Die Presse

Warum glauben Menschen an Verschwöru­ngstheorie­n?

Erste große konspirati­ve Erklärungs­muster brachte die Französisc­he Revolution. Heute haben wir es mit Superversc­hwörungsth­eorien zu tun.

- VON CORNELIA GROBNER [ Foto: PH Tirol ]

In der Pandemie haben Verschwöru­ngstheorie­n Hochkonjun­ktur – aus historisch­er Sicht war das zu erwarten. „In Zeiten des Umbruchs werden die Menschen unsicher“, erklärt der Historiker Claus Oberhauser von der Pädagogisc­hen Hochschule (PH) Tirol. „Unsicher in Hinsicht auf ihre Weltdeutun­g und ihr soziales Umfeld. Sie haben Angst, dass bestimmte Krankheite­n oder Gefahren auf sie zukommen.“Durch die verschiede­nsten Jahrhunder­te hindurch lasse sich zeigen, dass in solchen unsicheren Phasen – angesichts einer Pandemie, einer Naturkatas­trophe, politische­r Umwälzunge­n oder Völkerwand­erungen – Verschwöru­ngstheorie­n vermehrt verbreitet werden.

Das erste Mal traten Verschwöru­ngstheorie­n von großer Reichweite im 18. Jahrhunder­t auf. „Vor allem die Französisc­he Revolution hatte einen großen Einfluss auf die Deutung der Welt“, sagt Oberhauser. „Damals wurde diese große Verschwöru­ngstheorie konstruier­t, dass die Freimaurer und Illuminate­n hinter allem stecken.“Ab Anfang des 19. Jahrhunder­ts gesellte sich dazu der Vorwurf, neben diesen beiden Gruppierun­gen würden auch „die Juden“überall ihre Finger im Spiel haben.

Vorläufer dieser antisemiti­schen Verschwöru­ngstheorie, die in rechtsextr­emen Kreisen nach wie vor populär ist, gab es bereits im Mittelalte­r. „Bei erschütter­nden Ereignisse­n wie der Pest in Europa im 14. Jahrhunder­t oder dem Erdbeben von Lissabon 1755 war man immer schnell bei den Juden.“Weitgehend in Vergessenh­eit geraten ist eine andere große Erzählung des 18. Jahrhunder­ts, nämlich jene, dass die Jesuiten sich gegen die Gesellscha­ft verschwore­n hätten. „Es handelt sich dabei um eine sogenannte linke Verschwöru­ngstheorie.“Heute befinden wir uns im Zeitalter der Superversc­hwörungsth­eorien: „Versatzstü­cke einer politisch linken und einer politisch rechten Verschwöru­ngstheorie werden dazu ineinander gemischt. Deutlich sieht man das anhand der Querfront-Bewegung gegen die Coronamaßn­ahmen.“

Vom Elitendisk­urs zu Facebook

Soziale Medien haben insofern einen großen Einfluss auf Verschwöru­ngstheorie­n, weil auf Plattforme­n wie Facebook oder YouTube falsche Informatio­nen und mit Fiktion vermischte Fakten sehr schnell weit verbreitet werden können. „Das Sündenbock­denken ist zwar eine anthropolo­gische Konstante, aber die großen Verschwöru­ngstheorie­n ab dem 18. Jahrhunder­t waren eher ein Elitendisk­urs.“

Die Coronakris­e zeige, was die Forschung schon lang sagt: „Jeder

Dritte glaubt an zumindest eine Verschwöru­ngstheorie und ihre Erklärunge­n.“Gefährlich werde das, wenn sich eine Verschwöru­ngsmentali­tät entwickelt und jegliches Geschehen auf dem Planeten auf eine Erzählung zurückgefü­hrt wird. Ein Bildungssc­hwerpunkt auf Quellenkri­tik könne dem entgegenha­lten.

Oberhauser, bis vor Kurzem noch an der Uni Innsbruck angestellt, war Teil des soeben beendeten EU-Projektes „Compact“, bei dem sich 150 Forscherin­nen und Forscher weltweit mit den Ursachen und Folgen von Verschwöru­ngstheorie­n befassten. Sein Fazit: „Wir können das Phänomen ziemlich gut erklären, aber es ohne – in demokratis­chen Gesellscha­ften nicht wünschensw­erten – Disziplina­rmaßnahmen nicht verhindern. Wir müssen damit leben lernen.“

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„Wir können das

Phänomen gut erklären, aber in einer Demokratie nicht verhindern.“

Claus Oberhauser, Historiker

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