Bakterien als „grüner Turbo“für Kosmetika und Medikamente
Biotechnologie. Bakterien sind als Krankheitserreger verschrien. Bestimmte Stämme könnten jedoch dazu beitragen, Medikamente und andere Chemieprodukte umweltfreundlicher und billiger herzustellen. Grazer Forscher arbeiten daran.
Arzneimittel, Kosmetika, Aromastoffe oder auch Plastikprodukte: Viele dieser Artikel, die wir täglich verwenden, basieren auf Chemikalien, deren Erzeugung aus ökologischer Sicht als höchst bedenklich einzustufen ist. Sogar Schwermetalle werden mitunter eingesetzt, um als Katalysatoren die chemischen Reaktionen zur Anfertigung der Ausgangsstoffe in Gang zu setzen. Ein Forscherteam der TU Graz rund um Institutsleiter Robert Kourist will diese Prozesse nun umweltfreundlicher und gleichzeitig auch kostengünstiger machen.
„Unser Ziel ist, nur Licht, Wasser und CO2 zu verwenden“, sagt Kourist. Unterstützung bekommt er dabei von ungewöhnlicher Seite: Bakterien – in der Beliebtheitsskala des Durchschnittsösterreichers eher am unteren Ende angesiedelt – sind bei Biotechnologen heiß begehrt, weil manche von ihnen mit gezielt eingeschleusten Enzymen als Katalysatoren fungieren und damit die Schwermetalle ersetzen können.
Speziell Cyanobakterien, die auch als Blaualgen bekannt sind und das sommerliche Badevergnügen im Meer verderben, sind für die Forscher aufgrund ihrer Fähigkeit zur Fotosynthese attraktiv. Sie binden
Kohlendioxid aus der Atmosphäre und wandeln es mithilfe von Licht besonders effektiv in jene chemische Energie um, die die Enzyme benötigen, um ihre katalytische Wirkung zu entfalten.
Andere biologische Katalysatoren wie Hefe sind zwar bereits in der Industrie im Einsatz, beziehen diese Energie aber aus großen Mengen von Zucker, die ihnen als Wachstumsgrundlage dienen. Das wiederum beansprucht Anbauflächen, die der Nahrungsmittelproduktion verloren gehen, ist also wenig nachhaltig. „Da Cyanobakterien sich die Energie aus der Fotosynthese holen, steht ihr Einsatz nicht im Konflikt mit anderen Nutzungen“, sagt Kourist.
Hürden überwinden
Was in der Theorie gut klingt, steht in der großindustriellen Umsetzung allerdings vor Hürden. „Um die Fotosynthese-Fähigkeit zu nutzen, werden die mit den Enzymen angereicherten Laborbakterien gezielt mit Licht bestrahlt“, erklärt der Grazer Wissenschaftler. „Wachsen sie jedoch sehr dicht, bekommen nur die außen angesiedelten Zellen genug Licht. Jene im Inneren können ihr fotosynthetisches Potenzial nicht voll ausschöpfen.“Daher geht die Energieumwandlung nur sehr langsam vor sich.
Gemeinsam mit Forschern der deutschen Ruhr-Universität Bochum hat das Grazer Team nun eine Möglichkeit gefunden, die Geschwindigkeit zu erhöhen. „Wir haben durch einen gezielten Eingriff in die Gene der Cyanobakterien einen Schutzmechanismus vor Lichtfluktuationen ausgeschaltet“, erläutert Hanna Büchsenschütz, Doktorandin an der TU und Erstautorin einer kürzlich im Fachjournal ACS Catalysis veröffentlichten Studie.
„Dieser Schutz ist unter den kontrollierten Bedingungen im Labor nicht notwendig, verbraucht aber Energie, die nun in die fotosynthetische Zielreaktion einfließt.“„Diese läuft damit doppelt so schnell“, ergänzt Kourist, „und ist vergleichbar mit der Effektivität etablierter Biokatalysatoren – nur eben mit dem Vorteil der größeren Umweltverträglichkeit.“Dadurch, dass es keine Reagenzien gibt, die am Ende des Prozesses wieder entfernt und, wie im Fall des Schwermetalls, kostenintensiv entsorgt werden müssen, fallen beim Einsatz der Fotosynthese auch weniger Arbeitsschritte an, was weniger Energie verbraucht und den Gesamtvorgang billiger macht.
Darüber hinaus versucht die Forschergruppe, die Kultivierung der Bakterien zu optimieren. Seit etwa drei Jahren wachsen und gedeihen die Kulturen an der TU Graz in gläsernen Röhren und Kolben. „Wenn man die Lichtquelle direkt in die Zellsuspension hineinbringt, können die Zellen viel mehr Licht aufnehmen“, sagt Kourist. Dieser Ansatz wurde durch die Entwicklung von Mini-LEDs möglich und bietet sehr großes Optimierungspotenzial.
„Für eine erfolgreiche Etablierung der Algenbiotechnologie wird es jedoch nötig sein, dass Molekularbiologie und Verfahrenstechnik noch intensiver zusammenarbeiten.“Daher fordert der Experte eine umfassende interdisziplinäre Forschung ein.
LEXIKON
Biokatalysatoren sind natürliche Wirkstoffe, die Stoffwechselvorgänge in einem Organismus ermöglichen, verlangsamen oder beschleunigen. Sie selbst gehen unverändert aus der Reaktion hervor und können daher wiederholt eingesetzt werden. Beispiele sind die Verwendung von Bakterien, Hefe oder Pilzen bei der Herstellung von Wein, Bier oder Käse. Auslöser der Katalyse sind Enzyme, die zumeist die für einen Vorgang benötigte Aktivierungsenergie herabsetzen, sodass dieser starten kann. Auch in der pharmazeutischen Industrie werden Biokatalysatoren eingesetzt, um giftige Stoffe mit ähnlicher Funktion zu ersetzen.