Lieber nach Arkadien statt zum pandemischen Ballermann
Welcher Trost bleibt den von Corona Geplagten im bitteren November, zumindest in der Fantasie? Wie wäre es mit pastoralen Fluchten! Fröhliche Nymphen und Hirten selbst in „L’Orfeo“, ehe es in die Unterwelt geht.
Wer hätte im Sommer daran gedacht, dass die drohende Ausgangssperre im Herbst selbst in abgemilderter Form noch grauslicher sein könnte als jene im bitteren Monat März? Damals konnte man zumindest in die Wälder fliehen und manchmal sogar in Bundesgärten. Aber doch nicht jetzt, in der Zeit todbringend kalter Nebel! Euterpe, Erato, Melpomene, Thalia und einige andere Clubs im „Gegengift“denken kurz vor Halloween nur an eines: Einfach weg! Zumindest in der Fantasie.
Wohin aber? Die meisten Inseln, die wir aus der Literatur kennen, wirken nicht besonders einladend. Atlantis? Utopia? ˆIle du Diable? Alles nur Untergang, Zwangsbeglückung oder Strafverschärfung. Am Ende landet man wie Robinson Crusoe bei Kannibalen oder wie Gulliver in unaussprechlichen Kleinstaaten voller Tücken. Wer möchte auf einem Eiland leben, das vom Herrn der Fliegen beherrscht wird oder vom Ballermann?
Nein, die Flucht vor der wütenden Covid-Pest im November muss eine andere sein. Keine atlantisch-pazifischen Abenteuer oder gar Ausflüge ins Arabische Meer. Diesmal wollen wir ins Herz der Idylle. Und das bleibt für uns – Arcadia! Diese steinalte Gegend im Herzen der Peloponnes verheißt reine Kultur. Eine gleichnamige Schäferdichtung hat der Neapolitaner Jacopo Sannazaro vor 540 Jahren verfasst, die von der Renaissance über das Barock bis zur frühen Aufklärung viele Poeten entzückte. Vergil war sein Vorbild (wie für alle Stadtflüchtigen), der in seinen „Eklogen“vor 2060 Jahren in interessanten Zeiten Roms auch den Rückzug aufs Land empfahl.
Aber was macht man dort, unter all den Ziegen, Rindern und Schafen? Wird es urbanen Gemütern, die endlich wieder Party machen wollen, nicht langweilig im Schatten mediterraner Bäume? Nein! Arkadien lädt immerwährend zum Chillen ein, mit Typen wie Tityrus, Meliboeus und Alexis, bis sich die Gelegenheit ergibt, mit Nymphen zu flirten. Ein Hirtenlied ergibt das andere, und schon befinden sich die SängerInnen im schönsten Duett, Terzett oder Quartett. So attraktiv ist diese bukolische Gegend, dass eine hohe Kunst wie die der Oper ohne Arkadien unvorstellbar wäre.
Den coviden Herbst werden wir uns also hier in Erdberg pastoral vergolden. Ja, es ist Zeit, Tassos „Aminta“und Guarinis „Il pastor Fido“zu studieren, mit sanftem Bemühen. Danach hören wir uns vielleicht eine schöne Galatea an, von Vittori, eine heroische von Lully, eine vollendete von Händel oder von Haydn.
Warum nicht auch wieder einmal Mozarts jugendliches Singspiel „Bastien und Bastienne“? Spätestens im Advent sind wir reif für Monteverdis „L’Orfeo“. Anfangs wird diese Favola in Musica fröhlich von Nymphen und Hirten beseelt. Da verkündet die Botin dem Sänger das Unheil. Ängstliche können nun zurückbleiben, ehe es ab in die Unterwelt geht. Allerdings entgeht ihnen die kunstvollste Arie.