Phantomduell: Einer gegen alle
US-Wahl. Donald Trump und Joe Biden liefern sich im Finish eine erbitterte Schlacht. Der Präsident sieht sich als Einzelkämpfer.
Wien/Washington. Zur Einstimmung sang Stevie Wonder in Detroit seinen Song „Signed, Sealed, Delivered“, den Wahlkampfhit des Jahres 2008, der überall bei Kundgebungen Barack Obamas vor Zehntausenden Zuschauern ertönt war. Am Wochenende war die Menge indes überschaubar, als Wonder den ersten gemeinsamen Auftritt Obamas mit Joe Biden, seinem ExVizepräsidenten, im wenig stimmungsvollen Ambiente des Parkplatzes eines Casinos auf Belle Isle in der Motor-City ankündigte. Wegen der CoronaPandemie scheuen die Demokraten Massenveranstaltungen wie die Trump-Kampagne.
In Michigan rühmten sich das frühere Führungsduo im Weißen Haus der Rettung der Autoindustrie im Zuge der Finanzkrise 2008/2009. Die Obama-Regierung half damals den schwer angeschlagenen Autokonzernen mit Milliardenprogrammen aus der Patsche. Obama stichelte gegen Trump, und Biden zog im Endspurt des Wahlkampfs durch die Swing States im Mittleren Westen das Fazit: „Wir haben genug von dem Chaos, den Tweets, der Wut, dem Hass, dem Versagen der Regierung, Verantwortung zu übernehmen.“
Sie warben um enttäuschte Trump-Wähler, die vor vier Jahren zu den Republikanern übergelaufen waren, und um Unabhängige, die nicht zuletzt die Coronapolitik des Präsidenten für eine Katastrophe halten. Trump habe die „weiße Fahne“gehisst und in der Coronakrise aufgesteckt, ätzte sein Herausforderer. Just im WahlkampfFinish und zudem in den Swing States des Mittleren Westens schießen die Coronazahlen wieder durch die Decke: Zuletzt registrierten die US-Gesundheitsbehörden für das ganze Land täglich 1000 Tote und eine Rekordmarke von 100.000 Neuinfektionen.
In einer Blitztour schwärmen beide Kandidaten durch die wahlentscheidenden Bundesstaaten. Auch Biden mobilisiert noch einmal alle Kräfte. Anders als 2016 unter Hillary Clinton wollen sich die Demokraten den Vorwurf ersparen, die „blaue Mauer“in den Industriestaaten um die großen Seen als selbstverständliche Bastion zu erachten.
In quasi letzter Minute hatte Donald Trump hier den Durchbruch geschafft und die Bundesstaaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania umgedreht. Heuer folgt er diesem Drehbuch: In den letzten beiden Tagen des Wahlkampf-Marathons bestreitet er zehn Kundgebungen, er hetzt mit der Präsidentenmaschine Air Force One kreuz und quer durch den Süden und Mittleren Westen der USA. Wie 2016 hat er die Stadt Grand Rapids in Michigan als letzten Stopp eingeplant, was ihm ein gutes Omen verheißen soll.
Doch der Präsident stimmt seine Anhänger auf Turbulenzen und ein mögliches Wahlchaos ein. „Der 3. November wird kommen und gehen, und wir werden es nicht wissen.“Raunend beklagte er sich darüber, dass die Wahlnacht wegen der Verzögerung bei der Auszählung der Briefwahlstimmen womöglich keine Gewissheit über den Ausgang bringen werde. Die USA steuern auf eine Rekordwahlbeteiligung zu: Bis zum Wochenende gaben mehr als 90 Millionen Amerikaner ihre Stimme ab – zwei Drittel der Gesamtzahl von 2016.
Kritik an Lockdown in Europa
Trump schlägt derweil um sich. Er kritisierte den von konservativen Richtern dominierten Obersten Gerichtshof, Pennsylvania eine Auszählungsfrist von drei Tagen zugestanden zu haben. Er attackierte die Ärzte als vermeintliche Profiteure der Coronapandemie. Und er mokierte sich darüber, „was drüben in Europa abgeht“: Die drakonischen neuen Lockdowns hätten gezeigt, dass das Virus nicht aufzuhalten sei, argumentierte er.
Ohnehin würden ihn alle loswerden wollen: die Chinesen, die Iraner, die Deutschen. So stilisiert sich der Präsident in der Entscheidungsschlacht als ein Einzelkämpfer gegen das Virus und die ganze Welt. Nebenbei ließ er durchblicken, dass er als Blamage ansähe, gegen einen so schwachen Kandidaten wie Biden zu verlieren.