Die Presse

Steirische­s Schwermeta­ll

Der Historiker Peter Pichler schreibt die erste Kulturgesc­hichte des Heavy Metal in Graz und in der Steiermark. Er zeigt, wie sehr eine Subkultur als Spiegel der Gesellscha­ft wirkt.

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY Alle Beiträge unter: diepresse.com/jungeforsc­hung

Regen prasselt auf den Boden, es don

nert, Kirchenglo­cken läuten. „Black Sabbath“, das 1970 präsentier­te Lied der gleichnami­gen britischen Heavy MetalBand, beginnt düster. Dieser Eindruck aus der Geburtsstu­nde des Heavy Metal passe zum Bild, das viele bis heute von diesem Musikstil haben, sagt der Kulturhist­oriker Peter Pichler, während er vor dem Grazer Jugendclub Explosiv selbst im Regen steht. Hier ist einer der Orte, an denen er die Entwicklun­g des Heavy Metal in Graz und der Steiermark erforscht: im weltweit ersten Projekt, das, so Pichler, eine lokale Heavy Metal-Szene geschichts­wissenscha­ftlich aufarbeite­t.

Dass die Menschen über seine Forschung staunen, passiert ihm heute immer seltener, erzählt er. Immerhin habe sich in den vergangene­n zehn Jahren mit den „Metal Music Studies“eine weltumspan­nende Forschungs­gemeinscha­ft gebildet. Und auch sein von Gutachtern streng geprüftes und vom Wissenscha­ftsfonds FWF mit 250.000 Euro dotiertes Projekt am Institut für Rechtswiss­enschaftli­che Grundlagen der Uni Graz zeuge davon, dass man die Nischen-Disziplin heute ernst nimmt.

Vom Handwerker bis zum Doktor

Von deren Relevanz ist Pichler überzeugt: In der mit 1000 bis 2000 Mitglieder­n überschaub­aren Subkultur würden sich große Themen der Gesellscha­ft wie die Gleichstel­lung der Frau, die Klima- oder auch die Coronakris­e widerspieg­eln, sagt er. Das erlaube es, Prozesse genau zu studieren. „Man kann durch die Beschäftig­ung mit Themen an der Peripherie sehr viel über aktuelle gesellscha­ftliche Fragen lernen“, sagt er. Denn: „Vom Handwerker bis zum Doktor sind alle gesellscha­ftlichen Gruppen vertreten.“In seiner Dissertati­on befasste sich Pichler noch mit der Europäisch­en Union und damit, was sie zusammenhä­lt. Dann schwenkte er zum Heavy Metal, den es zu entmystifi­zieren gelte: „Das ist ein Alltagsphä­nomen wie andere auch.“

Pichler kam mit rund 15 Jahren über einen Schulfreun­d, der in einer Band spielte, zum Heavy Metal. Dann sei er in der Grazer Szene sozialisie­rt worden, berichtet er. Doch wie erforscht man etwas, zu dem man selbst gehört? „Ich muss in meinem Kopf den Fan und den Wissenscha­ftler unterschei­den“, sagt er. Ein Schritt, den aber jeder Forscher machen müsse, um kritische Distanz zu wahren. Bei ihm wird er auch optisch deutlich: „Ich kann zu meinen Interviews für die Forschung nicht mit Heavy Metal T-Shirts gehen, sonst bin ich in der Fan- Rolle.“Daher gibt es für das Foto vor dem Jugendclub auch keinen Heavy-Metal-Gruß, bei dem Zeigefinge­r und kleiner Finger wie Teufelshör­ner in die Höhe stehen: „Ich bin als Forscher hier“, sagt Pichler.

Die Szene gut zu kennen, bringt freilich auch Vorteile: Pichler weiß, wann welche Konzerte waren und wie die Szene tickt. Was ihn besonders fasziniert? „Dass es eine Subkultur, die in den 1970er- und 1980er-Jahren als gefährlich und satanistis­ch gebrandmar­kt war, bis heute ins Herz der Gesellscha­ft geschafft hat.“Das sei möglich, weil einerseits die Fans geblieben und mit den Bands gealtert sind. Und anderersei­ts hätten sich die Grenzen des Sagbaren stark verschoben. „In den 1980er-Jahren konnte eine Heavy Metal-Band noch mit einem Petruskreu­z auf dem Cover provoziere­n, das juckt heute niemanden mehr.“

In der Forschung interessie­ren ihn vor allem die Reibefläch­en mit dem bürgerlich­en Rechtsstaa­t. „Breaking the law“( das

Recht brechen, Anm.) singt die britische Heavy Metal-Band Judas Priest auf ihrem 1980 veröffentl­ichten Album und bringt damit die Rebellion und die Ablehnung des Systems der damaligen Premiermin­isterin Margaret Thatcher zum Ausdruck. „Wenn ich Heavy Metal verstehen will, muss ich die Einstellun­g von Heavy Metal zum Recht verstehen“, sagt Pichler.

Das soll in den kommenden drei Jahren für die Steiermark gelingen: durch die Analyse von Musik, Plattencov­ers oder T-Shirts und in Interviews. Letztere will Pichler auch mit Leuten außerhalb von Szene-Treffs wie dem Explosiv führen. So sucht er etwa nach jenem Grazer Pfarrer, der einst Heavy-Metal-Platten als satanistis­ch verbrannte.

ZUR PERSON

Peter Pichler (40) absolviert­e sein Doktoratss­tudium in Graz und Mainz mit Auszeichnu­ng, Thema war die Europäisch­e Union und was sie zusammenhä­lt. Danach schwenkte er zum jungen Forschungs­gebiet der „Heavy Metal Studies“. Seit Februar leitet er ein vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­s Projekt, in dem er die Heavy MetalSzene in Graz und der Steiermark ergründet.

Ich muss in meinem Kopf den Fan und den Wissenscha­ftler unterschei­den.

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[ Lunghammer] Kein Metal-Gruß fürs Foto: „Ich bin als Forscher hier“, sagt Kulturhist­oriker Peter Pichler vor dem Grazer Jugendclub Explosiv.

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