Im Amt braucht man noch eine Schreibmaschine
Gastbeitrag. Anachronistische Gesetze und Verordnungen konterkarieren Bestrebungen zur Digitalisierung von Verwaltungsabläufen.
Villach. Die Privatwirtschaft hat die intelligente Nutzung und Verarbeitung von Daten zur Steigerung ihrer Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit als überlebensnotwendige Selbstverständlichkeit anerkannt. Auch die Verwaltung verfügt, dank hoher politischer Aufmerksamkeit und zahlreicher Initiativen auf allen Ebenen, in weiten Teilen bereits über einen beachtlichen Digitalisierungsgrad, Stichwort: E-Government. Dennoch besteht für die öffentliche Hand nach wie vor großer Handlungsbedarf, sowohl der inneren Verwaltungsorganisation als auch an der Schnittstelle hin zum Bürger.
Es gilt, die digitale „Bürgerschnittstelle“für sich optimal zu nutzen und die dahinterliegenden Prozesse laufend zu reorganisieren. Um gegenüber anderen Ländern, allen voran dem Digitalisierungsmusterschüler Estland, nicht ins Hintertreffen zu geraten, sind fokussierte Anstrengungen vonnöten. In Österreich konterkarieren einzelne Gesetze und Verordnungen die Digitalisierungspläne der Verwaltung und lassen die ambitionierten Bestrebungen damit zum Teil lächerlich wirken.
Mit Stempel am Leinenpapier
So sieht § 2 der Gewerbelegitimationen-Verordnung vor, dass Gewerbebestätigungen für z. B. Fremdenführer oder Berufsdetektive auf einem Stück Leinenpapier zu drucken sind. Auf diesem Stück Leinenpapier muss ein Lichtbild angebracht sein, das sichtbar von der Behörde überstempelt sein muss. Ohne Stempel und Schreibmaschine geht es im Jahr 2020 in der (Bezirksverwaltungs-)Behörde also nicht. Derartige Verwaltungsvorschriften einem nach dem Millennium geborenen Digital Native zu erklären, ist eine besondere Herausforderung, wird eine Schreibmaschine doch eher als „Computer mit äußerst beschränkten Möglichkeiten, aber zumindest eingebautem Drucker“wahrgenommen denn als zeitgemäßes Arbeitsgerät. Für diese Verordnung aus dem Jahre 1974 ist heute übrigens die Ministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort zuständig.
Damit die Schreibmaschine im Amt auch in Schuss bleibt, ist an anderer Stelle ebenso öffentlichrechtlich Vorkehrung getroffen: So sieht etwa § 48 der Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz vor, dass jede Schreibkraft auf die Reinigung und Instandhaltung ihrer Schreibmaschine zu achten und allfällige Gebrechen an der Maschine sofort dem Vorsteher der Geschäftsstelle zu melden hat.
Doch nicht nur das „Schreibgerät“ist gesetzlich anachronistischen Bestimmungen unterworfen, auch die Vervielfältigung und Art der Einbringung unterliegt zum Teil Anordnungen, die nicht mehr in unser Zeitalter zu passen scheinen. So sieht etwa § 95 Abs 3 des Bundesgesetzes über die Geschäftsordnung des Nationalrates vor, dass Anfragen für die Fragestunde des Nationalrates in fünffacher Ausfertigung einzubringen sind. Überhaupt einen Antrag in sechsfacher Ausfertigung vorzulegen hat, wer gemäß § 70 Luftfahrtgesetz um die Erteilung einer Zivilflugplatz-Bewilligung ansucht.
Nimmt man die Digitalisierungsstrategie, wie diese etwa in der Initiative des Bundes „Digital Austria“dargelegt ist, ernst, sollten derartige Vervielfältigungsbestimmungen der Vergangenheit angehören. Einbringen und die Kommunikation mit und in der Verwaltung müssen für Bürger und Mitarbeiter der Verwaltung gleichermaßen unkompliziert sein: Das ist auch einer der Gründe, weshalb man z. B. in Estland alle Daten mit der öffentlichen Hand nur einmal teilen muss – dem sogenannten Once-Only-Prinzip folgend.
Was sich ändern muss
Kaum eine Behörde verfügt intern über alle erforderlichen Kompetenzen oder Ressourcen, um Ebzw. M-Government direkt in die Praxis zu übertragen. Es müssen personelle Ressourcen für die Digitalisierung zur Verfügung gestellt, diese entsprechend mit modernen Managementtools ausgestattet und darüber hinaus in Kooperation mit in der Privatwirtschaft erprobten Unternehmen die besten Lösungen für die Verwaltung gefunden werden.
Die digitale Verwaltung, wenn sie auf klaren Prinzipien basiert, funktioniert heute nutzerfreundlich, zielführend und sicher. Die Grundlage dafür bildet aber nicht nur die Technologie, sondern die Gesetze und Verordnungen, die es ermöglichen oder besser vorschreiben müssen, moderne (Software-)Lösungen umfassend einzusetzen. Das ernsthafte Bemühen nach Modernisierung und Digitalisierung ist keiner Gebietskörperschaft auf Gemeinde-, Landesoder Bundesebene abzusprechen, und die angeführten Beispiele werden dem Digitalisierungsfortschritt wohl nicht entgegenstehen.
Sie sollen aber auch nicht als vielleicht willkommene oder belustigende Ausrede für Verwaltungsmodernisierungen dienen können. Nicht nur aus diesem
Grund müssen auch alle rechtlichen Rahmenbedingungen ein eindeutiges Bekenntnis zum angestrebten Digitalisierungsweg abgeben. Die geschilderten und andere überholt anmutenden Bestimmungen sollten abschließend recherchiert und sprachlich sowie inhaltlich modernisiert werden, um nicht zur anlassfallbezogenen Anekdote zu verkommen.
Mag. Christoph Herzeg, MBA ist Magistratsdirektor der Stadt Villach, christoph.herzeg@villach.at.