„Zur Not geht derzeit auch Kippen“
Innenräume. Lüften im Winter ist zwar unpopulär, dafür aber umso notwendiger. Warum das so ist, wie man es richtig macht und warum nicht jede Lüftungsanlage ein vollwertiger Ersatz sein kann, erläutern die Experten.
Frische Luft tut gut – auch in Innenräumen. Doch während im Frühling und Sommer die Fenster manchmal den ganzen Tag offen stehen, kommt in der kälteren Jahreszeit oft zu wenig Sauerstoff ins Innere der Gebäude. Die Folgen sind Müdigkeit, Konzentrationsprobleme oder brennende Augen. Denn durch die Atmung der Personen wird die Luft ständig mit Kohlendioxid angereichert. „Weiters treten aus den meisten Baumaterialien und Möbeln auch lange nach deren Einbau noch Schadstoffe aus, die die Innenraumluft belasten“, sagt Michael Braun vom Energieinstitut Vorarlberg. Wird im Winter zu wenig gelüftet, wird darüber hinaus die Raumluft trocken. Das wiederum führt zu brennenden Augen und trocknet die Schleimhäute aus. „Dadurch werden sie anfälliger für Infektionen“, sagt der Experte.
Gefahrenquelle Aerosole
Gerade in Zeiten von Sars-CoV-2 ist eine ausreichende Frischluftzufuhr im Hausinneren aber noch aus einem anderen Grund unumgänglich, und zwar um das Infektionsrisiko zu vermindern: Denn das Virus verbreitet sich auch mithilfe von Aerosolen. Diese winzigen Partikel, die beim Atmen, Sprechen, Husten oder Singen ausgeschieden werden, sinken nicht direkt zu Boden, sondern schweben mehrere Stunden in der
Luft und überwinden dabei auch größere Distanzen. Wird jedoch gelüftet, mischt sich die Raumluft mit frischer Außenluft und die Konzentration der Aerosole wird verringert.
Lüften ist aber nicht gleich lüften. „Am besten funktioniert der Luftaustausch beim Querlüften“, sagt Braun. Dabei werden in einem Raum gegenüberliegende Fenster geöffnet. Ist das nicht möglich, sollten die Fenster in mehreren Räumen geöffnet und die Innentüren offen gelassen werden. Falls man aus baulichen Gründen auf diese Art keinen Durchzug erzeugen kann, sollte man zumindest stoßlüften, also ein oder alle Fenster im Raum für einige Minuten öffnen. „Je geringer der Temperaturunterschied zwischen innen und außen, desto länger“, erläutert Braun. „Im Sommer kann man sie die ganze Zeit offen lassen“, sagt Peter Tappler, federführender Sachverständiger des Arbeitskreises Innenraumluft im Umweltministerium. Im Winter hingegen genüge es, die Fenster alle zwei Stunden für fünf bis zehn Minuten zu öffnen, raten die Experten. Wird bei niedrigen Außentemperaturen nämlich falsch oder zu lange gelüftet, müssen die ausgekühlten Bauteile wieder erwärmt werden, wodurch unnötig Heizenergie verbraucht wird, betont Braun.
Luftreiniger kein Ersatz
Während die Experten normalerweise von gekippten Fenstern abraten, ist das unter den aktuellen Gegebenheiten ein wenig anders. „Solange es nicht richtig kalt ist und die Behaglichkeit passt, ist Kippen im Moment die richtige Lösung“, meint Tappler. Dies gilt beispielsweise für Schulen oder Kindergärten, aber auch für Büros, in denen die Fenster nicht weiter geöffnet werden können. Wie oft täglich gelüftet werden muss, hängt naturgemäß auch von der Raumnutzung und der Zahl der darin befindlichen Personen ab. „In Schulen sollten die Fenster alle 20 Minuten geöffnet werden, in Büros jede Stunde“, rät Tappler. Übrigens: sicherzustellen, dass dies in Büros tatsächlich so gehandhabt wird, obliegt dem Arbeitgeber. „Dieser muss Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten setzen, und dazu gehört in Coronazeiten auch die Belüftung“, sagt Petra Streithofer von der AK Wien.
Können Fenster nur gekippt oder gar nicht geöffnet werden, empfiehlt Braun die Installation einer kontrollierten Belüftungsanlage. „Einer der Vorteile besteht darin, dass man nicht auf die Außenbedingungen angewiesen ist und permanent Frischluft, die von der ausströmenden Abluft erwärmt wird, erhält“, sagt der Experte. Werden Klimaanlagen für die Luftzufuhr verwendet, muss darauf geachtet werden, dass diese mit frischer Luft von außen arbeiten und nicht im Umluftbetrieb gefahren werden, ergänzt Streithofer. Denn bei Letzterem würde nur die vorhandene Luft verwirbelt, aber nicht getauscht. Beim Deutschen Umweltbundesamt verweist man darauf, dass auch Luftreiniger kein Ersatz fürs Lüften sind. Diese filtern zwar mittels UVC-Licht oder Hepa-Filtern Viren oder Feinstaub aus der Luft, aber keine Gase. Die Luft bleibt daher mit CO2 belastet.
In der kalten Jahreszeit für ausreichend Frischluft im Gebäudeinneren zu sorgen hat aber noch andere positive Effekte: „Lüften ist gut für den Feuchteschutz“, sagt Tappler. Denn je höher die Luftfeuchtigkeit im Inneren ist, umso größer die Gefahr von Schimmel.