Zweifache Botschaft der archaischen Enthauptungen
Gastkommentar. Es geht um Einschüchterung und die Mobilisierung islamischer Gläubiger.
Menschen mit einem Messer die Kehle durchzuschneiden oder gar sie zu enthaupten, ist gewiss widerlich, doch alles andere als grundlos. Es kann ja nicht Zufall sein, dass viele islamistische Attentäter per se keine Schusswaffen zur Verfügung hätten, wohl aber alle ein Messer in der Schublade.
Auch die Anhänger des Islamischen Staates wählten diese Art der Hinrichtung. Bemerkenswert war das Ausmaß der globalen Aufmerksamkeit, vor allem aber die Qualität der medialen Aufbereitung dieses Tötens. Enthauptet wird nicht in der dunklen Kammer, sondern im grellen Scheinwerferlicht der sozialen Netzwerke. Es wird live getwittert, gepostet, geteilt. Inklusive Allahu akbar . . .
Der Akt der Tötung wird interpretiert als Akt der Bestrafung im Namen jenes Gottes, der beleidigt wurde und dessen Ehre durch Blutrache wiederhergestellt wird. Es ist belanglos, ob wir (Europäer, Christen, Westler, Säkulare) das verstehen können: Das Gegenüber sieht es so. Es geht primär gar nicht um den physischen Tod des Opfers (das meistens völlig willkürlich herhalten muss), sondern um einen zweifachen „geistigen Impuls“. Während wir geschockt den konkreten Menschen betrauern, konzentrieren sich „die Anderen“auf den Täter, die Tat, den Anlass – und: unsere Reaktion. Einschüchterung ist das Ziel. Und wie man sieht, gelingt das prächtig.
Wie in der Antike
Dieser „geistige Impuls“hat aber eine zweite, wichtigere Stoßrichtung: das Kollektiv der (muslimischen) Gläubigen. Sie sollen gemeinschaftlich aufgerüttelt werden, zur Tat animiert, gemeinsam für den Religionsstifter aufstehen und einstehen, wenn nötig zur Waffe greifen. All dies geschieht.
Der „Trick“funktioniert also. Wie? Wenn ich jemanden mit einem Messer enthaupte, dann bediene ich mich einer in der Antike geläufigen Praxis. Wer heute enthauptet, erinnert an den Ursprung damals. Das Damals wird Teil unseres Heute. Mit anderen Worten: Wenn sich heute global alle (Gläubigen) daran orientieren, werden wir triumphieren wie einst (über die Ungläubigen). Ein Grundcredo von Fundamentalisten.
Entgegengesetzte Weltbilder
Dieser in der Hinrichtung selbst hocheffizient inszenierte Rekurs auf die eigene Gründungszeit erklärt auch, warum sich selbst gemäßigte Mitglieder der Religionsgemeinschaft nicht von solchen Attentaten distanzieren können. Wenn sie noch dazugehören wollen, können sie nicht ihren eigenen Gründungsmythos schlechtreden. Wenn sie zudem noch Funktionsträger sind, würden sie sich selbst die Grundlage ihrer Autorität in der Gemeinde entziehen. Wer es dennoch tut, wird angefeindet. Insofern ist es gar nicht im Interesse der öffentlichen Sicherheit, sie dazu aufzufordern.
Hier stehen einander zwei diametral entgegengesetzte Welt- und Menschenbilder gegenüber, die sich nicht nur auf dem Feld der Meinungs- versus Religionsfreiheit duellieren. Noch nicht einmal in der Definition dieser beiden Grundrechte würden sie sich einigen. Offenkundig auch nicht in ihrem Inhalt. Wer das ausblendet, kommt rascher zu Antworten, aber nicht zu einer dauerhaften Lösung.
Wer Gott auf seiner Seite weiß, lässt nicht mit sich reden (in keiner Religion). Ihn zu töten, verbietet sich (in manchen Religionen). Es ist wie mit einem grantigen Nachbarn: Distanz halten und auf bessere Tage hoffen. Religiös verbrämte Gewalt kommt in Wellen und ebbt wieder ab, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Früher bedeutete das Krieg.
Hon.-Prof. MMag. Markus Stephan Bugnyar´ (*1975) studierte Theologie und Religionspädagogik in Wien, Bibelwissenschaft und Archäologie in Israel. Seit Mai 2004 leitet er das Österreichische Hospiz in Jerusalem.