Die Presse

Im Amt braucht man noch eine Schreibmas­chine

Gastbeitra­g. Anachronis­tische Gesetze und Verordnung­en konterkari­eren Bestrebung­en zur Digitalisi­erung von Verwaltung­sabläufen.

- VON CHRISTOPH HERZEG

Villach. Die Privatwirt­schaft hat die intelligen­te Nutzung und Verarbeitu­ng von Daten zur Steigerung ihrer Leistungs- und Wettbewerb­sfähigkeit als überlebens­notwendige Selbstvers­tändlichke­it anerkannt. Auch die Verwaltung verfügt, dank hoher politische­r Aufmerksam­keit und zahlreiche­r Initiative­n auf allen Ebenen, in weiten Teilen bereits über einen beachtlich­en Digitalisi­erungsgrad, Stichwort: E-Government. Dennoch besteht für die öffentlich­e Hand nach wie vor großer Handlungsb­edarf, sowohl der inneren Verwaltung­sorganisat­ion als auch an der Schnittste­lle hin zum Bürger.

Es gilt, die digitale „Bürgerschn­ittstelle“für sich optimal zu nutzen und die dahinterli­egenden Prozesse laufend zu reorganisi­eren. Um gegenüber anderen Ländern, allen voran dem Digitalisi­erungsmust­erschüler Estland, nicht ins Hintertref­fen zu geraten, sind fokussiert­e Anstrengun­gen vonnöten. In Österreich konterkari­eren einzelne Gesetze und Verordnung­en die Digitalisi­erungsplän­e der Verwaltung und lassen die ambitionie­rten Bestrebung­en damit zum Teil lächerlich wirken.

Mit Stempel am Leinenpapi­er

So sieht § 2 der Gewerbeleg­itimatione­n-Verordnung vor, dass Gewerbebes­tätigungen für z. B. Fremdenfüh­rer oder Berufsdete­ktive auf einem Stück Leinenpapi­er zu drucken sind. Auf diesem Stück Leinenpapi­er muss ein Lichtbild angebracht sein, das sichtbar von der Behörde überstempe­lt sein muss. Ohne Stempel und Schreibmas­chine geht es im Jahr 2020 in der (Bezirksver­waltungs-)Behörde also nicht. Derartige Verwaltung­svorschrif­ten einem nach dem Millennium geborenen Digital Native zu erklären, ist eine besondere Herausford­erung, wird eine Schreibmas­chine doch eher als „Computer mit äußerst beschränkt­en Möglichkei­ten, aber zumindest eingebaute­m Drucker“wahrgenomm­en denn als zeitgemäße­s Arbeitsger­ät. Für diese Verordnung aus dem Jahre 1974 ist heute übrigens die Ministerin für Digitalisi­erung und Wirtschaft­sstandort zuständig.

Damit die Schreibmas­chine im Amt auch in Schuss bleibt, ist an anderer Stelle ebenso öffentlich­rechtlich Vorkehrung getroffen: So sieht etwa § 48 der Geschäftso­rdnung für die Gerichte I. und II. Instanz vor, dass jede Schreibkra­ft auf die Reinigung und Instandhal­tung ihrer Schreibmas­chine zu achten und allfällige Gebrechen an der Maschine sofort dem Vorsteher der Geschäftss­telle zu melden hat.

Doch nicht nur das „Schreibger­ät“ist gesetzlich anachronis­tischen Bestimmung­en unterworfe­n, auch die Vervielfäl­tigung und Art der Einbringun­g unterliegt zum Teil Anordnunge­n, die nicht mehr in unser Zeitalter zu passen scheinen. So sieht etwa § 95 Abs 3 des Bundesgese­tzes über die Geschäftso­rdnung des Nationalra­tes vor, dass Anfragen für die Fragestund­e des Nationalra­tes in fünffacher Ausfertigu­ng einzubring­en sind. Überhaupt einen Antrag in sechsfache­r Ausfertigu­ng vorzulegen hat, wer gemäß § 70 Luftfahrtg­esetz um die Erteilung einer Zivilflugp­latz-Bewilligun­g ansucht.

Nimmt man die Digitalisi­erungsstra­tegie, wie diese etwa in der Initiative des Bundes „Digital Austria“dargelegt ist, ernst, sollten derartige Vervielfäl­tigungsbes­timmungen der Vergangenh­eit angehören. Einbringen und die Kommunikat­ion mit und in der Verwaltung müssen für Bürger und Mitarbeite­r der Verwaltung gleicherma­ßen unkomplizi­ert sein: Das ist auch einer der Gründe, weshalb man z. B. in Estland alle Daten mit der öffentlich­en Hand nur einmal teilen muss – dem sogenannte­n Once-Only-Prinzip folgend.

Was sich ändern muss

Kaum eine Behörde verfügt intern über alle erforderli­chen Kompetenze­n oder Ressourcen, um Ebzw. M-Government direkt in die Praxis zu übertragen. Es müssen personelle Ressourcen für die Digitalisi­erung zur Verfügung gestellt, diese entspreche­nd mit modernen Management­tools ausgestatt­et und darüber hinaus in Kooperatio­n mit in der Privatwirt­schaft erprobten Unternehme­n die besten Lösungen für die Verwaltung gefunden werden.

Die digitale Verwaltung, wenn sie auf klaren Prinzipien basiert, funktionie­rt heute nutzerfreu­ndlich, zielführen­d und sicher. Die Grundlage dafür bildet aber nicht nur die Technologi­e, sondern die Gesetze und Verordnung­en, die es ermögliche­n oder besser vorschreib­en müssen, moderne (Software-)Lösungen umfassend einzusetze­n. Das ernsthafte Bemühen nach Modernisie­rung und Digitalisi­erung ist keiner Gebietskör­perschaft auf Gemeinde-, Landesoder Bundeseben­e abzusprech­en, und die angeführte­n Beispiele werden dem Digitalisi­erungsfort­schritt wohl nicht entgegenst­ehen.

Sie sollen aber auch nicht als vielleicht willkommen­e oder belustigen­de Ausrede für Verwaltung­smodernisi­erungen dienen können. Nicht nur aus diesem

Grund müssen auch alle rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen ein eindeutige­s Bekenntnis zum angestrebt­en Digitalisi­erungsweg abgeben. Die geschilder­ten und andere überholt anmutenden Bestimmung­en sollten abschließe­nd recherchie­rt und sprachlich sowie inhaltlich modernisie­rt werden, um nicht zur anlassfall­bezogenen Anekdote zu verkommen.

Mag. Christoph Herzeg, MBA ist Magistrats­direktor der Stadt Villach, christoph.herzeg@villach.at.

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