Hex sie weg, die toxische Männlichkeit!
Kino. Früher hatten sie Warzen, jetzt tragen sie schicke Abendkleider oder verzaubern junge Machos in „woke“Burschen: Zwei aktuelle Kino-Neuverfilmungen zeigen, wie sich das Bild der Hexe gewandelt hat. Schade, dass die Filme wenig taugen.
Zwei neue Filme zeigen, wie sich das Bild der Hexe gewandelt hat.
Warzen im Gesicht und ein Besen zwischen den Beinen: Das ist die Hexe, wie sie im Buche steht und wie man sie heutzutage kaum mehr zu Gesicht bekommt. Antlitz und Agenda der (schwarz-)magischen Kreaturen haben sich diversifiziert, von der Kinderfresserin bis zur naturmystischen Urfrau reicht die Bandbreite. Zwei aktuelle Produktionen demonstrieren die Wandelbarkeit der Hexenfigur eindrucksvoll, auch wenn „Hexen hexen“und „Der Hexenclub“als Filme versagen.
Beide Stoffe sind bereits in den Neunzigerjahren für das Kino aufbereitet worden. Nicolas Roegs Adaption von Roald Dahls „The Witches“brachte vor ziemlich genau drei Jahrzehnten eine ganze Kindergeneration an den Rand des Nervenzusammenbruchs, nicht zuletzt aufgrund der groteskscheußlichen Maske und dem lustvollen, herausragenden Spiel von Oberhexe Anjelica Huston. In Starregisseur Robert Zemeckis („Zurück in die Zukunft“, „Forrest Gump“) aktueller Version von „Hexen hexen“darf nun Anne Hathaway als „Grand High Witch“überlebensgroß auftreten und die Kindervernichtung planen, verwechselt aber im
Gegensatz zu ihrer Vorgängerin Exzentrik mit Overacting, wirkt daher kaum gefährlich, immerzu lächerlich.
Das Drehbuch, an dem auch Guillermo del Toro mitgewirkt hat, verlegt das Geschehen von Südengland ins Alabama der Sechzigerjahre: Nach dem Unfalltod der Eltern wächst ein Bub (süß: Jahzir Bruno) bei seiner Großmutter (die Seele des Films: Octavia Spencer) auf, die ihm nicht nur mit viel Wärme und spontanen Tanzeinlagen bei der Trauerbewältigung hilft, sondern den Knirps auch eindringlich vor Hexen warnt.
Aus Kindern werden Mäuse
Dass die Oma und ihr Enkel, die beide wie in der Buchvorlage namenlos bleiben, Afroamerikaner sind, die zwecks mentaler und physischer Genesung in einem Küsten-Resort für weiße Privilegierte urlauben, böte theoretisch die Möglichkeit, die schaurige Fantasie mit zeitgeistigem Subtext anzureichern. Zemeckis schert aber kaum aus den engen Grenzen des familienfreundlichen Unterhaltungskinos aus und hat mehr Freude damit, die computergenerierten Mäuse, in die die Kinder verwandelt werden, durchs ausladende Hotel toben zu lassen. Das macht bisweilen Spaß, bleibt aber zahnlos.
Eine ganz andere Hexenvision präsentiert die Neufassung des 90er-Jahre-Kultfilms „Der Hexenclub“, inszeniert von Schauspielerin und Regisseurin Zoe Lister-Jones. War das Original ein feministisch unterbauter Fantasy-Entwicklungsroman rund um einen High-School-Hexenzirkel, der vor allem die moralischen Dilemmata beim unüberlegten Exerzieren von magischer Macht thematisierte, zeigt sich die 2020er-Fassung komplett im Einklang mit den Agenden der „Woke“Kultur und ihrer erhöhten (bis überhöhten) Sensibilität für Formen von Diskriminierung und gesellschaftlicher Ausgrenzung.
Nach einem charmanten Beginn, bei dem Mutter und Tochter im Auto einen Alanis-Morissette-Hadern mitsingen und damit unmissverständlich auf die Neunziger verweisen, wird die schüchterne Lily (herausragend: Cailee Spaeny) von den dummdreisten Schulfreunden ihrer drei jugendlichen Stiefbrüder gemobbt und schließlich in den Zirkel eines Teenie-Hexen-Trios aufgenommen, das auf Rache sinnt. Es belegt sogleich Chef-Mobber Timmy (Nicholas Galitzine) mit einem Zauber, woraufhin dieser sich in den Idealtypus eines „woken“Burschen verwandelt und auf Partys bevorzugt über den Fluch der Heteronormativität plaudert.
Bis zu diesem Punkt hegt man noch die immer leiser werdende Hoffnung, ListerJones’ Drehbuch könne das humoristische Potenzial derartiger identitätspolitischer Gewitter vermittels satirischer Zuspitzung nutzen, aber stattdessen setzt der neue „Hexenclub“(Alternativtitelvorschlag: „Subtext – Der Film“) auf die Affirmation einer Ideologie, die möglichst ohne Wirklichkeitsabrieb an das Publikum vermittelt werden soll. Nicht einmal die (unfreiwillig) nostalgisch stimmenden, durch die Bank schlechten Computereffekte und die grundlegende Geilheit der finalen Konfrontation zwischen dem Zirkel und David Duchovny als schwarzmagischem Auswuchs von toxischer Männlichkeit vermögen diesem faden, braven, naiven und komplett überraschungsfreien Film ein wenig Spaß einzuimpfen.
Bleibt zu konstatieren wie zu lamentieren, dass die aktuellen filmischen Interpretationsleistungen zur Hexenfigur sich zwischen familienfreundlichem Fadgas und gut gemeintem, politisch aktiviertem Message Movie einpendeln und damit insgesamt ungenügend ausfallen. Und dann wünscht man sich eine keifende, bösartige Alte herbei, mit Warzen im Gesicht und Besen zwischen den Beinen.