Der alte Mann und das Netz
Kammerspiele. „Monsieur Pierre geht online“wurde von Werner Sobotka recht flott inszeniert. Wolfgang Hübsch lebt sich lustvoll aus in dieser leichten französischen Komödie.
Ein pensionierter Buchhändler sitzt in seiner Wohnung. Sie sieht wie ein Antiquariat aus. Fast mutet die von Walter Vogelweider gestaltete Bühne der Wiener Kammerspiele wie ein Bunker an – volle Regale, sogar die Sitze bestehen aus Stapeln von Büchern. Pierre (Wolfgang Hübsch) hat sich eben einen Super-8-Film angesehen, in dem eine junge Frau am Strand herumtollt. Bilder aus längst vergangenen glücklichen Tagen. Es ist, wie sich später herausstellt, seine Frau, die vor zwei Jahren starb. Da versteht man dann, warum sich dieser fast schon 81 Jahre alte Mann völlig zurückzieht.
Dafür tadelt ihn seine gestresste Tochter Sylvie (Susa Meyer). Sie versucht ihn aufzurütteln, hat für ihn ihren alten Laptop mit. Der Vater solle doch Neues wagen. Nach kurzem Sträuben agiert er lustvoller als erwartet. Mit aller Macht bricht die digitale Welt ins Analoge ein. Die romantische Liebe aber bleibt, was sie immer war – der Stoff, aus dem die verträumtesten Komödien sind.
Die Powerfrau muss viele aushalten
2017 schrieb Filmregisseur Stephane´ Robelin dem Erz-Spaßmacher Pierre Richard die Rolle des Pierre auf den Leib: „Un profil pour deux“ist eine gut funktionierende Beziehungskomödie. Folke Braband hat das Skript für die Bühne verschlankt. Gut so. Werner Sobotkas Inszenierung von „Monsieur Pierre geht online“, die am Donnerstag in den Kammerspielen Premiere hatte, ist ein allerliebstes Lustspiel, das verhalten beginnt und in 130 Minuten (inklusive Pause) stetig an Dynamik gewinnt. Am Ende hat man bei all den nur scheinbar harmlosen Späßen fast vergessen, dass eine Pandemie die ganze Welt weiter im Würgegriff hält. Man lacht über Sehnsüchte wie Ängste eines steinalten Mannes und jüngerer Menschen, die ebenfalls Verluste beklagen, die nur selten Glück haben. Großer Applaus am Ende.
Insbesondere galt er Wolfgang Hübsch, dem die Rolle des grantelnden, verschrobenen, listigen Alten ebenfalls perfekt passt. Er lebt sich darin lustvoll aus, wird dabei von exzellenten Mitspielern unterstützt. Susa Meyer macht die Rolle der genervten Powerfrau zum Exzess der Strenge. Die Bücherwände drehen sich, die Szene verwandelt sich flott in ihr blitzblankes Appartement. Neben ihrem Beruf hat Sylvie nicht nur den Vater zu betreuen, sondern auch die nächste Generation zu versorgen. Sie hofft, dass ihre Tochter (Larissa Fuchs) endlich einen Job kriegt. Juliette wirkt vor allem verhärmt. Sie hat eine Trennung noch nicht überwunden, aber bereits einen Neuen in die mütterliche Wohnung einziehen lassen: Alex (Claudius von Stolzmann) ist ohne Einkommen und als Autor bisher noch recht erfolglos. Sylvie vergattert ihn also dazu, ihrem Vater Grundlagen an Computerkenntnis beizubringen.
Pierre verwandelt sich in Pierrot
Pierre lernt schnell. Bald ist er im Skypen versiert und im Durchforsten von DatingPortalen. Auf Video-Screens kann man das verfolgen. Punktgenau harmonieren die beiden Schauspieler in den Gags. Pierre weiß nicht nur den 50 Jahre jüngeren Alex zu manipulieren, dessen Foto er für einen Aufriss im Netz als eigenes ausgibt. Schon hat er die bezaubernde Physiotherapeutin Flora an der Angel, die ebenfalls den Verlust des Partners zu verschmerzen hat. Martina Ebm spielt sie fantastisch sentimental. Blicke wie aus der Stummfilmzeit, längst entwöhntes Sehnen. Sie schwärmt für die schöne Sprache des Seniors im Netz, der sich dort Pierrot 89 nennt, und schmachtet, als wäre er Cyrano de Bergerac. Sie verliebt sich in Alex, der von Pierre zu einem realen Treffen mit Flora gedrängt wurde. (Die Wände drehen sich fürs Date in einer Brüsseler Bar.)
Bald aber sind alle wieder in Paris, selbst der Exfreund Juliettes taucht auf. Wie löst man solche Verwirrungen? Am besten, indem sich alles munter weiterdreht.