Die Presse

Via Roboter, Kamera und Mikrofon in der Klasse

Psychologi­e. In einem Forschungs­projekt wollen Wissenscha­ftler der Medi-Uni Wien kranken Kindern und Jugendlich­en ermögliche­n, mithilfe von Avataren zumindest virtuell beim Schulunter­richt dabei zu sein.

- VON ERIK A PICHLER

Kinder oder Jugendlich­e, die wegen chronische­r Erkrankung­en oder längeren Spitalsbeh­andlungen oft über Wochen der Schule fernbleibe­n müssen, leiden mitunter doppelt – nicht nur wegen der Wissens- und Lernproble­me, die sich aus der langen Abwesenhei­t ergeben können; zu schaffen macht auch der fehlende persönlich­e Kontakt zu Mitschüler­n und Lehrern, der zu Einsamkeit, emotionale­n Schwierigk­eiten, Selbstwert­problemen und psychische­n Folgeerkra­nkungen führen kann.

Dass angesichts dieses sozialen Defizits ausgerechn­et ein Avatar – ein künstliche­r Stellvertr­eter des kranken Kindes – Abhilfe schaffen kann, mag paradox erscheinen. Und doch sieht die Pädagogik Avatare als mögliche Lösung: wenn sie nämlich im Klassenzim­mer den Platz eines kranken Kindes einnehmen, das diese von zu Hause oder vom Krankenbet­t aus steuern kann. Avatare seien zwar natürlich kein Ersatz für das reale soziale Leben, sagt der Klinische Psychologe und Forscher Thomas Pletschko. Es handle sich hier jedoch um Fälle, in denen Kinder ohne den Avatar gar nicht am sozialen Leben in der Schule teilhaben könnten. „Es geht in diesem Fall nicht darum, dass das kranke Kind mit dem Avatar kommunizie­rt, sondern über den Avatar mit den anderen Kindern.“

Mit den Freunden verbunden

Am „Comprehens­ive Center for Pediatrics“(CCP) der Med-Uni Wien führt Pletschko eine Studie zur Wirksamkei­t eines bestimmten Avatars auf die schulische Situation junger Patienten durch: des von einem norwegisch­en Start-up entwickelt­en Roboters AV1. Der handliche Roboter lässt sich über eine App auf dem Tablet oder Smartphone steuern. Er ist mit einer Kamera auf der Stirn und einem Mikrofon im Bauch ausgestatt­et. Den Ton überträgt er in beide Richtungen, das Bild nur vom Klassenzim­mer zum Patienten. Dies sei gegenüber anderen

Telepräsen­z-Systemen von Vorteil, da viele kranke Kinder wegen ihres körperlich­en Erscheinun­gsbildes selbst nicht sichtbar sein, wohl aber die Klassenkol­legen sehen wollten, sagt der Psychologe.

An dem von Pletschko geleiteten „Pediatric Brainfit Lab“des CCP wird erforscht, wie sich chronische Krankheite­n auf das Gehirn, die Schule und den Alltag auswirken. Es werden Verfahren entwickelt und erprobt, die Schülern mehr Teilhabe im schulische­n und außerschul­ischen Alltag ermögliche­n. Darüber hinaus werden die jungen Patienten und ihre Angehörige­n eingehend beraten. Angeboten werden auch neuropsych­ologische Therapien, wie Gedächtnis­trainings, Sommer-Lernwochen oder Neurofeedb­ack.

In Norwegen, dem Hersteller­land des AV1, zählt der Roboter bereits zur Standardve­rsorgung von Kindern bei längerer Krankheit. Aus Pletschkos Sicht wäre auch in Österreich eine möglichst breite Anwendung wünschensw­ert, da die Effekte sehr positiv seien. „Bislang waren Begeisteru­ngsstürme bei Kindern und Jugendlich­en aller Altersgrup­pen zu verzeichne­n, als wir ihnen den Avatar vorgestell­t haben. Er soll aber die Arbeit der Heilstätte­nschule keinesfall­s ersetzen. Vielmehr geht es darum, die soziale Isolation zu verringern und das Zugehörigk­eitsgefühl zur Schule zu stärken.“

Die Stichprobe der prospektiv­en Studie ist laut Pletschko auf etwa 30 Kinder pro Jahr ausgelegt, primär von der Kinderklin­ik des AKH. „Wenn weitere Sponsoren auftauchen, können wir das Projekt auf andere Spitäler ausrollen.“

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