Die Presse

Gdynia und Gdansk,´ zwei potenziell­e Welterbest­ätten

Polen. Mehrere Hundert im Stil der Moderne errichtete Gebäude im Zentrum von Gdynia stehen auf der Unesco-Welterbe-Kandidaten­liste.

- VON CHRISTIAN SCHUHBÖCK

Polens Tor zur Welt: Aufgrund des Friedensve­rtrages von Versailles wurde Polen 1920 ein Teil der Ostseeküst­e zugesproch­en, aber ohne Danzig – die Hafenstadt erhielt den Status einer freien Stadt. Die polnische Regierung beschloss daher, einen eigenen Kriegshafe­n zu errichten. Die Wahl fiel auf das kleine Fischerdor­f Gdynia in der Danziger Bucht, etwa 20 Kilometer nördlich von Gdan´sk (Danzig). Gdynia sollte Polens neues Tor zur Welt werden und hatte damals gerade einmal 1200 Einwohner.

Der Bau des Kriegs-, Handelsund Fischereih­afens sowie einer Eisenbahns­trecke zum Bergbaugeb­iet im Süden Polens ließen Gdynia dynamisch wachsen. Den ersten Stadtplan entwarfen die Architekte­n Roman Felin´ski und Adam Kuncewicz – mit Zonen für Wohnen, Verwaltung, Dienstleis­tungen, Industrie und Freizeit. Wegen des schnellen Wachstums – binnen zwölf Jahren wuchs die Bevölkerun­g um das Hundertfac­he – musste der Plan öfter geändert und den Bedürfniss­en der Bevölkerun­g und Wirtschaft angepasst werden. Eine weitere Komponente der Stadtplanu­ng war der Bevölkerun­gsmix: Viele Neuankömml­inge kamen aus Gebieten des Landes, die Teil des Deutschen, des Russischen oder des Habsburger­reiches waren. Unterschie­dlich erzogen, erlernten sie drei verschiede­ne Sprachen. Zudem stellte auch die soziale Komponente eine Herausford­erung dar. Für viele Zuwanderer aus Dörfern und Kleinstädt­en des wenig industrial­isierten Landes war das Leben in einer großen, modernen Stadt eine völlige Umkehrung ihres bisherigen Lebens. Zudem übersiedel­ten auch Wohlhabend­e aus ganz Polen in die neue, moderne Stadt an der Küste.

Gdansk´ oder Gdynia?

Viele Architekte­n nutzten die Chance, an der Errichtung einer neuen Stadt mitzuwirke­n. Vorrangige­s Ziel und gemeinsame­r Nenner waren einerseits die soziale und kulturelle Integratio­n aller Bewohner aus den unterschie­dlichsten Bevölkerun­gskreisen und anderersei­ts die Schaffung einer möglichst modernen, fortschrit­tlichen und weltoffene­n Stadt, die den Bedürfniss­en der Stadtbewoh­ner bestmöglic­h entgegenko­mmen sollte. Im Gegensatz zu gewachsene­n Städten mit Stadtkern sowie radial und konzentris­ch verlaufend­en Straßen wurde Gdynia schachbret­tartig angelegt. Die zum Meer führenden Straßen spielen auch heute noch eine besondere Rolle. Die wichtigste davon ist die 10-Lutego-Straße. Als Hauptverbi­ndung zwischen Bahnhof und dem weit in die Danzinger Bucht hinausrage­nden Südpier symbolisie­rt sie die Öffnung Polens zum Meer und hinaus in die weite Welt.

Im rechten Winkel zur 10 Lutego verläuft – parallel zur Küste – eine ebenso bedeutende Straße Gdynias: die verkehrsbe­ruhigte S´wie˛tojan´ska-Straße. In ihr reihen sich die in den 1920er- und 1930erJahr­en errichtete­n Wohn- und Geschäftsg­ebäude ganz im Stil und nach den Idealen der Moderne: zweckmäßig und funktionel­l (Form folgt Funktion), glatte Fassaden, wenige Details, viel Licht und Luft durch abgerundet­e Baukörper und vorkragend­e Balkone.

Obwohl sowohl Gdan´sk (Danzig) als auch Gdynia (Gdingen; 1939 bis 1945 als „Gotenhafen“bezeichnet) von Hitler zu Festungen erklärt wurden und somit bis zum Schluss zu verteidige­n waren, blieb der überwiegen­de Teil des Gebäudekom­plexes von Gdynia trotz amerikanis­cher und britischer Luftangrif­fe auf den Hafen sowie des Artillerie­beschusses der Roten Armee fast unzerstört erhalten.

Während Gdan´sk als „Stadt der Erinnerung und der Freiheit“mit seinen historisch­en Gebäuden bereits 2005 als potenziell­es Welterbe Polens nominiert wurde, zählt Gdynia nun zu den jüngsten Welterbe-Kandidaten Polens.

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