Die Presse

Entsetzen nach Störaktion in Wiener Kirche

Favoriten. Muslimisch­e Verbände verurteile­n den islamistis­ch motivierte­n Angriff auf die Antonskirc­he vergangene Woche. Soziologe Kenan Güngör sieht in der Aktion ein Spiel mit religiöser und nationalis­tischer Kränkung.

- VON ERICH KOCINA

Wien. „Man muss da vorsichtig sein“, sagt Kenan Güngör, „denn man weiß noch wenig über die Hintergrün­de.“Doch der Integratio­nsexperte und Leiter des Forschungs­büros think.difference sieht in den Angriffen muslimisch­er Jugendlich­er auf die Antonskirc­he in Favoriten vom Donnerstag­abend ein Muster. „Wir haben in Favoriten ein gewisses Milieu von nationalis­tischen Tschetsche­nen und Türken.“Das habe man zuletzt etwa schon bei den Angriffen auf Kurdendemo­s gesehen.

Und diese interethni­sche Gruppe habe sich zusammenge­tan, quasi als islamische Glaubensbr­üder. Und rund um die jüngste Debatte über MohammedKa­rikaturen lasse man die Wut darüber hinaus, dass der Prophet gekränkt worden sei. Eine Organisati­on im klassische­n Sinn müsse da gar nicht dahinterst­ehen, so Güngör. Vielmehr gebe es eine „situative Organisier­theit“, also lockere Freundeskr­eise, die sich über Social Media organisier­en. Und von denen durchaus auch ein gewisses Gewaltpote­nzial ausgehe.

Die Grundlage für die Haltung, dass man in Freund-Feind-Schemata denke, werde aber meist schon in den Familien gelegt. Das werde oft – bewusst oder unbewusst – weitergege­ben. Es werde nicht vermittelt, dass Dinge wie die Mohammed-Karikature­n nicht gegen Muslime gerichtet seien, sondern es zur westlichen Kultur gehöre, dass man eben alles durch den Kakao ziehe. „Und die Eltern erklären den Kindern nicht, dass das nicht gemacht wird, um den Propheten zu kränken.“

Werden Jugendlich­e mit dieser Semantik geprägt, komme es dann manchmal eben dazu, dass sie diese Logik noch zusätzlich zuspitzen – gerade rund um Ereignisse wie zuletzt in Frankreich. „Das kann dann diesen Effekt haben, wie wir es zuletzt gesehen haben“, so Güngör. „Ihre Eltern sind dann oft selbst erschrocke­n darüber.“

Dass die rund 30 bis 50 Jugendlich­en am Freitag die Antonskirc­he gestürmt, randaliert und islamistis­che Parolen skandiert haben, hat indes bei muslimisch­en Verbänden für erschütter­te Reaktionen gesorgt. Ümit Vural, Präsident der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich (IGGÖ), versichert­e Wiens Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, in einem Telefonat seine Solidaritä­t.

Er verurteilt­e die Aktion – es mache keinen Unterschie­d, ob eine Kirche oder eine Moschee angegriffe­n werde, „der Friede in unserer Gesellscha­ft“dürfe nicht gefährdet werden. „Allahu akbar schreien und ein Gotteshaus stürmen ist unfassbar und nicht hinzunehme­n“, sagte Ramazan Demir, Imam und Dozent an der Kirchlich Pädagogisc­hen Hochschule. Er nahm auch teil an einer Mahnwache, die die IGGÖ vor der Antonskirc­he organisier­t hatte.

Erzdiözese will Aufklärung

In der Erzdiözese Wien hofft man auf Aufklärung, wer hinter den Attacken steckt. Rund um die Kirche St. Anton habe es seit rund zwei Wochen eine verstärkte Wahrnehmun­g von Belästigun­gen durch eine Jugendband­e gegeben, sagte Diözesansp­recher Michael Prüller. „Nicht nur die katholisch­e Pfarrkirch­e, auch andere Institutio­nen im Grätzel haben schon schlechte Erfahrunge­n gemacht.“Man hoffe, dass die Polizei das Problem rasch in den Griff bekomme.

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