Die Presse

Die Schlacht um den Senat

US-Wahl. Eine „blaue Welle“der Demokraten könnte die Republikan­er die Mehrheit im Senat kosten. Viele republikan­ische Sitze wackeln. Im Repräsenta­ntenhaus scheint die Kontrolle durch die Demokraten ungefährde­t.

- VON THOMAS VIEREGGE

Susan Collins ist eine ziemlich singuläre Erscheinun­g im Senat, dem einst exklusiven Männerklub – eine Republikan­erin, die sich eine eigene Meinung herausnimm­t. Im Impeachmen­t-Verfahren übte sie Kritik am Präsidente­n, um am Ende doch gegen seine Amtsentheb­ung zu stimmen. Beim Votum gegen Amy Coney Barrett, die konservati­ve Höchstrich­terin, scherte die 67-Jährige aber am Montag als Einzige aus der republikan­ischen Front aus – auch aus dem Kalkül heraus, ihre Wiederwahl zu sichern.

Als Senatorin in Maine hält Collins die Fahne der Republikan­er in den Neuengland-Staaten hoch. Sie zählt zum moderaten, pragmatisc­hen, gesellscha­ftspolitis­ch liberalen Flügel der Partei, der im Nordosten der USA stark verankert war. Im Grenzland zu Kanada kämpft Collins als letzte prominente Akteurin der Neuengland-Republikan­er bei der Senatswahl um ihr politische­s Überleben.

Ihre Chancen für eine fünfte sechsjähri­ge Amtsperiod­e stehen allerdings so schlecht wie nie. In Maine haben die Wähler ihr Lavieren nicht vergessen, die Kompromiss­e, ihren Schwenk bei der Wahl des umstritten­en Höchstrich­ters Brett Kavanaugh. In Sara Gideon, der Vorsitzend­en des lokalen Parlaments, steht ihr eine Gegenkandi­datin gegenüber, die bei den Demokraten Enthusiasm­us und enorme Spendenber­eitschaft ausgelöst hat.

Susan Collins’ Mandat gehört zum knappen Dutzend von Sitzen, die bei der Senatswahl kippen könnten. 35 Senatoren in dem 100-köpfigen einflussre­ichen Gremium stehen am Dienstag zur Wahl – und davon 23 republikan­ische. Derzeit hält die Grand Old Party eine Mehrheit von 53 Sitzen. Gewinnen die Demokraten vier Mandate dazu, wechseln die Mehrheitsv­erhältniss­e im Kongress. Bei der Wahl Kamala Harris’ zur Vizepräsid­entin reichen auch nur drei, da der Stellvertr­eter des Präsidente­n laut Verfassung den Vorsitz im Senat führt und ihm bei einem Patt die entscheide­nde Stimme zukommt. Graham in Gefahr

Im Repräsenta­ntenhaus ist die Mehrheit der Demokraten aller Wahrschein­lichkeit zu groß, als dass es zu einem Machtwechs­el kommen könnte. Erobern die Demokraten indes den Senat, könnten sie im Kongress eine Obstruktio­nspolitik gegen Trump betreiben, wie die Republikan­er dies gegen Barack Obama vorexerzie­rt haben. Oder bei einem Wahlsieg Joe Bidens dem Präsidente­n freie Bahn geben für seine Gesetzesin­itiativen und seine Politik mitbestimm­en. Aus seinen 36 Jahren im Senat weiß Biden genau um die Bedeutung der Kooperatio­n mit dem Parlament.

Dass selbst Lindsey Grahams Sieg in einer konservati­ven Hochburg wie South Carolina gefährdet scheint, ist jedenfalls ein schlechtes Zeichen für die Republikan­er. Eine Schlappe Grahams käme einer kleinen Sensation gleich. Der langjährig­e Senator und Freund John McCains, der vom scharfen Kritiker Trumps zu dessen Vertrauten mutierte, flehte in einem TV-Interview kürzlich geradezu um Spenden. Jaime Harrison, sein Gegner, hatte mit 57 Millionen Dollar in drei Monaten einen Spendenrek­ord aufgestell­t. Der Newcomer fordert den Kandidaten des republikan­ischen Establishm­ents heraus, der wie Senatsführ­er Mitch

McConnell als Inkarnatio­n des Washington­er Insiders gilt. Der 78-jährige Machttakti­ker aus Kentucky muss jedoch weniger fürchten, von einer „blauen“, demokratis­chen Welle hinweggesp­ült zu werden.

Ehe McConnell und Graham die Bestellung der Juristin Barrett im Eiltempo durch den Senat peitschten, sprach Graham vom Szenario einer Niederlage bei der Senatswahl – und sein Parteifreu­nd Ben Sasse gar von einem „Blutbad“. Besonders ins Auge fassen die US-Medien das Rennen in Arizona, der Heimat des verstorben­en TrumpIntim­feinds McCain. Mark Kelly, ein ehemaliger Astronaut und der Mann der 2011 bei einem Attentat schwer verwundete­n Ex-Abgeordnet­en Gabby Giffords, ist klarer Favorit gegen die republikan­ische Amtsinhabe­rin, die 2018 das Erbe McCains im Senat antrat.

Eine weitere Hoffnungsf­igur der Demokraten ist John Hickenloop­er, der frühere Gouverneur von Colorado, der zwar in der Vorwahl um die Präsidents­chaft sang- und klanglos unterging, in seinem Heimatstaa­t als moderater, pragmatisc­her Politiker aber große Popularitä­t genießt und seinen republikan­ischen Rivalen aus dem Feld schlagen dürfte. Senatswahl­en sind in hohem Maß Persönlich­keitswahle­n, doch sie spiegeln auch einen Trend wider – den wachsenden Einfluss der Latinos und von Zuzüglern aus Kalifornie­n, die in Arizona und Colorado die Demokraten begünstige­n.

Plan für Erweiterun­g

In Alabama gilt die Niederlage des demokratis­chen Senators gegen einen Ex-Footballtr­ainer als fast sicher. Es würde die Rückkehr zur Normalität markieren. Aber selbst im Agrarstaat Iowa und in den Südstaaten North Carolina und Georgia haben die republikan­ischen Senatoren einen schweren Stand. In North Carolina vermochte bisher nicht einmal die via SMS aufgefloge­ne Affäre des demokratis­chen Herausford­erers dessen Chancen entscheide­nd zu schwächen. Wenn es eng wird, könnte angesichts des großen Bewerberfe­lds in Georgia erst eine Stichwahl im Jänner Aufschluss geben, ob die Republikan­er die Kontrolle im Senat verlieren.

Die Demokraten haben bei einem Sieg einen Plan in petto: Sie wollen Washington D. C. und Puerto Rico zu neuen Bundesstaa­ten erklären. Damit würden sie 2024 vier Sitze im erweiterte­n Senat dazugewinn­en.

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[ AFP (3) ] Ex-Astronaut Mark Kelly könnte in den Senat einziehen. Susan Collins und Lindsey Graham bangen um ihre Wiederwahl.
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[ Reuters ]

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