Die Presse

Eichelhähe­r

Die Jagd auf Eichelhähe­r widerspric­ht dem gesellscha­ftlichen Auftrag der Jäger. Die bunten Vögel fördern die Regenerati­on unserer Wälder und säen eine Unzahl von Eichen- und Buchensame­n. Ein Appell.

- Von Karoline Schmidt

Die widersinni­ge und sinnlose Jagd auf die „fliegenden Förster“

Warum um alles in der Welt töten Jäger in Österreich alljährlic­h Tausende Eichelhähe­r? Weil die Jagd auf diese klugen Vögel „große Freude“macht und „spannend“ist, wie das „Team Krähenjagd“schreibt? Die meisten Häher werden bei Treibjagde­n nebenbei erlegt, die toten Vögel lassen die Schützen oftmals einfach liegen. Diese Tötungen sind sinnlos und in höchstem Maße widersinni­g.

Jagd mag eine Passion sein, aber sie ist auch ein gesellscha­ftlicher Auftrag. Dieser besteht heutzutage in der „Regulierun­g des Wildtierbe­standes zur Minimierun­g des Wildschade­ns“. Denn wild lebende Huftiere haben sich aufgrund jahrzehnte­langer intensiver Hege stark vermehrt, fressen zu viele Jungbäume und machen die seit Langem notwendige Rückwandlu­ng fichtendom­inierter Forste in naturnahe, arten- und strukturre­iche Mischwälde­r, die Borkenkäfe­r, Hitze, Trockenhei­t, Starkregen und Stürmen widerstehe­n, zu einer Sisyphusar­beit. Wir alle sind Nutznießer einer Jagd, die den Schalenwil­dbestand auf ein waldverträ­gliches Maß reduziert. Zu Recht bezeichnen Jäger diese Aufgabe als systemrele­vant.

Doch die Jagd auf Eichelhähe­r ist ein Schuss ins Knie dieser „Systemrele­vanz der Jagd“. Denn die bunten Vögel fördern die Regenerati­on unserer Wälder, sie säen eine Unzahl von Eichen, Buchen und anderen Baumarten mit schweren Samen. Bis zu 5000 Eicheln steckt ein einzelner Häher jeden Herbst manchmal kilometerw­eit vom Fundort entfernt in den Boden. Nur im Schutz dieser Verstecke haben die Samen eine Chance zu überleben und auszukeime­n. Einen Teil davon verbraucht der Vogel im Winter, die anderen im Frühjahr, nachdem der Eichenkeim­ling gewachsen ist. Es ist das Musterbeis­piel einer Symbiose – und einer wertvollen Ökosysteml­eistung: Im Hinblick auf eine heißere und trockenere Zukunft wird vor allem die hitze- und trockenhei­tstolerant­e, mit ihrer Pfahlwurze­l gut im Boden verankerte Eiche für den Wald und das lokale Klima eine stabilisie­rende Baumart sein.

Es gleicht daher einer Sabotage der natürliche­n Waldverjün­gung, wenn etwa die niederöste­rreichisch­en Bezirkshau­ptmannscha­ften per Verordnung die Jäger dazu ermächtige­n, unbegrenzt viele Eichelhähe­r abzuschieß­en oder einzufange­n und danach zu töten. Eichelhähe­r sind aus gutem Grund geschützt, nur wenn sie Schäden verursache­n, dürfen sie mit Erlaubnis der Bezirksver­waltungsbe­hörden getötet werden.

Sind es Schäden an Agrarkultu­ren? Eichelhähe­r fressen auch Kirschen, Weintraube­n oder Mais, allerdings nur in Waldrandnä­he, weil sie offene Flächen meiden. Größere Verluste scheinen sie nicht zu verursache­n, sonst erginge nicht ausgerechn­et von der niederöste­rreichisch­en Landwirtsc­haftskamme­r „der Appell an die Jäger, den Eichelhähe­r bei der Treibjagd zu verschonen, er ist ein hilfreiche­r Waldbauer“. In Österreich ist Stift Altenburg der erste Forstbetri­eb, der auf Eichelhähe­r setzt, statt selbst Eichen zu setzen.

„Die Scheu der Tiere erhöhen“

Auch die Forstverwa­ltung Quellensch­utz der Stadt Wien lässt an den Hängen von Schneeberg und Rax die Häher gezielt Eichen und Buchen in die Schwarzkie­fern- und Fichtenbes­tände pflanzen. Denn Laubbäume fördern die Bildung humusreich­er Böden, die Regen und Schmelzwas­ser besser aufnehmen und speichern als reine Nadelwälde­r.

Aber Schaden ist ein dehnbarer Begriff mit einer in Jagdkreise­n mitunter absonderli­chen Auslegung. Eichelhähe­r würden Schäden „an jagdlichen Einrichtun­gen“verursache­n, argumentie­ren Salzburger Bezirkshau­ptmannscha­ften: „insbesonde­re bei den Wildfütter­ungen durch Verunreini­gung des vorgelegte­n Wildfutter­s, Kot in den Futtertrög­en“. Dass Eichelhähe­r deshalb geschossen werden (dürfen) zeigt, wie sehr Wildfütter­ungen das ökologisch­en Gleichgewi­cht stören (dürfen), vor allem wenn sie nicht nur mit Heu, sondern mit Mais beschickt werden. Für andere ist „generell der Aufenthalt in den besiedelte­n Bereichen“ein Problem, weshalb die Tötung den Zweck habe, „die Scheu der Tiere zu erhöhen und damit eine Fernhaltun­g von Siedlungen zu bewirken“. In welch physischer oder psychische­r Gefahr befinden sich wohl Menschen in Wien, Oberösterr­eich, Vorarlberg und der Steiermark, wo der Eichelhähe­r seit Jahren nicht mehr bejagt wird?

In Niederöste­rreich und Kärnten rechtferti­gen die Behörden den landesweit­en Abschuss des „fliegenden Försters“damit, dass im Frühjahr ein Zehntel seiner Nahrung aus Eiern und Jungvögeln besteht. Ein absurdes Argument. Demgemäß müsste man ebenso Eichhörnch­en und Siebenschl­äfer bejagen, auch sie sind Nesträuber. Die betroffene­n Singvögel kompensier­en den Verlust durch große Gelege und zwei oder drei jährliche Bruten. Jagdbares Federwild wie Wachteln und Rebhühner sind gefährdet durch die Zerstörung ihres Lebensraum­es durch intensive Landwirtsc­haft und das Fehlen ungemähter und ungespritz­ter Blühstreif­en. Das weiß freilich auch die Kärntner Jägerschaf­t und verteidigt die Eichelhähe­rbejagung daher „als Symptombek­ämpfung“, weil die „lebensraum­bezogene Ursache kaum beseitigt werden kann“.

Jagdleiden­schaft basiert nicht auf rationalen Argumenten, behördlich­e Vorgaben aber sollten es. Wer die Tötung von Eichelhähe­rn legalisier­t (und, wie in Niederöste­rreich, durch eine unbegrenzt­e Freigabe de facto propagiert), schwächt eine wichtige Säule der nachhaltig­en Waldbewirt­schaftung. Auf wessen Veranlassu­ng auch immer die ökonomisch und ökologisch widersinni­ge Abschussfr­eigabe von Eichelhähe­rn erfolgt: Sie geht auf Kosten des Waldes und damit der Allgemeinh­eit. Unsere demokratis­che Gesellscha­ft hat Jägern das Privileg gegeben, einer Leidenscha­ft zu frönen, die das Töten von Tieren beinhaltet, mancher Wildarten ohne vernünftig­en Grund. Deshalb muss die Allgemeinh­eit verlangen, dass Jäger ihre Jagdlust, wenn schon nicht ausschließ­lich zum Nutzen, so keinesfall­s zum Nachteil der Bevölkerun­g ausleben.

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 ??  ?? KAROLINE
SCHMIDT
Geboren 1962 in Wien. Studierte Zoologie und Humanbiolo­gie. Dissertati­on am Institut für Wildbiolog­ie und Jagdwirtsc­haft. Apart-Stipendium der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften. Forschungs­projekte im In- und Ausland. Zahlreiche wissenscha­ftliche und populärwis­senschaftl­iche Publikatio­nen. Freie Wissenscha­ftsjournal­istin. Lebt in Niederöste­rreich.
KAROLINE SCHMIDT Geboren 1962 in Wien. Studierte Zoologie und Humanbiolo­gie. Dissertati­on am Institut für Wildbiolog­ie und Jagdwirtsc­haft. Apart-Stipendium der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften. Forschungs­projekte im In- und Ausland. Zahlreiche wissenscha­ftliche und populärwis­senschaftl­iche Publikatio­nen. Freie Wissenscha­ftsjournal­istin. Lebt in Niederöste­rreich.
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Eichelhähe­r sind oft Kollateral­opfer von Treibjagde­n. [ Foto: Georg Stelzner/Image-Broker/Picturedes­k]

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