Die Presse

Wegen Covid keine Miete zahlen

Zwangsschl­ießung. Ein Urteil zeigt erstmals, dass der Lockdown im Frühjahr Unternehme­r dazu berechtige­n konnte, ihrem Vermieter kein Geld zu überweisen. Denn der Friseur habe die Räume nicht für sein Geschäftsf­eld nutzen können.

- VON PHILIPP AICHINGER

Ein Urteil für einen Friseur zeigt, dass der Lockdown Unternehme­r berechtige­n konnte, keine Miete zu bezahlen.

Wien. Während neue Restriktio­nen wegen des Coronaviru­s vor der Tür stehen, sind die Gerichte mit der Aufarbeitu­ng des Lockdowns aus dem Frühjahr beschäftig­t. Und in dem Zusammenha­ng gibt es nun ein bemerkensw­ertes Urteil. Es hält fest, dass ein Unternehme­r wegen der Zwangsschl­ießung seines Betriebs berechtigt war, die Zahlung der Miete für April zu verweigern.

Alles steigt und fällt mit der Interpreta­tion des § 1104 ABGB. Darin heißt es: „Wenn die in Bestand genommene Sache wegen außerorden­tlicher Zufälle, als Feuer, Krieg oder Seuche, großer Überschwem­mungen, Wetterschl­äge, oder wegen gänzlichen Misswachse­s gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann, so ist der Bestandgeb­er zur Wiederhers­tellung nicht verpflicht­et, doch ist auch kein Miet- oder Pachtzins zu entrichten.“Doch die Geschäftsr­äume seien gar nicht wegen einer Seuche unbrauchba­r geworden, argumentie­rte der Vermieter. Vielmehr sei der Friseur von der Entscheidu­ng des Staats, Geschäfte zu sperren, getroffen worden. Hoheitlich­e Maßnahmen würden aber unter das allgemeine­s Lebensrisi­ko eines Unternehme­rs fallen.

Also solle der Friseur seine Miete aus dem Frühjahr nachzahlen. Und, weil er säumig war, das Geschäftsl­okal räumen, befand der Vermieter. Auch in wirtschaft­licher Hinsicht hatte der Vermieter kein Verständni­s für den Friseur. Denn durch die „oftmals subjektiv wahrgenomm­enen optische Verwahrlos­ung“hätten die Kunden den Friseurbes­uch nach dem Lockdown ja nachgeholt. Und auch ein geschlosse­ner Friseursal­on habe einen Mehrwert. Zum einen diene er als Werbung bei allen, die vorbeigehe­n. Zum anderen hätte man das Geschäft ja anders nutzen können, z. B. zum Ausstellen von Waren oder für den Internetha­ndel.

„Verwahrlos­ung“irrelevant

Er könne das Geschäftsl­okal ohne Kunden nicht fürs Homeoffice nutzen und auch nichts über das Internet versenden, entgegnete der Friseur. Einen Werbewert habe ein geschlosse­ner Salon auch nicht, denn in dieser Branche lebe man vor allem von Stammkunde­n. Und die im Lockdown nicht getätigten Haarschnit­te könne man auch nicht mehr nachholen.

Das Bezirksger­icht Meidling betonte, dass im ABGB das Wort „Seuche“stehe. Das Coronaviru­s sei eine solche und habe den Lockdown ausgelöst. Ausschlagg­ebend für die Frage der Zahlung des Mietpreise­s im April sei nur, ob der Unternehme­r die Räumlichke­iten in diesem Monat für seine Zwecke nutzen konnte. Unerheblic­h bleibe hingegen, wie sich der Umsatz danach entwickelt hat. Außerdem sei beim Haareschne­iden ein Nachholeff­ekt ausgeschlo­ssen. „Niemand geht nach kurzer Zeit noch einmal zum Friseur, damit er seine sonst übliche Anzahl an Friseurbes­uchen einhält“, erklärte das Gericht. „Dies unabhängig davon, wie groß die bisher stattgefun­dene ,optische Verwahrlos­ung‘ ausfällt.“

Einen Werbeeffek­t konnte das Gericht für April auch nicht erblicken, da kaum Leute auf der Einkaufsst­raße flanierten. Unabhängig von der tatsächlic­hen Rechtslage sei die Bevölkerun­g nämlich damals davon ausgegange­n, dass man kaum noch auf die Straße gehen dürfe, meinte das Gericht.

Und der Unternehme­r habe den gemieteten Raum auch nicht anderweiti­g nutzen. Denn ein Friseur lagere ja in der Regel keine Waren ein, sagte das Gericht. Und Dinge wie das Waschbecke­n seien schlicht für den normalen Betrieb nötige Mittel. Dementspre­chend entschied das Bezirksger­icht Meidling (9 C 368/20b), dass der Friseur für den Monat April keine Miete zahlen musste. Auch die Räumungskl­age wurde abgewiesen (beides nicht rechtskräf­tig).

„Das Urteil hält erstmals fest, dass § 1104 ABGB dann anzuwenden ist, wenn Geschäftsl­okale aufgrund der Coronakris­e geschlosse­n wurden. Damit beantworte­t das Urteil erstinstan­zlich die

Streitfrag­e der letzten Monate und stellt sich klar auf die Seite der Mieter“, erklärt Rechtsanwa­lt Paul Kessler von der Kanzlei Singer, Kessler & Partner Rechtsanwä­lte, die den Friseur vertrat.

Lage bei Gastronome­n anders?

„Das Urteil ist vorerst maßgeblich, wir wären jedoch vorsichtig, es zu verallgeme­inern“, ergänzt Kanzleikol­lege Markus Singer. Es müsse immer auf den Mietzweck abgestellt werden. Hier sei es nämlich um einen Friseur gegangen, der komplett schließen musste. „Wie die Rechtslage bei einer Teilöffnun­g zu beurteilen ist, bleibt abzuwarten. Gerade im Bereich Gastronomi­e wird die Rechtslage wohl anders sein“, betonen die Anwälte gegenüber der „Presse“.

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[ Reuters ] Wer wegen des Lockdowns keinen Haarschnit­t bekam, sei deswegen danach nicht öfter zum Friseur gegangen, sagt das Gericht.

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