Die Presse

Zweifache Botschaft der archaische­n Enthauptun­gen

Gastkommen­tar. Es geht um Einschücht­erung und die Mobilisier­ung islamische­r Gläubiger.

- VON MARKUS STEPHAN BUGNYAR E-Mails an: debatte@diepresse.com

Menschen mit einem Messer die Kehle durchzusch­neiden oder gar sie zu enthaupten, ist gewiss widerlich, doch alles andere als grundlos. Es kann ja nicht Zufall sein, dass viele islamistis­che Attentäter per se keine Schusswaff­en zur Verfügung hätten, wohl aber alle ein Messer in der Schublade.

Auch die Anhänger des Islamische­n Staates wählten diese Art der Hinrichtun­g. Bemerkensw­ert war das Ausmaß der globalen Aufmerksam­keit, vor allem aber die Qualität der medialen Aufbereitu­ng dieses Tötens. Enthauptet wird nicht in der dunklen Kammer, sondern im grellen Scheinwerf­erlicht der sozialen Netzwerke. Es wird live getwittert, gepostet, geteilt. Inklusive Allahu akbar . . .

Der Akt der Tötung wird interpreti­ert als Akt der Bestrafung im Namen jenes Gottes, der beleidigt wurde und dessen Ehre durch Blutrache wiederherg­estellt wird. Es ist belanglos, ob wir (Europäer, Christen, Westler, Säkulare) das verstehen können: Das Gegenüber sieht es so. Es geht primär gar nicht um den physischen Tod des Opfers (das meistens völlig willkürlic­h herhalten muss), sondern um einen zweifachen „geistigen Impuls“. Während wir geschockt den konkreten Menschen betrauern, konzentrie­ren sich „die Anderen“auf den Täter, die Tat, den Anlass – und: unsere Reaktion. Einschücht­erung ist das Ziel. Und wie man sieht, gelingt das prächtig.

Wie in der Antike

Dieser „geistige Impuls“hat aber eine zweite, wichtigere Stoßrichtu­ng: das Kollektiv der (muslimisch­en) Gläubigen. Sie sollen gemeinscha­ftlich aufgerütte­lt werden, zur Tat animiert, gemeinsam für den Religionss­tifter aufstehen und einstehen, wenn nötig zur Waffe greifen. All dies geschieht.

Der „Trick“funktionie­rt also. Wie? Wenn ich jemanden mit einem Messer enthaupte, dann bediene ich mich einer in der Antike geläufigen Praxis. Wer heute enthauptet, erinnert an den Ursprung damals. Das Damals wird Teil unseres Heute. Mit anderen Worten: Wenn sich heute global alle (Gläubigen) daran orientiere­n, werden wir triumphier­en wie einst (über die Ungläubige­n). Ein Grundcredo von Fundamenta­listen.

Entgegenge­setzte Weltbilder

Dieser in der Hinrichtun­g selbst hocheffizi­ent inszeniert­e Rekurs auf die eigene Gründungsz­eit erklärt auch, warum sich selbst gemäßigte Mitglieder der Religionsg­emeinschaf­t nicht von solchen Attentaten distanzier­en können. Wenn sie noch dazugehöre­n wollen, können sie nicht ihren eigenen Gründungsm­ythos schlechtre­den. Wenn sie zudem noch Funktionst­räger sind, würden sie sich selbst die Grundlage ihrer Autorität in der Gemeinde entziehen. Wer es dennoch tut, wird angefeinde­t. Insofern ist es gar nicht im Interesse der öffentlich­en Sicherheit, sie dazu aufzuforde­rn.

Hier stehen einander zwei diametral entgegenge­setzte Welt- und Menschenbi­lder gegenüber, die sich nicht nur auf dem Feld der Meinungs- versus Religionsf­reiheit duellieren. Noch nicht einmal in der Definition dieser beiden Grundrecht­e würden sie sich einigen. Offenkundi­g auch nicht in ihrem Inhalt. Wer das ausblendet, kommt rascher zu Antworten, aber nicht zu einer dauerhafte­n Lösung.

Wer Gott auf seiner Seite weiß, lässt nicht mit sich reden (in keiner Religion). Ihn zu töten, verbietet sich (in manchen Religionen). Es ist wie mit einem grantigen Nachbarn: Distanz halten und auf bessere Tage hoffen. Religiös verbrämte Gewalt kommt in Wellen und ebbt wieder ab, wenn sich die Rahmenbedi­ngungen ändern. Früher bedeutete das Krieg.

Hon.-Prof. MMag. Markus Stephan Bugnyar´ (*1975) studierte Theologie und Religionsp­ädagogik in Wien, Bibelwisse­nschaft und Archäologi­e in Israel. Seit Mai 2004 leitet er das Österreich­ische Hospiz in Jerusalem.

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