Also doch noch fertig
Interview. BER-Chef Engelbert Lütke Daldrup ist es gelungen, den Berliner Flughafen doch noch fertig zu bauen. Heute ist Eröffnung. Ein Gespräch über das jahrelange Fiasko – und seinen Dackel.
Engelbert Lütke Daldrup, Chef des BER, der heute eröffnet, im Interview.
Berlin. Am Samstag geht eines der peinlichsten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte zu Ende. Nach 14 Jahren Bauzeit werden die ersten Maschinen auf dem neuen Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt, kurz BER, landen, über den sich jahrelang die halbe Welt amüsiert hat. Zuvor waren sechs Eröffnungstermine geplatzt, der erste 2011. Lange Zeit hoben also nur die Kosten ab. Der ehemalige Beamte Engelbert Lütke Daldrup wird nun als der Mann gefeiert, der „das BER-Biest“gezähmt hat, nachdem er 2017 ans Ruder gekommen war. „Die Presse“traf ihn auf dem künftig drittgrößten deutschen Flughafens (Jahreskapazität: 40 Mio. Passagiere) zum Gespräch.
Die Presse: Viele nennen den BER eine Baukatastrophe. Sie sprechen auch von „Kladderadatsch“. Was bedeutet denn das? Engelbert Lütke Daldrup: Wie soll man das sagen? Dass es ein heilloses Durcheinander gibt und alles verwickelt und kompliziert ist.
Was hat denn diesen „Kladderadatsch“hier am BER verursacht? Die Planungszeit war zu knapp und der Bauherr nicht gut genug aufgestellt. Es waren später zu viele Änderungen nötig, für die zu wenig Zeit eingeplant wurde. Irgendwann wird es dann schwierig.
Dieser Flughafen gilt auch als Mahnmal, dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist.
Das ist Unsinn. Es gibt ein großes Stahlwerkprojekt eines deutschen Konzerns, das kollabiert ist. Die Elbphilharmonie in Hamburg hat ein Generalunternehmer gebaut, und er ist damit auch nicht zurande gekommen.
Gegenbeispiel: Ganz in der Nähe will Tesla eine riesige Autofabrik in weniger als einem Jahr aus dem Boden stampfen.
Aber auch diese Fabrik kommt nur dann ans Netz, wenn die öffentliche Hand als Genehmigungsbehörde gut mit der privaten Seite kooperiert. Ich habe selbst einmal in Leipzig ein großes BMW-Werk angesiedelt. Auch da haben wir das sehr schnell hinbekommen. Aber ein Flughafen ist wesentlich komplexer. Die Anforderungen an Brandschutz und Sicherheitstechnik sind hoch, weil jeden Tag bis zu 150.000 Menschen durch den Terminal gehen sollen. Wir haben unter dem Airport einen Bahnhof. Das ist rechtlich und technisch extrem kompliziert. Das Eisenbahnrecht gilt unten, das Baurecht oben. Das passt nicht zusammen. Wir haben Jahre gebraucht, um technisch möglich zu machen, was eigentlich im Rechtssystem so gar nicht vorgesehen ist.
Deutschland gilt als Land der Normen. Ist die Republik überbürokratisiert?
Wir können bei der Realisierung von Infrastrukturprojekten effizienter werden. Da gebe ich Ihnen recht. Die Schweiz und andere Länder sind da besser aufgestellt. Davon können wir lernen. Wir sind auch nicht gut beraten gewesen, die Anzahl der Normen in Deutschland in den vergangenen Jahren zu vervierfachen. Dadurch sind die Gebäude nicht besser geworden, sondern nur teurer, und die Realisierung dauert länger.
Was haben Sie getan, um diesen „Kladderadatsch“zu beenden? Wenn ein Projekt so gescheitert ist, also so viele Sachen nicht richtig aufgesetzt waren, dann müssen Sie dieses Knäuel zuerst systematisch entwirren und die Fäden neu ordnen. Das erste halbe Jahr hat mein Team an einem großen neuen Terminplan gearbeitet. 15.000 Vorgänge mussten sortiert und in eine vernünftige Reihenfolge gebracht werden. Das war der Schlüssel. Erst danach kann man so ein Riesenprojekt überhaupt erst wieder steuern.
Die halbe Welt lachte über den BER. Sie müssen einen gewaltigen Druck verspürt haben.
Druck ist nicht neu für mich. Aber das war bislang schon der härteste Job in meinem Leben.
Wie baut man diesen Druck ab? Es hilft sicherlich, wenn man Gelassenheit und Lebenserfahrung hat. Spaziergänge mit meinem Dackel sind auch hilfreich. Zumal der Hund angeschafft wurde, als der BER in mein Leben kam. Eine schöne Bereicherung.
Selbstironie kann auch helfen. Lachen Sie über BER-Witze?
Nein. Die haben mich nie interessiert.
Eine traurige Ironie ist, dass der BER just jetzt im Seuchenjahr 2020 eröffnet. Tut das weh?
Das ist bitter für die ganze Branche. Wir sind in der Luftfahrt in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Wir hoffen, dass im nächsten Jahr ein Impfstoff kommt und dass dann wieder mehr Menschen Mut fassen zu reisen. Aber auf die ganze Luftverkehrsbranche kommen harte Jahre zu. Wir werden alle enorm sparen müssen. Es gibt keine Neueinstellungen, keine großen Investitionen mehr . . .
... Ihre Flughafengesellschaft steht ohne Hilfen vor der Pleite . . . Wir sind auf Unterstützung angewiesen, wie Airlines oder andere Flughäfen auch. Wir werden in diesem Jahr durch die Coronapandemie 250 bis 300 Millionen Euro Verlust machen. Im Vorjahr flogen an beiden Flughäfen Schönefeld und Tegel 36 Millionen Menschen. Wir hoffen, dass es 2021 wieder 18 Millionen sein werden. Aber das wäre immer noch nur die Hälfte im Vergleich zu 2019.
Wann schreiben Berlins Flughäfen wieder schwarze Zahlen?
Wir wären normalerweise 2025 über den Berg gewesen. Das wird jetzt länger dauern. Wie lang, hängt vom Verlauf der Pandemie ab.
Wird es nach der Pandemie im Flugverkehr wieder so sein wie davor – Stichwort Klimakrise?
In der Summe wird der Luftverkehr weiter wachsen, nur nicht mehr so schnell, wie das einige geglaubt haben. Die meisten Analysten sagten vier Prozent Wachstum in Europa und sechs in Asien voraus. Ich war nie so optimistisch. Unser Businessplan ging von zwei Prozent Wachstum aus. Wir in Berlin werden einerseits mehr interkontinentalen Flugverkehr bekommen. Auf der anderen Seite wird mancher innerdeutsche Flug nicht mehr stattfinden.
Zurzeit hat Berlin noch sehr wenig interkontinentalen Luftverkehr. Warum?
Bisher hat die Infrastruktur gefehlt. Der Flughafen Tegel war einfach viel zu klein. Der BER bietet viermal so viel Platz. Und in der Entwicklung der deutschen Luftverkehrswirtschaft gab es eine Fokussierung auf München und Frankfurt. Jetzt geht es darum, die Hauptstadt als dritten großen Standort zu etablieren.
Das wird auf Widerstand stoßen. Ich höre da viel Zuspruch. Sogar der Bundesverkehrsminister hat gesagt, Berlin müsse ein Drehkreuz werden. Das sind neue Töne aus dem Ministerium. Wir haben ja sehr wenig Flugrechte nach Asien. Da muss der Bund etwas tun.
Haben Sie selbst einen Flug vom BER gebucht?
Zu Weihnachten werde ich hoffentlich in den Urlaub fliegen.
ZUR PERSON
Engelbert Lütke Daldrup ist Raumplaner und seit März 2017 Chef der staatlichen Gesellschaft Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB), die die Hauptstadtflughäfen betreibt und auch den BER-Bau verantwortet. Davor war der gebürtige Rheinländer u. a. Stadtbaurat in Leipzig (1995–2005), beamteter Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium (2006–2009) und später in der Stadt Berlin (2014–2017). Lütke Daldrup wird heute, am Tag der BER-Eröffnung, 64 Jahre alt.