Der Attentäter kam im Flüchtlingsboot
Frankreich. Nach dem Anschlag in Nizza brandet eine Debatte über fehlgeleitete Migrationspolitik auf. Zudem werden Rufe nach einer Präventivhaft für radikale Islamisten laut.
Paris. Am Tag nach dem Attentat auf die Basilika Notre-Dame de l‘Assomption in Nizza ist mehr über den kaltblütigen Terroristen bekannt. Der aus der Nähe von Kairouan in Tunesien stammende 21-jährige Brahim A. war zusammen mit Flüchtlingen in einem Boot über das Mittelmeer nach Lampedusa gelangt und von den italienischen Behörden in ein Lager des Roten Kreuzes in Bari gebracht worden. Von dort reiste er am 28. Oktober, einen Tag vor seinem Anschlag, illegal und angeblich mithilfe von Schleppern über die Grenze nach Frankreich weiter.
Seinem Bruder soll er gesagt haben, er wolle in Frankreich Arbeit suchen. In Nizza, das nur 30 Kilometer von der italienischen Grenze entfernt ist, fragt man sich, ob er nicht entsandt worden war, um für Auftraggeber ein Attentat zu verüben. Nach unbestätigten Meldungen soll eine tunesische Terrorgruppe sich dazu bekannt haben.
In Frankreich herrscht „höchste Alarmstufe“. Denn weitere Anschläge sind zu befürchten. Vor zwei Wochen hatte ein junger Tschetschene in einem Vorort von Paris den Lehrer Samuel Paty wegen der Mohammed-Karikaturen enthauptet, und am 25. September hatte ein Pakistaner vor den früheren Büros der Satirezeitung „Charlie Hebdo“zwei Menschen mit einem Fleischerbeil schwer verletzt. Brahim A., der in Nizza drei Menschen mit dem Messer tötete, war der Dritte dieser Serie.
Das Vorgehen und auch das Profil der drei Täter weist unübersehbare Parallelen auf. Neben dem ideologischen Motiv, das Terrororganisationen wie IS oder al-Qaida befeuert haben könnten, ist es die Migrationsherkunft dieser Attentäter, die ins Zentrum der Debatten rückt. Als Erste machte die Parteichefin des ausländerfeindlichen Rassemblement national (Ex-FN), Marine Le Pen, den Link zwischen Terror und Migration. Sie forderte eine „Kriegsgesetzgebung“, um die Terroristen so adäquat bekämpfen zu können.
Aber auch ein Wortführer der konservativen Partei „Les Republi-´ cains“, der Abgeordnete Bruno Retailleau, erklärte: „Es besteht eine Verbindung zwischen einer unkontrollierten Immigration in Frankreich und der Islamisierung.“Er fordert, dass die Regierung einschreite: „Die Attentate werden nicht aufhören, solang der Unordnung der Migration nicht ein Ende gesetzt wird.“
„Guantanamo´ a` la francaise!“¸
Sein Parteikollege Eric Ciotti wünscht die Einrichtung eines „Guantanamo´ a` la francaise“¸ zur präventiven Inhaftierung von radikalen Islamisten: „Es braucht eine administrative Verwahrung für diejenigen, die bei uns als potenzielle Staatsfeinde registriert sind. Wir wissen, dass sie gefährlich sind und unser Land bedrohen, trotzdem lassen wir sie in Freiheit. Wir brauchen eine französische Art eines Guantanamo´ für die Gefährlichsten unter ihnen, um sie zu isolieren und unschädlich zu machen.“
Eine Inhaftierung ohne Gerichtsurteil ist jedoch illegal und widerspricht auch dem Rechtsempfinden in Frankreich. Soll Frankreich genau die Freiheiten und Bürgerrechte einschränken oder gar infrage stellen, welche die Republik gegen den Obskurantismus von Fanatikern verteidigen muss? Der Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi, zögert nicht, eine „Änderung der Verfassung“vorzuschlagen, wenn so der „Islamo-Faschismus“, wie er den islamistischen Terrorismus nennt, effizienter bekämpft werden könne.
4000 zusätzliche Soldaten sollen nun im Rahmen der Operation „Vigipirate“zum Einsatz kommen. Bereits seit 2015 – nach den Anschlägen auf „Charlie Hebdo“im Jänner und im November auf den Konzertsaal „Bataclan“, mehrere Cafes´ sowie das Stade de France – gehören Uniformierte mit Sturmgewehren zum Straßenbild. Wirklich daran gewöhnt hat sich die Bevölkerung dennoch nicht. Es herrscht nun doppelter Notstand in Frankreich – zur Bekämpfung der Coronapandemie und des Terrors.
In Pakistan, Bangladesch und Palästina demonstrierten am Freitag Zehntausende Muslime – nicht gegen das Attentat von Nizza, sondern gegen Macron und dessen Bekenntnis zu Meinungsfreiheit im Mohammed-Karikaturenstreit.