Erholung im Vollholz
Niederösterreich. Die Wechselregion ist vor allem bei Wanderern, Schwammerlsuchern und Heidelbeersammlern beliebt. Wer Action sucht, findet diese auf den Wexl Trails in St. Corona. Tiefenentspannung hingegen wartet in einem Vollholzbau.
Der schmale, sandige Pfad schlängelt sich eine Steilkurve nach der anderen bergab durch den Fichtenwald. „Außen anfahren und mittig aus der Kurve kommen“, hat Bikecoach Alexandra erklärt. „Dann musst du gar nicht lenken, sondern kannst dich einfach in die Kurven hineinlegen.“Nach einigen Kurven zwischen den Bäumen hindurch geht es plötzlich steil bergab und gleich wieder hinauf. Ein kleiner Sprung? Vom benachbarten Jump Trail dringen Juchzer durch den Wald. Wer’s kann, springt mehrere Meter hoch mit dem Mountainbike, macht dabei vielleicht noch auf Akrobat, landet sanft und fährt weiter bergab zum nächsten Sprung. Abbremsen geht aber auch.
St. Corona am Wechsel hat sich zu einem Bikerparadies entwickelt. Nicht nur die Pros kommen für einen Tagesausflug, um die sogenannten Lines der Wexl Trails unsicher zu machen – ausgerüstet mit Vollvisierhelmen und gepolsterten Protektorenhemden, die in ihrer Form an Superheldenkostüme erinnern. Bei der Wexl Lounge tummeln sich zahlreiche Familien. Im Mini-Bikepark ziehen sogar Zweijährige auf Laufrädern ihre Kurven. Manch Neunjähriger wagt den Sprung über die Holzschanze.
Ein Ort erfindet sich neu
Karl Morgenbesser freut sich, dass sein Konzept Anklang findet und dem Freizeittourismus im Wechselgebiet wieder Leben einhaucht. So viel war hier zuletzt los, als St. Corona ein Familienskigebiet war. In den 2000er-Jahren wurde noch ein Vierer-Sessellift gebaut, um zumindest einen Hauch von zeitgemäßem Komfort beim Skifahren zu bieten. Doch 2014 war endgültig Schluss. Der Rückbau des Skigebiets wurde beschlossen und der Liftbetrieb eingestellt. St. Corona und der Ortsteil Unternberg drohten in einen Dornröschenschlaf zu sinken. Das Land Niederösterreich suchte für die Liftanlage für Skianfänger in Unternberg einen Pächter. Karl Morgenbesser hatte in Aspang das Sport- und Gesundheitszentrum aufgebaut und reichlich Ideen, wie man das Areal sowohl im Winter als auch im Sommer optimal nutzen könnte.
In nur sechs Jahren wuchs die Erlebnisarena St. Corona zu dem, was sie heute ist: ein Freizeitbetrieb mit bis zu 40 fix angestellten Mitarbeitern. Neben den Wexl Trails befindet sich in sonniger Hanglage mitten im satten grünen Gras ein großer Motorikpark. Ein Stückchen weiter in Richtung Ortszentrum von St. Corona liegt der Corona Coaster, eine moderne Sommerrodelbahn.
An den Wochenenden ist der Parkplatz in Unternberg übervoll. Karl Morgenbesser hofft auf einen Ausbau der öffentlichen Anbindung und Optimierung der Anschlusszüge. Denn viele Tagesgäste würden mittlerweile eine Anreise ohne Auto bevorzugen. Aktuell ist dies für Familien mit kleinen Kindern und für Gäste, die ihr eigenes Rad mitbringen, eine Herausforderung.
Die Wexl Lounge bildet das Zentrum der Erlebnisarena St. Corona. Bei Schlechtwetter oder im Winter können Eltern ihren Kindern durch die Fensterfronten des halbrunden Baus beim Biken und
Skifahren zusehen. Bei Schönwetter tummeln sich Jung und Alt auf der Holzterrasse. Von hier aus hat man Zugang zum Trail Park für unterschiedliche Stufen des Könnens und Vorlieben. Ein Förderband transportiert Kinder und Wiedereinsteiger hinauf an den Beginn des Mini-Bikeparks. Es lohnt sich, einen Coach der Bike School zu buchen, der Grundlagen des Downhillfahrens mit modernen Rädern erklärt oder gemeinsam an der Technik feilt. Nach einer Coaching-Einheit macht das Mountainbiken auf den Trails umso mehr Spaß.
Wer in Schweiß baden möchte, fährt über die Uphill Flowline bergauf durch den Wald – über Wurzeln und Steine auf weichem, sandigem Waldboden. Schneller zum Einstieg zu den Downhillstrecken geht es mit dem Shuttle. Die Mountainbikes kommen auf einen Anhänger, dann bringen Kleinbusse die Biker in regelmäßigen Abständen vom Parkplatz hinauf zum Speicherteich, wo auch Wanderer auf einer der Holzliegen am Teichufer eine Pause einlegen.
Die Panorama Trails
Wer den Steilkurven oder Sprüngen nichts abgewinnen kann, der radelt von hier hinauf zur Kampsteiner Schwaig und weiter auf die Panorama Trails – die für Radfahrer freigegebenen Forstwege. Oder man fährt von Kirchberg am Wechsel mit E-Bike oder Auto 800 Höhenmeter hinauf zur Steyersberger Schwaig und startet hier auf die Panorama Trails, die bis auf den Hochwechsel oder nach Mönichkirchen führen. Immer wieder kreuzt man die ehemaligen Skipisten, wo das hohe Gras sich sanft im Wind wiegt. Die Wege für Mountainbiker und Wanderer sind in den unteren Höhenlagen klar voneinander getrennt und gut beschildert. Höher hinauf bewegt man sich auf Shared Trails, wo es Rücksicht nehmen heißt. Schließlich ist der Wechsel vor allem bei Wanderern beliebt.
Ein Lift für Biker
„Das Mountainbike-Streckennetz wird kontinuierlich erweitert“, sagt Karl Morgenbesser, groß gewachsen, schlank und sportlich, mit dunklem Haar, durch das sich die ersten grauen Strähnen bahnen. In den kommenden Jahren hofft Karl Morgenbesser auf den Zusammenschluss mit dem Bikepark Semmering. Die Finanzierung des Projekts steht, die Verhandlungen laufen. Je weitläufiger die offiziellen Trails, desto besser verteilen sich die Besucherinnen und Besucher.
In Zukunft wird eine Liftanlage die Biker zu den Traileinstiegen bringen und somit die Kleinbusse ablösen – zur Erleichterung der Anwohner, die keine große Freude mit der Staubentwicklung durch die Mountainbike-Shuttles haben. Im Großen und Ganzen seien die Anrainer den Entwicklungen in der Erlebnisarena gegenüber positiv gestimmt. „Es braucht ein gewisses Angebot, damit sich auch die erweiterte Infrastruktur lohnt“, sagt Karl Morgenbesser und meint damit das gastronomische Angebot in der Wechselregion. Denn für eine Handvoll Wanderer lohne es sich kaum, Hütten zu betreiben. Auch zahlreiche Gasthäuser hätten zugesperrt. Doch wer den Dornröschenschlaf überdauert hat, darf sich jetzt vor allem in den Ferien über die gestiegene Nachfrage freuen.
Zurück zu den Wurzeln
Ursprünglich waren es Wallfahrer, die St. Corona am Wechsel besuchten. Später die Sommerfrischler. Heute gibt es sie noch vereinzelt, betagtere Gäste aus Wien, die sechs Wochen am Stück in der Wechselregion verbringen, erzählt Peter Pichler vom Molzbachhof in Kirchberg am Wechsel. Das Hauptaugenmerk legt der Hotelier und Küchenchef, dessen Restaurant mit zwei Hauben ausgezeichnet ist, auf Genuss und Entspannung – ein Kontrastprogramm zu den Wexl Trails. Die Gäste in Kirchberg mit der markanten
Wolfgangskirche oben am Hang des Lienbergs bevorzugen meist Wandern und E-Biken.
Peter Pichler und Lebensgefährtin Nina Harrer versuchen, den Begriff Regionalität in seiner Ursprünglichkeit umzusetzen. Mit preisgekröntem Erfolg. Das Wellness-Programm nennt sich „Feel the Gart’l“. Die Kräuter für Peeling und Massageöl wachsen im hauseigenen Garten. Die Küchenphilosophie „Cook the Gart’l“bedeutet, dass die Kräuter und einige Zutaten aus dem Garten stammen. „Das ist eigentlich alles selbstverständlich, aber heute muss man es betonen und extra anschreiben, dass die Milch vom Nachbarbauern kommt. Weil regional für manche nur noch heißt, dass die Erzeugnisse aus Österreich stammen oder aus der EU kommen.“Peter Pichler versorgt sich und seine Gäste so gut wie möglich mit Produkten aus dem Ort oder aus der Region.
Die genaue Herkunft vieler Produkte ist in der Abendkarte vermerkt und mit Schildern auf dem Frühstücksbuffet beschrieben. Der Molzbachhof ist Hauptabnehmer für viele Bauern. „Einige würden sich die Arbeit mit Kälbern oder Lämmern sonst gar nicht mehr antun“, sagt Peter Pichler. So gibt es in Kirchberg am Wechsel noch die Möglichkeit, das Vieh zu schlachten. Von dort kommt es direkt in Peter Pichlers Hände.
Hundert Prozent Holz
Hätte nicht der Familienbetrieb auf ihn gewartet, den sowohl Eltern als auch schon die Großeltern ausbauten und modernisierten – er und seine Freundin wären vermutlich im Ausland geblieben, Peter als Küchenchef, Nina als Restaurantleiterin. So ging es nach einigen gemeinsamen Jahren in England und Portugal wieder zurück nach Kirchberg, während andere aus ihrer Generation abwandern. Regionalität ist für die beiden Mittdreißiger Peter Pichler und Nina Harrer Normalität.
Selbst beim Heizen und Ausbau des Hotels schließt sich dieser Kreis. Der Molzbachhof verheizt in einer eigenen Hackschnitzelanlage Holz aus den umliegenden Wäldern. Der moderne Zubau, der an den Schaugarten des Hotels angrenzt, nennt sich Holzbach – ein Vollholzhotel in Holz-100-Bauweise: Die Bäume sind mondphasengeschlägert, die Bauteile rein mechanisch mit Holzdübeln verbunden, ohne zusätzliche Leime oder Kleber. Umringt von den unbehandelten Holzwänden schläft es sich beinahe wie in einem großen Baum.
Viele Waldbesitzer aus der Region liefern ins Holz-100-Sägewerk in Gußwerk bei Mariazell – das garantiert zwar nicht, dass jedes Brett und jeder Dübel tatsächlich aus den Wäldern der Wechselregion stammt. Trotzdem schließt sich hier für Peter Pichler der Kreis.
Das alles sind Details, deren sich die Gäste beim Entspannen auf der Wiese des Gartens, beim Schwimmen im erfrischenden Schwimmteich oder im beheizten Pool nicht unbedingt bewusst sind. Doch sie sind spürbar und tragen zum Entspannungsfaktor bei – egal, ob nach einer „Feel the Gart’l“-Massage im Hotel, einer ausgedehnten Wanderung von Schwaig zu Schwaig, einer Ausfahrt mit dem E-Bike oder einer abenteuerlichen Mountainbiketour auf den Wexl Trails.