Die Schlacht um den Senat
US-Wahl. Eine „blaue Welle“der Demokraten könnte die Republikaner die Mehrheit im Senat kosten. Viele republikanische Sitze wackeln. Im Repräsentantenhaus scheint die Kontrolle durch die Demokraten ungefährdet.
Susan Collins ist eine ziemlich singuläre Erscheinung im Senat, dem einst exklusiven Männerklub – eine Republikanerin, die sich eine eigene Meinung herausnimmt. Im Impeachment-Verfahren übte sie Kritik am Präsidenten, um am Ende doch gegen seine Amtsenthebung zu stimmen. Beim Votum gegen Amy Coney Barrett, die konservative Höchstrichterin, scherte die 67-Jährige aber am Montag als Einzige aus der republikanischen Front aus – auch aus dem Kalkül heraus, ihre Wiederwahl zu sichern.
Als Senatorin in Maine hält Collins die Fahne der Republikaner in den Neuengland-Staaten hoch. Sie zählt zum moderaten, pragmatischen, gesellschaftspolitisch liberalen Flügel der Partei, der im Nordosten der USA stark verankert war. Im Grenzland zu Kanada kämpft Collins als letzte prominente Akteurin der Neuengland-Republikaner bei der Senatswahl um ihr politisches Überleben.
Ihre Chancen für eine fünfte sechsjährige Amtsperiode stehen allerdings so schlecht wie nie. In Maine haben die Wähler ihr Lavieren nicht vergessen, die Kompromisse, ihren Schwenk bei der Wahl des umstrittenen Höchstrichters Brett Kavanaugh. In Sara Gideon, der Vorsitzenden des lokalen Parlaments, steht ihr eine Gegenkandidatin gegenüber, die bei den Demokraten Enthusiasmus und enorme Spendenbereitschaft ausgelöst hat.
Susan Collins’ Mandat gehört zum knappen Dutzend von Sitzen, die bei der Senatswahl kippen könnten. 35 Senatoren in dem 100-köpfigen einflussreichen Gremium stehen am Dienstag zur Wahl – und davon 23 republikanische. Derzeit hält die Grand Old Party eine Mehrheit von 53 Sitzen. Gewinnen die Demokraten vier Mandate dazu, wechseln die Mehrheitsverhältnisse im Kongress. Bei der Wahl Kamala Harris’ zur Vizepräsidentin reichen auch nur drei, da der Stellvertreter des Präsidenten laut Verfassung den Vorsitz im Senat führt und ihm bei einem Patt die entscheidende Stimme zukommt. Graham in Gefahr
Im Repräsentantenhaus ist die Mehrheit der Demokraten aller Wahrscheinlichkeit zu groß, als dass es zu einem Machtwechsel kommen könnte. Erobern die Demokraten indes den Senat, könnten sie im Kongress eine Obstruktionspolitik gegen Trump betreiben, wie die Republikaner dies gegen Barack Obama vorexerziert haben. Oder bei einem Wahlsieg Joe Bidens dem Präsidenten freie Bahn geben für seine Gesetzesinitiativen und seine Politik mitbestimmen. Aus seinen 36 Jahren im Senat weiß Biden genau um die Bedeutung der Kooperation mit dem Parlament.
Dass selbst Lindsey Grahams Sieg in einer konservativen Hochburg wie South Carolina gefährdet scheint, ist jedenfalls ein schlechtes Zeichen für die Republikaner. Eine Schlappe Grahams käme einer kleinen Sensation gleich. Der langjährige Senator und Freund John McCains, der vom scharfen Kritiker Trumps zu dessen Vertrauten mutierte, flehte in einem TV-Interview kürzlich geradezu um Spenden. Jaime Harrison, sein Gegner, hatte mit 57 Millionen Dollar in drei Monaten einen Spendenrekord aufgestellt. Der Newcomer fordert den Kandidaten des republikanischen Establishments heraus, der wie Senatsführer Mitch
McConnell als Inkarnation des Washingtoner Insiders gilt. Der 78-jährige Machttaktiker aus Kentucky muss jedoch weniger fürchten, von einer „blauen“, demokratischen Welle hinweggespült zu werden.
Ehe McConnell und Graham die Bestellung der Juristin Barrett im Eiltempo durch den Senat peitschten, sprach Graham vom Szenario einer Niederlage bei der Senatswahl – und sein Parteifreund Ben Sasse gar von einem „Blutbad“. Besonders ins Auge fassen die US-Medien das Rennen in Arizona, der Heimat des verstorbenen TrumpIntimfeinds McCain. Mark Kelly, ein ehemaliger Astronaut und der Mann der 2011 bei einem Attentat schwer verwundeten Ex-Abgeordneten Gabby Giffords, ist klarer Favorit gegen die republikanische Amtsinhaberin, die 2018 das Erbe McCains im Senat antrat.
Eine weitere Hoffnungsfigur der Demokraten ist John Hickenlooper, der frühere Gouverneur von Colorado, der zwar in der Vorwahl um die Präsidentschaft sang- und klanglos unterging, in seinem Heimatstaat als moderater, pragmatischer Politiker aber große Popularität genießt und seinen republikanischen Rivalen aus dem Feld schlagen dürfte. Senatswahlen sind in hohem Maß Persönlichkeitswahlen, doch sie spiegeln auch einen Trend wider – den wachsenden Einfluss der Latinos und von Zuzüglern aus Kalifornien, die in Arizona und Colorado die Demokraten begünstigen.
Plan für Erweiterung
In Alabama gilt die Niederlage des demokratischen Senators gegen einen Ex-Footballtrainer als fast sicher. Es würde die Rückkehr zur Normalität markieren. Aber selbst im Agrarstaat Iowa und in den Südstaaten North Carolina und Georgia haben die republikanischen Senatoren einen schweren Stand. In North Carolina vermochte bisher nicht einmal die via SMS aufgeflogene Affäre des demokratischen Herausforderers dessen Chancen entscheidend zu schwächen. Wenn es eng wird, könnte angesichts des großen Bewerberfelds in Georgia erst eine Stichwahl im Jänner Aufschluss geben, ob die Republikaner die Kontrolle im Senat verlieren.
Die Demokraten haben bei einem Sieg einen Plan in petto: Sie wollen Washington D. C. und Puerto Rico zu neuen Bundesstaaten erklären. Damit würden sie 2024 vier Sitze im erweiterten Senat dazugewinnen.