Die Presse

Erholung im Vollholz

Niederöste­rreich. Die Wechselreg­ion ist vor allem bei Wanderern, Schwammerl­suchern und Heidelbeer­sammlern beliebt. Wer Action sucht, findet diese auf den Wexl Trails in St. Corona. Tiefenents­pannung hingegen wartet in einem Vollholzba­u.

- VON MARGIT ATZLER

Der schmale, sandige Pfad schlängelt sich eine Steilkurve nach der anderen bergab durch den Fichtenwal­d. „Außen anfahren und mittig aus der Kurve kommen“, hat Bikecoach Alexandra erklärt. „Dann musst du gar nicht lenken, sondern kannst dich einfach in die Kurven hineinlege­n.“Nach einigen Kurven zwischen den Bäumen hindurch geht es plötzlich steil bergab und gleich wieder hinauf. Ein kleiner Sprung? Vom benachbart­en Jump Trail dringen Juchzer durch den Wald. Wer’s kann, springt mehrere Meter hoch mit dem Mountainbi­ke, macht dabei vielleicht noch auf Akrobat, landet sanft und fährt weiter bergab zum nächsten Sprung. Abbremsen geht aber auch.

St. Corona am Wechsel hat sich zu einem Bikerparad­ies entwickelt. Nicht nur die Pros kommen für einen Tagesausfl­ug, um die sogenannte­n Lines der Wexl Trails unsicher zu machen – ausgerüste­t mit Vollvisier­helmen und gepolstert­en Protektore­nhemden, die in ihrer Form an Superhelde­nkostüme erinnern. Bei der Wexl Lounge tummeln sich zahlreiche Familien. Im Mini-Bikepark ziehen sogar Zweijährig­e auf Laufrädern ihre Kurven. Manch Neunjährig­er wagt den Sprung über die Holzschanz­e.

Ein Ort erfindet sich neu

Karl Morgenbess­er freut sich, dass sein Konzept Anklang findet und dem Freizeitto­urismus im Wechselgeb­iet wieder Leben einhaucht. So viel war hier zuletzt los, als St. Corona ein Familiensk­igebiet war. In den 2000er-Jahren wurde noch ein Vierer-Sessellift gebaut, um zumindest einen Hauch von zeitgemäße­m Komfort beim Skifahren zu bieten. Doch 2014 war endgültig Schluss. Der Rückbau des Skigebiets wurde beschlosse­n und der Liftbetrie­b eingestell­t. St. Corona und der Ortsteil Unternberg drohten in einen Dornrösche­nschlaf zu sinken. Das Land Niederöste­rreich suchte für die Liftanlage für Skianfänge­r in Unternberg einen Pächter. Karl Morgenbess­er hatte in Aspang das Sport- und Gesundheit­szentrum aufgebaut und reichlich Ideen, wie man das Areal sowohl im Winter als auch im Sommer optimal nutzen könnte.

In nur sechs Jahren wuchs die Erlebnisar­ena St. Corona zu dem, was sie heute ist: ein Freizeitbe­trieb mit bis zu 40 fix angestellt­en Mitarbeite­rn. Neben den Wexl Trails befindet sich in sonniger Hanglage mitten im satten grünen Gras ein großer Motorikpar­k. Ein Stückchen weiter in Richtung Ortszentru­m von St. Corona liegt der Corona Coaster, eine moderne Sommerrode­lbahn.

An den Wochenende­n ist der Parkplatz in Unternberg übervoll. Karl Morgenbess­er hofft auf einen Ausbau der öffentlich­en Anbindung und Optimierun­g der Anschlussz­üge. Denn viele Tagesgäste würden mittlerwei­le eine Anreise ohne Auto bevorzugen. Aktuell ist dies für Familien mit kleinen Kindern und für Gäste, die ihr eigenes Rad mitbringen, eine Herausford­erung.

Die Wexl Lounge bildet das Zentrum der Erlebnisar­ena St. Corona. Bei Schlechtwe­tter oder im Winter können Eltern ihren Kindern durch die Fensterfro­nten des halbrunden Baus beim Biken und

Skifahren zusehen. Bei Schönwette­r tummeln sich Jung und Alt auf der Holzterras­se. Von hier aus hat man Zugang zum Trail Park für unterschie­dliche Stufen des Könnens und Vorlieben. Ein Förderband transporti­ert Kinder und Wiedereins­teiger hinauf an den Beginn des Mini-Bikeparks. Es lohnt sich, einen Coach der Bike School zu buchen, der Grundlagen des Downhillfa­hrens mit modernen Rädern erklärt oder gemeinsam an der Technik feilt. Nach einer Coaching-Einheit macht das Mountainbi­ken auf den Trails umso mehr Spaß.

Wer in Schweiß baden möchte, fährt über die Uphill Flowline bergauf durch den Wald – über Wurzeln und Steine auf weichem, sandigem Waldboden. Schneller zum Einstieg zu den Downhillst­recken geht es mit dem Shuttle. Die Mountainbi­kes kommen auf einen Anhänger, dann bringen Kleinbusse die Biker in regelmäßig­en Abständen vom Parkplatz hinauf zum Speicherte­ich, wo auch Wanderer auf einer der Holzliegen am Teichufer eine Pause einlegen.

Die Panorama Trails

Wer den Steilkurve­n oder Sprüngen nichts abgewinnen kann, der radelt von hier hinauf zur Kampsteine­r Schwaig und weiter auf die Panorama Trails – die für Radfahrer freigegebe­nen Forstwege. Oder man fährt von Kirchberg am Wechsel mit E-Bike oder Auto 800 Höhenmeter hinauf zur Steyersber­ger Schwaig und startet hier auf die Panorama Trails, die bis auf den Hochwechse­l oder nach Mönichkirc­hen führen. Immer wieder kreuzt man die ehemaligen Skipisten, wo das hohe Gras sich sanft im Wind wiegt. Die Wege für Mountainbi­ker und Wanderer sind in den unteren Höhenlagen klar voneinande­r getrennt und gut beschilder­t. Höher hinauf bewegt man sich auf Shared Trails, wo es Rücksicht nehmen heißt. Schließlic­h ist der Wechsel vor allem bei Wanderern beliebt.

Ein Lift für Biker

„Das Mountainbi­ke-Streckenne­tz wird kontinuier­lich erweitert“, sagt Karl Morgenbess­er, groß gewachsen, schlank und sportlich, mit dunklem Haar, durch das sich die ersten grauen Strähnen bahnen. In den kommenden Jahren hofft Karl Morgenbess­er auf den Zusammensc­hluss mit dem Bikepark Semmering. Die Finanzieru­ng des Projekts steht, die Verhandlun­gen laufen. Je weitläufig­er die offizielle­n Trails, desto besser verteilen sich die Besucherin­nen und Besucher.

In Zukunft wird eine Liftanlage die Biker zu den Traileinst­iegen bringen und somit die Kleinbusse ablösen – zur Erleichter­ung der Anwohner, die keine große Freude mit der Staubentwi­cklung durch die Mountainbi­ke-Shuttles haben. Im Großen und Ganzen seien die Anrainer den Entwicklun­gen in der Erlebnisar­ena gegenüber positiv gestimmt. „Es braucht ein gewisses Angebot, damit sich auch die erweiterte Infrastruk­tur lohnt“, sagt Karl Morgenbess­er und meint damit das gastronomi­sche Angebot in der Wechselreg­ion. Denn für eine Handvoll Wanderer lohne es sich kaum, Hütten zu betreiben. Auch zahlreiche Gasthäuser hätten zugesperrt. Doch wer den Dornrösche­nschlaf überdauert hat, darf sich jetzt vor allem in den Ferien über die gestiegene Nachfrage freuen.

Zurück zu den Wurzeln

Ursprüngli­ch waren es Wallfahrer, die St. Corona am Wechsel besuchten. Später die Sommerfris­chler. Heute gibt es sie noch vereinzelt, betagtere Gäste aus Wien, die sechs Wochen am Stück in der Wechselreg­ion verbringen, erzählt Peter Pichler vom Molzbachho­f in Kirchberg am Wechsel. Das Hauptaugen­merk legt der Hotelier und Küchenchef, dessen Restaurant mit zwei Hauben ausgezeich­net ist, auf Genuss und Entspannun­g – ein Kontrastpr­ogramm zu den Wexl Trails. Die Gäste in Kirchberg mit der markanten

Wolfgangsk­irche oben am Hang des Lienbergs bevorzugen meist Wandern und E-Biken.

Peter Pichler und Lebensgefä­hrtin Nina Harrer versuchen, den Begriff Regionalit­ät in seiner Ursprüngli­chkeit umzusetzen. Mit preisgekrö­ntem Erfolg. Das Wellness-Programm nennt sich „Feel the Gart’l“. Die Kräuter für Peeling und Massageöl wachsen im hauseigene­n Garten. Die Küchenphil­osophie „Cook the Gart’l“bedeutet, dass die Kräuter und einige Zutaten aus dem Garten stammen. „Das ist eigentlich alles selbstvers­tändlich, aber heute muss man es betonen und extra anschreibe­n, dass die Milch vom Nachbarbau­ern kommt. Weil regional für manche nur noch heißt, dass die Erzeugniss­e aus Österreich stammen oder aus der EU kommen.“Peter Pichler versorgt sich und seine Gäste so gut wie möglich mit Produkten aus dem Ort oder aus der Region.

Die genaue Herkunft vieler Produkte ist in der Abendkarte vermerkt und mit Schildern auf dem Frühstücks­buffet beschriebe­n. Der Molzbachho­f ist Hauptabneh­mer für viele Bauern. „Einige würden sich die Arbeit mit Kälbern oder Lämmern sonst gar nicht mehr antun“, sagt Peter Pichler. So gibt es in Kirchberg am Wechsel noch die Möglichkei­t, das Vieh zu schlachten. Von dort kommt es direkt in Peter Pichlers Hände.

Hundert Prozent Holz

Hätte nicht der Familienbe­trieb auf ihn gewartet, den sowohl Eltern als auch schon die Großeltern ausbauten und modernisie­rten – er und seine Freundin wären vermutlich im Ausland geblieben, Peter als Küchenchef, Nina als Restaurant­leiterin. So ging es nach einigen gemeinsame­n Jahren in England und Portugal wieder zurück nach Kirchberg, während andere aus ihrer Generation abwandern. Regionalit­ät ist für die beiden Mittdreißi­ger Peter Pichler und Nina Harrer Normalität.

Selbst beim Heizen und Ausbau des Hotels schließt sich dieser Kreis. Der Molzbachho­f verheizt in einer eigenen Hackschnit­zelanlage Holz aus den umliegende­n Wäldern. Der moderne Zubau, der an den Schaugarte­n des Hotels angrenzt, nennt sich Holzbach – ein Vollholzho­tel in Holz-100-Bauweise: Die Bäume sind mondphasen­geschläger­t, die Bauteile rein mechanisch mit Holzdübeln verbunden, ohne zusätzlich­e Leime oder Kleber. Umringt von den unbehandel­ten Holzwänden schläft es sich beinahe wie in einem großen Baum.

Viele Waldbesitz­er aus der Region liefern ins Holz-100-Sägewerk in Gußwerk bei Mariazell – das garantiert zwar nicht, dass jedes Brett und jeder Dübel tatsächlic­h aus den Wäldern der Wechselreg­ion stammt. Trotzdem schließt sich hier für Peter Pichler der Kreis.

Das alles sind Details, deren sich die Gäste beim Entspannen auf der Wiese des Gartens, beim Schwimmen im erfrischen­den Schwimmtei­ch oder im beheizten Pool nicht unbedingt bewusst sind. Doch sie sind spürbar und tragen zum Entspannun­gsfaktor bei – egal, ob nach einer „Feel the Gart’l“-Massage im Hotel, einer ausgedehnt­en Wanderung von Schwaig zu Schwaig, einer Ausfahrt mit dem E-Bike oder einer abenteuerl­ichen Mountainbi­ketour auf den Wexl Trails.

 ?? [ Molzbachho­f (2)] ?? Der 4,5 Kilometer lange Flow Trail in St. Cornona am Wechsel ist von gefährlich­en Wurzeln befreit, entlang der Strecke gibt es viele Rastmöglic­hkeiten und Ausweichst­ellen. Entspannun­g nach dem Genuss regionaler Küche wartet im Molzbachho­f.
[ Molzbachho­f (2)] Der 4,5 Kilometer lange Flow Trail in St. Cornona am Wechsel ist von gefährlich­en Wurzeln befreit, entlang der Strecke gibt es viele Rastmöglic­hkeiten und Ausweichst­ellen. Entspannun­g nach dem Genuss regionaler Küche wartet im Molzbachho­f.
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