Leitartikel von Rainer Nowak
Die Lage ist ernst genug, um bisherige Gepflogenheiten zu beenden: Klarheit statt taktischer Kommunikation, Empathie statt Vertröstungen.
Formulieren wir es angesichts der stärker werdenden Emotionen wie Aggressionen sachlich-höflich: Eine Pressekonferenz zur Ankündigung einer Pressekonferenz zu geben passt weder zum Ernst der Lage noch zur viel gerühmten bis gefürchteten genialischen PR-Maschinerie der Regierung Sebastian Kurz II. Dieser Auftritt war schlicht überflüssig. Über die Gründe und Motive, warum der Öffentlichkeit nicht sofort reiner Wein eingeschenkt wird, sondern dieser noch zwei Tage lang mit Sozialpartnern, Experten, Landeshauptleuten und Meinungsforschern verdünnt oder erwärmt wird, hat an dieser Stelle Kollegin Ulrike Weiser am Freitag geschrieben (man will in der Koalition so lang zuwarten, bis die Bevölkerung den nächsten Lockdown herbeisehnt, und ihn dann liefern).
Ideal lief und läuft die Kommunikation zuletzt nicht. Die Vorbereitung auf die zweite Welle wurde offenbar unter Führung vom heimlichen Sektionschef Vogel Strauß geleitet und geplant, anders ist der offensichtliche Blindflug durch einen kurzen Sommer des Verdrängens kaum möglich. Aber: An den explosionsartig steigenden Infektionszahlen tragen nicht Politiker Schuld, sondern sorglose soziale Kontakte. Der Ruf, Regierung – in Bund und Land – und Behörden hätten sie uns verbieten müssen, klingt freilich hohl: Niemandem waren Abstand, Zurückhaltung und Einschränkungen verboten. Untertanenmentalität zeigt sich offenbar nicht nur im Lockdown, sondern wenn es lockerer wird und bleibt und die Eigenverantwortung, auch Vernunft und Hausverstand genannt, gefragt wäre. Wer die in den vergangenen Wochen nicht selbst einmal vermissen ließ, werfe den ersten Stein.
Aber der Brite, den wir schon jetzt in der Europäischen Union vermissen, bevor er noch richtig gegangen ist, nennt das gern „spilled milk“, daher seien ein Blick und eine Skizze für die kommenden Tage, Wochen und Monate erlaubt. Was Österreich und seine Bevölkerung nun erwarten dürfen und bekommen müssen, ist Klarheit, wie es nun ganz konkret weitergeht. Das sollen und müssen der Bundeskanzler und seine Regierung so deutlich erklären, wie es im vergangenen März passiert ist. Und dabei ist auch klar: Es gibt keine gerechten Maßnahmen. Um das notwendige Ziel, eine massive Verringerung der sozialen Kontakte, damit eine Dämpfung der Steigerung der Infiziertenzahlen und die Vermeidung eines Kollapses von Intensivstationen und des dazugehörigen medizinischen Personals, zu erreichen, wird es Einschränkungen geben müssen. Dass etwa Oper und Theater trotz einigermaßen präziser Covid-19-Maßnahmen schließen müssen, aber die lustige AfterWork-Party im privaten Rahmen weitergehen kann, ist weder sinnvoll noch erklärbar, aber vermutlich auf dem Zettel, weil rechtlich machbar. Die Oberstufenschüler nach Hause zu schicken wäre eine statistisch große Maßnahme, aber für Bildung und damit Zukunft fatal.
Natürlich könnten wir ernsthaft den darwinistischen Weg diskutieren und anzutreten versuchen: Sterben eben die Alten und Schwachen (viel) früher, wie das manche Hobby-Philosophen besser für die Wirtschaft fänden. Selbst wenn man das moralisch nicht für verwerflich hält: Das würde weder unsere Gesellschaft noch die Politik aushalten, somit wird es nicht passieren.
Aber was sich dieses Land wirklich verdient hätte, ist mehr Empathie. Über Nacht kann aus Kurz und seinem langsam überfordert wirkenden Gesundheitsminister, Rudolf Anschober, zwar keine Landesmutter Angela Merkel und hoffentlich auch kein Kriegspräsident Emmanuel Macron werden, der sich übrigens wieder mehr Unterstützung Europas im Kampf gegen den feigen Islamisten-Terror verdient hätte. Aber ein wenig mehr Augenhöhe, suggestive Sicherheit, Zuversicht, Klarheit und nötige Härte, wenn es um unpopuläre Maßnahmen geht, brauchen wir nun. Das Klein-Klein, der Wahlkampf und die tägliche fragmentierte Dauerdiskussion über Performance, Zahlen, Betten und Maßnahmen müssen nun wieder enden. Wir halten das aus, wir haben uns das verdient.