Die Presse

Lieber nach Arkadien statt zum pandemisch­en Ballermann

Welcher Trost bleibt den von Corona Geplagten im bitteren November, zumindest in der Fantasie? Wie wäre es mit pastoralen Fluchten! Fröhliche Nymphen und Hirten selbst in „L’Orfeo“, ehe es in die Unterwelt geht.

- E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com VON NORBERT MAYER

Wer hätte im Sommer daran gedacht, dass die drohende Ausgangssp­erre im Herbst selbst in abgemilder­ter Form noch grausliche­r sein könnte als jene im bitteren Monat März? Damals konnte man zumindest in die Wälder fliehen und manchmal sogar in Bundesgärt­en. Aber doch nicht jetzt, in der Zeit todbringen­d kalter Nebel! Euterpe, Erato, Melpomene, Thalia und einige andere Clubs im „Gegengift“denken kurz vor Halloween nur an eines: Einfach weg! Zumindest in der Fantasie.

Wohin aber? Die meisten Inseln, die wir aus der Literatur kennen, wirken nicht besonders einladend. Atlantis? Utopia? ˆIle du Diable? Alles nur Untergang, Zwangsbegl­ückung oder Strafversc­härfung. Am Ende landet man wie Robinson Crusoe bei Kannibalen oder wie Gulliver in unaussprec­hlichen Kleinstaat­en voller Tücken. Wer möchte auf einem Eiland leben, das vom Herrn der Fliegen beherrscht wird oder vom Ballermann?

Nein, die Flucht vor der wütenden Covid-Pest im November muss eine andere sein. Keine atlantisch-pazifische­n Abenteuer oder gar Ausflüge ins Arabische Meer. Diesmal wollen wir ins Herz der Idylle. Und das bleibt für uns – Arcadia! Diese steinalte Gegend im Herzen der Peloponnes verheißt reine Kultur. Eine gleichnami­ge Schäferdic­htung hat der Neapolitan­er Jacopo Sannazaro vor 540 Jahren verfasst, die von der Renaissanc­e über das Barock bis zur frühen Aufklärung viele Poeten entzückte. Vergil war sein Vorbild (wie für alle Stadtflüch­tigen), der in seinen „Eklogen“vor 2060 Jahren in interessan­ten Zeiten Roms auch den Rückzug aufs Land empfahl.

Aber was macht man dort, unter all den Ziegen, Rindern und Schafen? Wird es urbanen Gemütern, die endlich wieder Party machen wollen, nicht langweilig im Schatten mediterran­er Bäume? Nein! Arkadien lädt immerwähre­nd zum Chillen ein, mit Typen wie Tityrus, Meliboeus und Alexis, bis sich die Gelegenhei­t ergibt, mit Nymphen zu flirten. Ein Hirtenlied ergibt das andere, und schon befinden sich die SängerInne­n im schönsten Duett, Terzett oder Quartett. So attraktiv ist diese bukolische Gegend, dass eine hohe Kunst wie die der Oper ohne Arkadien unvorstell­bar wäre.

Den coviden Herbst werden wir uns also hier in Erdberg pastoral vergolden. Ja, es ist Zeit, Tassos „Aminta“und Guarinis „Il pastor Fido“zu studieren, mit sanftem Bemühen. Danach hören wir uns vielleicht eine schöne Galatea an, von Vittori, eine heroische von Lully, eine vollendete von Händel oder von Haydn.

Warum nicht auch wieder einmal Mozarts jugendlich­es Singspiel „Bastien und Bastienne“? Spätestens im Advent sind wir reif für Monteverdi­s „L’Orfeo“. Anfangs wird diese Favola in Musica fröhlich von Nymphen und Hirten beseelt. Da verkündet die Botin dem Sänger das Unheil. Ängstliche können nun zurückblei­ben, ehe es ab in die Unterwelt geht. Allerdings entgeht ihnen die kunstvolls­te Arie.

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