Religionsgesellschaften hemmt in der Praxis auch die Kritik an problematischen Glaubensgrundlagen.
Fantasie der Entschärfung
Über diese Privilegierung hinaus bietet die Anerkennung auch den Vorteil erweiterter Immunisierung religiöser Ideologien durch die Integration in öffentliche Institutionen (Universitäten, Schulen, ORF, Bundesheer etc.) – einhergehend mit der naiven Fantasie einer vermeintlichen Entschärfung. Das führt unter anderem zur paradoxen Strategie, islamischen Religionsunterricht in der Schule anzusiedeln, damit er nicht in den Hinterhöfen stattfindet.
Auf der einen Seite wird eingeräumt, dass religiöse Indoktrinierung unerwünscht ist – und gleichzeitig soll das Problem in der Schule gelöst werden? Dazu wird aber nicht etwa verpflichtender Ethikunterricht für alle eingeführt, sondern die Unterweisung in religiösen Ideologien einfach staatlich legitimiert. Damit aber eignet sich die Republik die Probleme der Religionen an, ohne sie wirklich lösen zu können.
Die sprachliche Verlagerung der verursachten Schäden in Grenzbereiche der Religionen und das Abschieben der Verantwortung in individuelle Fehlleistungen erzeugen eine fehlgeleitete Sensibilität. Diese führt dann zu einer Zurückhaltung, die Probleme innerhalb von Religionen zu sehen und ihre ideologischen Grundlagen zu benennen.
E-Mails an: debatte@diepresse.com