Die Frau hinter den Schleiern
Biografie. Die weltberühmte Josephine Baker nur als glamourösen Revuestar zu sehen greift zu kurz. Eine neue Biografie zeigt eine kämpfende, verletzbare und komplizierte Frau.
Josephine, geboren am 3. Juni 1906. Ein Leben, das in einer Sackgasse begann. Die Mutter überfordert, der Vater weg, zu wenig Essen, zu wenig Kleidung, zu wenig Liebe. Das Kind, ohne soziale und emotionale Stabilität, lebte auf der Straße, lernte seine Lektionen für das Leben schon früh. Das Dilemma ihrer Hautfarbe kam hinzu, die Mutter schwarz, der Vater weiß, sie gehörte nirgends dazu und wurde als Teenager von beiden Seiten ins Visier genommen.
Sie sagte später: „Ich wurde Tänzerin, weil ich in einer kalten Stadt geboren bin (Anm.: sie meint St. Louis) und während meiner ganzen Kindheit entsetzlich gefroren habe. Mit geschlossenen Augen träumte ich von Städten im Sonnenlicht, von wundervollen Theatern, von mir im Scheinwerferlicht.“Das war keine reine Utopie: Seit dem Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs hatte sich eine Unterhaltungsindustrie von Schwarzen für Schwarze etabliert, das Vaudeville, ein Theatermix aus Musik, Tanz, Komik und Akrobatik, die Jazzmusik wurde als genuin afroamerikanisch erkannt.
Auch für Josephine war das ein Weg aus der Sackgasse. Wenn das dürre Mädchen, dem man die Armut von Weitem ansah, sich als Showgirl auf der Bühne bewegte, brachte sie die Leute zum Lachen. Irgendwann merkte man in St. Louis, dass sie weg war. Josephine verfiel der Magie der Bühne. Jeder Auftritt ein Rausch. Das 1,80 Meter große, kaffeefarbene Revuegirl, das anfangs mit Schielen und Grimassenschneiden den anderen auf der Bühne den Schlussapplaus stahl, schaffte den Aufstieg. Ihr Markenzeichen wurde eine ironische Mischung von lebenssprühendem Tanz und Slapstick.
So eindringlich beschreibt die Autorin einer neuen Josephine-Baker-Biografie auf den ersten Seiten das junge Mädchen, das dabei ist, sich von dem Rassismus und einem Leben in bitterer Armut zu befreien. Wie schon in ihrer Lebensbeschreibung von Margarete Schütte-Lihotzky lässt die deutsche Kulturwissenschaftlerin Mona Horncastle ihr Wissen über die Zeitumstände hineinfließen, und man merkt als Leser sehr bald, wie gut der Zeitpunkt des Erscheinens dieses Buchs gewählt ist. Gerade schickt sich die internationale „Black Lives Matter“-Bewegung an, afroamerikanische und afroeuropäische Geschichte neu zu denken. Es liegt nahe, Josephine Bakers Aufstieg zur Ikone in all seiner Vorbildlichkeit ins Licht zu rücken. Zwar ist es nicht die erste Biografie, die die Schleier rund um diese moderne Salome lüften will, aber es ist eine, die es auf überzeugende und seriöse Weise schafft, in die Nähe dieser Persönlichkeit zu kommen.
Paris, die exzentrische Partystadt
In den 1920er-Jahren war auch in Europa auf der Bühne die erotisch-vitale „Negerkunst“(wie man damals sagte) angesagt und ihr Star wurde Josephine Baker. Sie ging 1925 in die exzentrische Partystadt Paris: „Als die Freiheitsstatue am Horizont verschwand, wusste ich, nun bin ich frei.“Nicht nur sie, Künstler aus der ganzen Welt strömten in das kreative Epizentrum Europas. Afrika und die Kunst der Schwarzen war hier en vogue, Rassentrennung ein Fremdwort. Die Stadt schien geradezu zu warten auf eine All-Black-Show, auf den Rausch des afrikanischen, von der weißen Kultur unberührten Eros. Und auf einen weiblichen Star mit der Figur einer Venus von Modigliani. Sehr schön, wie Horncastle das herausarbeitet, wie Zeitströmungen und das Talent Josephines jetzt zusammenwirkten.
Am 2. Oktober 1925 war es so weit: „La Revue N`egre“hatte Premiere an den Champs E´lyse´es, und als Josephine Baker am 3. Oktober erwachte, war sie berühmt. Ihr Hintern und ihre Schenkel schafften es auf die Titelseiten. Pariser Zeitungen feierten ihren phänomenalen Körpereinsatz, mit dem sie wie eine entfesselte Gliederpuppe beim Charleston die Bühne eroberte, sie tanzte mal auf allen vieren, mal mit durchgestreckten Armen und Beinen, stakste mit erhobenem Hintern über die Bühne, ließ effektvoll die Hüfte kreisen, grimassierte, schielte („tanzte mit den Augen“), zuckte orgiastisch, ließ sich vom Partner in einem lasziven Paarungstanz auf dem Rücken tragen. Alles mit einem schelmischen Lächeln und mit möglichst wenig Bekleidung. Eben so, wie man sich in Paris eine „Revue N`egre“vorstellte.
Natürlich gab es auch Empörung: Das sei eine Ohrfeige für den kultivierten Geschmack. Das stachelte die Bewunderer zu noch mehr Hymnen auf. Paris fühlte sich den Amerikanern mit ihrer dummen Rassentrennung überlegen, war aber selbst nicht klischeefrei, nur halt weniger prüde. Zehn Wochen lief die Revue in dem Theater, während der Auftritt der großen Pawlowa immer wieder verschoben wurde. Dann ging es weiter in den übrigen Cabarets.
Ihr Auftritt im sexuell anspielungsreichen Bananenrock auf der Bühne der Folies Bergere` führte zu dem Image, mit dem sie für immer verbunden blieb. Die ironische Laszivität, das Spiel mit den Klischees von der nackten, schwarzen Venus – all das katapultierte die Baker in den Zenit des Showhimmels.
Zwei Jahrzehnte ihres Lebens hatte Josephine Baker damit verbracht, sich diesen Ruhm zu wünschen, das nächste halbe Jahrhundert musste sie mit ihm fertig werden. Sie berauschte sich an teuren Kleidern, wechselte Freundschaften, Lieben, Wohnungen, hielt sich einen Zoo von Tieren. Josephine, die als Kind nie Liebe erfahren hatte, lebte wie in einem Rausch, ließ sich auf erotische Abenteuer mit Männern und Frauen ein, reiste mit fünfzehn Schrankkoffern. Und sie brauchte Manager, sonst wäre ihr Stern nach einem Jahr wieder gesunken.
Zunächst musste sie aus ihrer Clownrolle heraus und zur Künstlerin und auch Geschäftsfrau werden. Sie gab ihren Namen für Kosmetikartikel her, ein frühes Merchandising-Modell. Josephine, die Marke. Ihre große Popularität nur mit ihrer publikumswirksamen Inszenierung als nackte, exotische Schönheit zu erklären, scheint zunächst naheliegend, wird ihrer Weiterentwicklung aber nicht gerecht.
Zum Tanz kam als Ausdrucksmittel der Gesang hinzu, als neues Medium der Film. Ohne je eine Ausbildung gehabt zu haben, nahm sie 140 Songs, hauptsächlich amerikanische Jazz-Standards, auf. Das im Jahr 1930 speziell für Baker geschriebene Lied „J’ai deux amours“wurde zu ihrer höchstpersönlichen Hymne. Ihre Shows bekamen deutlich mehr Niveau. Ihre Körpersprache beeindruckte Regisseure wie Max Reinhardt, der Architekt Adolf Loos tanzte Charleston mit ihr und entwarf ein Haus für sie. Auch andere Künstler der Avantgarde trafen in ihrem Club ein, sie liebten die erotisch aufgeladene und mondäne Stimmung dort.
„Solche Leute gehören in die Küche“
So wurde Josephine´ (sic!) Baker zu einer ernst zu nehmenden französischen Unterhaltungskünstlerin, die es verstand, ihren Ruhm auch nach den „annees´ folles“, den 20ern, zu erhalten, als Filmschauspielerin. Sie wurde an der Seite von Jean Gabin die erste schwarze Hauptdarstellerin in einem Tonfilm. Ihr Ruhm schützte sie aber nicht vor Rassismus, er blieb eine Konstante in ihrem Leben, nicht zuletzt durch die amerikanischen Touristen in Paris („Solche Leute gehören bei uns in die Küche“). Vor allem in Berlin und Wien erregten ihre Hautfarbe und die „pornografische Tanzvorführung“Anstoß. Von Skandinavien bis Südamerika traf sie auf Jubel und Hass.
Das hinterließ Narben bei ihr, das veränderte ihre Persönlichkeit. Offenbar war Rassismus doch nicht nur ein amerikanisches Phänomen. Das weckt ihren Kampfgeist: Ab 1930 begann ihr Kampf für die Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig von Hautfarbe, Nation und Religion.
Niemand mag so recht glauben, dass gerade Josephine´ Baker eine ernsthafte Rolle im französischen Widerstand spielte. Doch sie nützte ihre Kontakte, um Informationen für Charles de Gaulles Exilregierung und die Alliierten weiterzugeben, zudem trat sie als Truppenunterhalterin auf, aus Dankbarkeit gegenüber dem Land, das sie einst aufgenommen hatte. Horncastle: „Ihr mutiger Einsatz und ihre Leistungen stehen der als Kriegsheldin gefeierten Marlene Dietrich in nichts nach.“
Frankreich gewährte ihr auch ein offizielles Staatsbegräbnis, als sie im April 1975 starb, begraben ist sie auf einem Friedhof in Monaco. Es ist das Verdienst dieser Biografie, dass sie nicht nur den Revuestar, sondern auch den verletzbaren, komplizierten Menschen Josephine Baker wieder zum Leben bringt.