Ampel-Kommission: „Haben versagt“
Daniela Schmid. Auch die Oberstufe in der Schule soll offen bleiben, sagt die Sprecherin der Corona-Ampel-Kommission.
Hat die Coronakommission einen Lockdown empfohlen?
Unsere Aufgabe ist, das Verbreitungssrisiko und das Systemrisiko (Anm.: für das gesundheitsversorgende System) einzuschätzen. Die Einschätzung des Letzteren wurde jetzt zusätzlich spezifiziert. Es geht nicht nur mehr um die Auslastung der Intensivbetten, sondern wir schauen auch auf die Sieben-TagesInzidenz der über 65-Jährigen neben der Gesamt-sieben-Tages-Inzidenz. Wir sind aber an einem Punkt angelangt, wo uns das Ausbreitungsgeschehen entgleiten könnte. Um das Wachstum an Neuinfektionen signifikant zu verlangsamen, müsste ab sofort ein relevanter Teil der Bevölkerung die individuellen protektiven Maßnahmen umsetzen. Doch durch fehlende adäquate Kommunikation sind wir nach wie vor bei der Bevölkerung nicht angekommen.
Warum hat sich die Ausbreitung zuletzt so beschleunigt?
Das Contact Tracing war schon bei geringerer Fallzahl höchstwahrscheinlich nicht ausreichend schnell genug. Steigen die Zahlen exponentiell, kommt man nicht mehr nach.
Nach den Haushalts-Clustern, die ja keiner
Quelle zugeordnet werden können, ist die Cluster-Kategorie Freizeit die größte. Hat sich da zuletzt etwas geändert?
Trotz aller Bemühungen gab es keine signifikante Reduktion des Cluster-Aufkommens im Freizeit-Setting. Es gibt immer noch größere Feierlichkeiten wie Geburtstage etc. Deutlich wurden Cluster im Setting Hotel/ Gastronomie beobachtet. Die bisherigen Beschränkungen – also das Verbot größerer Veranstaltungen – dürften Wirkung haben.
Bringt es dann etwas, die Gastronomie zu sperren?
Man kann zumindest nicht ausschließen, dass sich das Zusammentreffen dann noch mehr ins Private verschiebt – in die Garage, den Partykeller, wohin auch immer. Da kann man nur an die Vernunft für risikoreduziertes Verhalten appellieren.
Aber damit ist man nicht weit gekommen. Deshalb wird über nächtliche Ausgangsbeschränkungen diskutiert.
Ich glaube, es hätte da noch andere Möglichkeiten gegeben.
Welche?
Man hätte Influencer einsetzen können, die den einzelnen Gruppen Risikobewusstsein vermitteln. Das hat bei Krankheiten
wie HIV gut funktioniert. Aber wir haben bei der Kommunikation versagt. Durch viel Topdown-Zugang und zu wenig Bottom-up-Ansätze sind die Menschen mürbe und müde. Es ist ein wenig Wurstigkeit eingekehrt, man nimmt gar nichts mehr an.
Fast ganz Österreich ist rot. Der ländliche Raum hat extrem aufgeholt, Städte sind stabil. Sie haben gemeint, es liege am Gruppendruck in der Stadt, dass man mehr Maske trägt. Gibt es andere Gründe?
Es gibt in der Stadt sicher auch nicht so viele Räume, die man für private Feste mieten könnte. Ich denke, dass die Städter auch mehr von dem Thema mitbekommen – etwa über soziale Medien – als etwa die ländliche Bevölkerung. Gerade auf dem Land hätten wir mehr auf Influencer setzen müssen, z. B. auf den Gemeindepfarrer, der auf dem Land noch immer viel Einfluss hat. Wir hatten bis vor zwei Wochen viele Cluster im Anschluss an Firmungen und Erstkommunion. Bei der einen oder anderen Veranstaltung war sicher wohl auch der Pfarrer dabei.
Es gibt Konsens, dass Schulen bis zur Unterstufe offen bleiben. Die Oberstufe ist umstrittener. Wie bewerten Sie das Risiko?
In den Schulen gibt es klare Sicherheitskonzepte und genug Infrastruktur, um diese umzusetzen. Sobald ich die Bildung im Privatbereich – außerhalb der Institution Schule – etabliere, verschiebe ich Bevölkerungsgruppen, die man besonders gut in der Schule zum risikoreduzierten Verhalten anhalten kann, in einen Bereich, in dem es keine angemessene Anleitung gibt. Die 15- bis 19-Jährigen können allein bleiben und allein entscheiden, was sie machen, also z. B. Freunde treffen. Gerade die 15- bis 19-Jährigen haben es satt. Bei denen erreiche ich keine Verhaltensänderung mehr. (uw)