Die Presse

Hex sie weg, die toxische Männlichke­it!

Kino. Früher hatten sie Warzen, jetzt tragen sie schicke Abendkleid­er oder verzaubern junge Machos in „woke“Burschen: Zwei aktuelle Kino-Neuverfilm­ungen zeigen, wie sich das Bild der Hexe gewandelt hat. Schade, dass die Filme wenig taugen.

- VON MARKUS KEUSCHNIGG

Zwei neue Filme zeigen, wie sich das Bild der Hexe gewandelt hat.

Warzen im Gesicht und ein Besen zwischen den Beinen: Das ist die Hexe, wie sie im Buche steht und wie man sie heutzutage kaum mehr zu Gesicht bekommt. Antlitz und Agenda der (schwarz-)magischen Kreaturen haben sich diversifiz­iert, von der Kinderfres­serin bis zur naturmysti­schen Urfrau reicht die Bandbreite. Zwei aktuelle Produktion­en demonstrie­ren die Wandelbark­eit der Hexenfigur eindrucksv­oll, auch wenn „Hexen hexen“und „Der Hexenclub“als Filme versagen.

Beide Stoffe sind bereits in den Neunzigerj­ahren für das Kino aufbereite­t worden. Nicolas Roegs Adaption von Roald Dahls „The Witches“brachte vor ziemlich genau drei Jahrzehnte­n eine ganze Kindergene­ration an den Rand des Nervenzusa­mmenbruchs, nicht zuletzt aufgrund der grotesksch­eußlichen Maske und dem lustvollen, herausrage­nden Spiel von Oberhexe Anjelica Huston. In Starregiss­eur Robert Zemeckis („Zurück in die Zukunft“, „Forrest Gump“) aktueller Version von „Hexen hexen“darf nun Anne Hathaway als „Grand High Witch“überlebens­groß auftreten und die Kindervern­ichtung planen, verwechsel­t aber im

Gegensatz zu ihrer Vorgängeri­n Exzentrik mit Overacting, wirkt daher kaum gefährlich, immerzu lächerlich.

Das Drehbuch, an dem auch Guillermo del Toro mitgewirkt hat, verlegt das Geschehen von Südengland ins Alabama der Sechzigerj­ahre: Nach dem Unfalltod der Eltern wächst ein Bub (süß: Jahzir Bruno) bei seiner Großmutter (die Seele des Films: Octavia Spencer) auf, die ihm nicht nur mit viel Wärme und spontanen Tanzeinlag­en bei der Trauerbewä­ltigung hilft, sondern den Knirps auch eindringli­ch vor Hexen warnt.

Aus Kindern werden Mäuse

Dass die Oma und ihr Enkel, die beide wie in der Buchvorlag­e namenlos bleiben, Afroamerik­aner sind, die zwecks mentaler und physischer Genesung in einem Küsten-Resort für weiße Privilegie­rte urlauben, böte theoretisc­h die Möglichkei­t, die schaurige Fantasie mit zeitgeisti­gem Subtext anzureiche­rn. Zemeckis schert aber kaum aus den engen Grenzen des familienfr­eundlichen Unterhaltu­ngskinos aus und hat mehr Freude damit, die computerge­nerierten Mäuse, in die die Kinder verwandelt werden, durchs ausladende Hotel toben zu lassen. Das macht bisweilen Spaß, bleibt aber zahnlos.

Eine ganz andere Hexenvisio­n präsentier­t die Neufassung des 90er-Jahre-Kultfilms „Der Hexenclub“, inszeniert von Schauspiel­erin und Regisseuri­n Zoe Lister-Jones. War das Original ein feministis­ch unterbaute­r Fantasy-Entwicklun­gsroman rund um einen High-School-Hexenzirke­l, der vor allem die moralische­n Dilemmata beim unüberlegt­en Exerzieren von magischer Macht thematisie­rte, zeigt sich die 2020er-Fassung komplett im Einklang mit den Agenden der „Woke“Kultur und ihrer erhöhten (bis überhöhten) Sensibilit­ät für Formen von Diskrimini­erung und gesellscha­ftlicher Ausgrenzun­g.

Nach einem charmanten Beginn, bei dem Mutter und Tochter im Auto einen Alanis-Morissette-Hadern mitsingen und damit unmissvers­tändlich auf die Neunziger verweisen, wird die schüchtern­e Lily (herausrage­nd: Cailee Spaeny) von den dummdreist­en Schulfreun­den ihrer drei jugendlich­en Stiefbrüde­r gemobbt und schließlic­h in den Zirkel eines Teenie-Hexen-Trios aufgenomme­n, das auf Rache sinnt. Es belegt sogleich Chef-Mobber Timmy (Nicholas Galitzine) mit einem Zauber, woraufhin dieser sich in den Idealtypus eines „woken“Burschen verwandelt und auf Partys bevorzugt über den Fluch der Heteronorm­ativität plaudert.

Bis zu diesem Punkt hegt man noch die immer leiser werdende Hoffnung, ListerJone­s’ Drehbuch könne das humoristis­che Potenzial derartiger identitäts­politische­r Gewitter vermittels satirische­r Zuspitzung nutzen, aber stattdesse­n setzt der neue „Hexenclub“(Alternativ­titelvorsc­hlag: „Subtext – Der Film“) auf die Affirmatio­n einer Ideologie, die möglichst ohne Wirklichke­itsabrieb an das Publikum vermittelt werden soll. Nicht einmal die (unfreiwill­ig) nostalgisc­h stimmenden, durch die Bank schlechten Computeref­fekte und die grundlegen­de Geilheit der finalen Konfrontat­ion zwischen dem Zirkel und David Duchovny als schwarzmag­ischem Auswuchs von toxischer Männlichke­it vermögen diesem faden, braven, naiven und komplett überraschu­ngsfreien Film ein wenig Spaß einzuimpfe­n.

Bleibt zu konstatier­en wie zu lamentiere­n, dass die aktuellen filmischen Interpreta­tionsleist­ungen zur Hexenfigur sich zwischen familienfr­eundlichem Fadgas und gut gemeintem, politisch aktivierte­m Message Movie einpendeln und damit insgesamt ungenügend ausfallen. Und dann wünscht man sich eine keifende, bösartige Alte herbei, mit Warzen im Gesicht und Besen zwischen den Beinen.

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 ?? [ Warner Bros.] ?? Anne Hathaway gibt die Oberhexe in Robert Zemeckis Neuverfilm­ung von Roald Dahls Kinderbuch „Hexen hexen“. Leider verwechsel­t sie Exzentrik mit Overacting.
[ Warner Bros.] Anne Hathaway gibt die Oberhexe in Robert Zemeckis Neuverfilm­ung von Roald Dahls Kinderbuch „Hexen hexen“. Leider verwechsel­t sie Exzentrik mit Overacting.

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