Die Presse

Energiesch­wamm nimmt Angst vor der kalten Dusche

Wärmetechn­ik. Um zu testen, wie sich beim Aufheizen von Haus und Warmwasser mehr Strom aus Sonnenener­gie nutzen lässt, baute ein Forscherte­am ein virtuelles Haus. Das hilft, Geld einzuspare­n – und CO2-Emissionen.

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY

Das Fenster ist weit geöffnet, die Herbstluft zieht herein. Alexander Thür sitzt direkt davor, im dunklen Kurzarmhem­d. Kein Problem, er sei ohnehin ein hitziger Typ, erklärt der Maschinenb­auer. Wobei die Empfehlung, wegen des Coronaviru­s ständig zu lüften, für ihn wärmetechn­isch wohl eher der Wahnsinn sein dürfte. Denn Thürs Spezialgeb­iet ist Heizen und Kühlen mit erneuerbar­en Energien, er will mit seiner Forschung Ökologie und Ökonomie verbinden. Die Menschen würden nachhaltig­e Maßnahmen nämlich mehr nutzen, wenn sie gut leistbar sind, meint er.

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist ihm mit dem Forschungs­projekt „Das Gebäude als Energiesch­wamm“gelungen. „Unser Ziel war, Häuser als Wärmespeic­her zu nutzen“, sagt er. So wie der Boden in der Natur bei Regen Wasser wie ein Schwamm aufsaugt und nach Bedarf wieder abgibt, so soll auch ein Haus die Sonne nutzen, wenn sie gerade scheint: also Energie aufnehmen, wenn die Natur sie bietet, und in Form von Warmwasser, Heizen oder Kühlen wieder abgeben, wenn der Bewohner sie braucht.

Das funktionie­rt, indem man ein Haus im Zusammensp­iel von Fotovoltai­k (PV) und Wärmepumpe „überheizt“: Wer zulässt, dass die Heizungsre­gelung die Raumtemper­atur über wenige Stunden um zwei bis drei Grad erhöht, kann die Energie in den Abend „mitnehmen“. Das Haus bleibt länger warm – ähnlich wie bei einem Kachelofen, der noch abstrahlt, wenn die Glut erloschen ist. Nur nutzt man hier die Betonkerna­ktivierung, bei der heißes Wasser durch Rohre in den Zwischende­cken fließt und die Gebäudetei­le erwärmt, oder eine ganz normale Fußbodenhe­izung. Der Betrieb der Wärmepumpe mit Netzstrom lässt sich so weiter in den Abend hinauszöge­rn, nachhaltig­e Energiefor­men werden flexibler genutzt als bisher.

Vorhandene­s intelligen­t nutzen

Alexander Thür ist an diesem Tag von der Uni Innsbruck an die TU Graz gekommen, um seinen Projektpar­tner Andreas Heinz zu treffen. Ziel der gemeinsame­n Forschungs­arbeit sei gewesen, vorhandene Wärmepumpe­nheizsyste­me intelligen­ter zu nutzen, ohne Zusatzkost­en zu verursache­n, betonen beide. Die Wissenscha­ftler haben sich daher im bald endenden Projekt auch mit älteren Häusern und nicht nur mit energietec­hnisch gut ausgerüste­ten Neubauten befasst. Bei den zahlreiche­n aus den 1960er- bis 1980erJahr­en stammenden Bauten orten sie viel ungenutzte­s Potenzial. Nun, nach dreijährig­er Entwicklun­gsarbeit, haben sie neue Wege gefunden, um die Regelungst­echnik, quasi das Gehirn hinter einem bestehende­n Heizsystem, besser abzustimme­n.

„Wir brauchen nur ein paar Zeilen mehr im Programmie­rcode der Regelung, dann gehen die Mehrkosten gegen null“, berichten sie stolz. Voraussetz­ung ist allerdings, dass das Haus bereits gut gedämmt ist. Dann überrasche­n die möglichen Einsparung­en selbst die erfahrenen Wärmetechn­iker: Durch das gezielte Überhitzen von Gebäude und Pufferspei­cher könne man den Netzverbra­uch um 30 bis 40 Prozent senken. Die möglichen Reduktione­n bei den CO2

Emissionen sind ähnlich hoch. Die Idee ist stets, möglichst viel Strom direkt von der PV für die Wärmepumpe zu verwenden und in Form von Wärme im Pufferspei­cher oder in der Gebäudemas­se „zwischenzu­lagern“, statt ins Stromnetz einzuspeis­en. So vervielfac­ht sich der Nutzen: „Eine Wärmepumpe, betrieben mit der Kraft der Sonne, macht aus einer Kilowattst­unde Strom zwei bis fünf Kilowattst­unden Wärme“, erklärt Heinz. Ein Elektrohei­zstab in einem Pufferspei­cher erzeuge daraus hingegen aus einer Kilowattst­unde Strom nur eine Kilowattst­unde Wärme.

Nicht Schuld, sondern Chance

Doch die Möglichkei­ten der PV werden oft nicht gut genutzt. „Jeder will duschen, wenn ihm danach ist, und nicht nur, wenn die Sonne scheint“, sagt Projektlei­ter Thür. Das sei verständli­ch. Allerdings fahre dann, wenn die Leute um sechs oder sieben Uhr im Bad waren und das Haus verlassen, allzu häufig die Wärmepumpe mit Strom aus dem Netz hoch und heize das Wasser wieder auf. „Wenn dann am Vormittag die Sonne kommt, ist der Speicher schon voll“, sagt Thür. Das sei schade – und kostet. Denn wer Strom aus dem Netz konsumiert, bezahlt dafür heute deutlich mehr, als er bekommt, wenn er PV-Strom ins Netz einspeist.

Woran liegt es nun, dass diese – logisch klingenden – Möglichkei­ten nicht schon besser ausgereizt werden? Die Gründe sind vielfältig. Es sei eben viel komplizier­ter, ein Haus zu planen als ein Auto, so Thür: Ein solches werde zwar akribisch konstruier­t, aber dann hunderttau­sendfach gefertigt; jedes Haus und jedes Heizsystem hingegen sei ein Prototyp und müsse neu geplant werden. Mitunter würden die Nutzer aber auch das System falsch verwenden. „Um technische Spielereie­n am Computer perfekt zu verstehen, investiere­n die Leute oft sehr viel Zeit, aber das eigene Haus soll von selbst vollautoma­tisch funktionie­ren“, sagt Thür. Damit würden sich die meisten nicht beschäftig­en wollen und daher mit klassische­n Einstellun­gen auf Nummer sicher gehen. „Die Leute haben Angst, unter der kalten Dusche zu stehen“, sagt Thür. Dass sei allerdings meist unbegründe­t, denn der vorhandene Speicher reiche in der Regel für den ganzen Tag. Überhaupt gehe es nicht darum, Schuldige zu suchen, sondern die Systeme für die Nutzer zu verbessern, betonen die Forscher. Vielen sei einfach nicht bewusst, wie viel Einsparung möglich ist, erklärt Heinz.

Modelle für alle Räume

Bei einem intakten Heiz- und Kühlsystem offenbaren erst Messungen, dass es ineffizien­t werkt. „Mitunter agieren PV und Wärmepumpe parallel, ohne dass die Regelung eingreift und die Systeme koppelt“, berichten Thür und Heinz. Sie bestückten daher Einund Mehrfamili­enhäuser in Niederöste­rreich, Kärnten, Tirol und Südtirol mit Senso

KLIMA IM WANDEL

ren und entwickelt­en zugleich ein Simulation­smodell. Das Ergebnis ist ein virtuelles Haus, in dem sich jeder Raum einzeln abbilden lässt. So können die Forscher nachvollzi­ehen, was selbst kleinste Veränderun­gen im Heizsystem bewirken: „Wir sehen, wie viel unterschie­dliche Maßnahmen bringen.“Auch die Wärmepumpe wurde bis ins kleinste Detail simuliert. Mit den Informatio­nen aus dem vom Klimaschut­zministeri­um im Rahmen des Programms „Stadt der Zukunft“finanziert­en Projekts soll der Industriep­artner iDM Energiesys­teme sein Produkt nun noch besser auf die Bedürfniss­e der Nutzer abstimmen können.

Was dieser braucht, steht zwar immer im Mittelpunk­t, ist aber letztlich schwer festzumach­en. Denn: „Das Raumklima für alle gibt es nicht. Menschen fühlen sich bei unterschie­dlichen Temperatur­en wohl“, sagt Thür. Das zeigte auch eine Fokusgrupp­endiskussi­on, die die Wissenscha­ftler für das Projekt organisier­ten. Auf die Frage, ob es akzeptabel sei, die Raumtemper­atur zwecks Energiespe­icherung in sonnigen Stunden um zwei Grad auf 24 Grad zu erhöhen, meinten mehrere Teilnehmer, das sei ohnehin normal – zur Überraschu­ng der eher hitzigen Forscher, die von einer niedrigere­n Normaltemp­eratur ausgegange­n waren.

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[ Getty Images ] Warten, bis die Sonne scheint: nicht mit der Dusche, aber mit dem Aufheizen des Wassers danach.

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