Was wir aus dem ersten Lockdown gelernt haben
. . . und was wir vor dem nächsten lernen müssen. Die neue Verordnung zielt genauer auf Infektionsquellen und konzentriert sich auf die Nacht. Allerdings versteht man auch diesmal nicht alles.
Als vor wenigen Wochen ein Tiroler Hotelier einen Lockdown vorschlug, um den Wintertourismus zu retten, war die Empörung groß. Zu Recht. Inzwischen ist aber klar, dass es nicht mehr vorrangig um die Skisaison im Westen, sondern um alle Spitäler geht. Würden die Neuinfektionen so rasant weitersteigen, könnte Mitte November fast ein Drittel der Intensivbetten mit Covid-Patienten belegt sein, hört man aus Expertenkreisen. Was das in Folge heißt, will und kann sich keiner vorstellen. Nämlich dass die Infrastruktur und das geschulte Personal fehlen, um medizinische Notfälle ausreichend zu versorgen.
Daher also wieder – und zwar eher spät als früh – ein Lockdown. Nicht so hart wie beim letzten Mal, so richtig „light“ist er aber auch nicht. Eher medium. Aber besser durchdacht als beim ersten Mal. Denn seit dem ersten Herunterfahren haben wir einiges gelernt – anderes auch nicht. Ein Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
Es wird besser auf das Virus gezielt . . .
Auf der Habenseite des zweiten Lockdowns steht: Man zielt besser auf das Virus. Während man im Frühjahr quasi mit Schrot schoss und alle und alles traf, hat man nun das abendliche gesellige Beisammensein als Ziel ausgemacht. Es wird nicht mehr der ganze Tag streng reglementiert, sondern vor allem die Nacht. Denn beim Zusammensitzen im Vereinslokal, bei großen Feiern oder der netten Theaterfreunde-Runde verbreitet sich das Virus am leichtesten. Insofern gibt es „nur mehr“abendliche Ausgangsbeschränkungen. Und damit keiner in Versuchung gerät, wurden auch sämtliche Gründe, abends rauszugehen, gestrichen: Theater, Gastronomie etc. Ob das so pauschal jedoch nötig war? Ein schnelles Mittagessen unter der Woche ist doch etwas anderes als ein ausgedehntes Dinner mit Freunden.
Neu und strenger als zuletzt ist, dass man diesmal in den halbprivaten Raum, in Garagen, Stadeln und Partykeller, hineinschaut. Ob das rechtlich so hält, ist offen. Grundlos passiert es aber nicht. Im ländlichen Raum gab es gerade in diesen Settings Cluster. Wie überhaupt das Land „aufgeholt“hat: Galten am Anfang der Pandemie die Ballungsräume als gefährlich, haben die letzten
Wochen gezeigt, dass im dörflich-beschaulichen Rahmen eine gewisse Ignoranz besteht: Brauchtumsfeiern, kirchliche Feste, runde Geburtstage wollte man sich dort offenbar vom Virus nicht madig machen lassen.
Das Verhalten im öffentlichen Raum wird dafür aber etwas weniger strikt reguliert als im März: Die Regel, dass sich Personen aus zwei Haushalten öffentlich näherkommen dürfen, ermöglicht, dass Alleinlebende andere treffen können. Auch über das Schließen von Parks redet keiner mehr.
Dass Schulen und Kindergärten (vorerst) offen bleiben, ist auch ein wichtiger Grundkonsens. Junge Kinder sind, anders als früher angenommen, keine Superspreader. Eher im Gegenteil. (Auf die Oberstufe kommen wir später – auf der Sollseite – zu sprechen.)
Positiv ist auch, dass der Handel offen bleibt und dass weiter Dienstleistungen (Friseur, Physiotherapie etc.) möglich sind. Für alle, die schließen müssen, gibt es zudem eine sehr großzügige Entschädigung, die diesmal auch schnell und einfach überwiesen werden soll. Schauen wir einmal.
Apropos Soll: Auf der Sollseite finden sich auch bei diesem Lockdown genügend Punkte. Manche werden, so prophezeien Juristen, auch erneut den Verfassungsgerichtshof beschäftigen. Was etwa ist genau unter der „psychischen Erholung“zu verstehen, für die man auch nach 20 Uhr das Haus verlassen darf? Und wird es nicht in Wahrheit bloß darauf ankommen, dass man der Polizei, so sie einen aufhält, das „Richtige“erzählt? Manchmal hapert es auch bei der Logik: So sind religiöse Veranstaltungen wieder komplett ausgenommen, obwohl es rund um kirchliche Feste Ansteckungen gab. Gastronomie und Kulturstätten dagegen werden trotz weniger (bekannter) Fälle gesperrt. Rechtlich argumentieren kann man das, wie Verfassungsjurist Karl Stöger erklärt, mit dem Grundrecht auf Religionsausübung und der Tatsache, dass die Religionsgemeinschaften – das bestätigt das Gesundheitsministerium – sich Selbstverpflichtungen auferlegt haben. Zwingend nötig, sagt Stöger, sei so ein Privileg aber nicht. Und: Es ende mit der Messe. Das Beisammenstehen vor der Kirche oder im Pfarrsaal sei natürlich sehr wohl von der Verordnung umfasst, so Stöger.
. . . aber auch danebengeschossen
Emotional wird es auch beim Thema Distance Learning. Eltern von Oberstufenschülern finden es ungerecht, dass die Jungen aus der Schule herausgerissen werden, zumal einige Bildungsfachleute wie auch die ClusterExpertin der Ages dagegen sind. Manche Oberstufenlehrer, die von den Sicherheitskonzepten in den Schulen mäßig überzeugt sind, werden hingegen eher erleichtert sein.
Mit Emotion hat dann auch die Opposition reagiert. Dank Covid-Gesetz musste der Hauptausschuss des Nationalrats ja bei gewissen Punkten der Verordnung zustimmen. Dass Türkis-Grün den Text erst in der Nacht mailte und man einander knapp vor der Pressekonferenz traf, zeugte jedoch nicht vom großen „Wir schaffen das gemeinsam“Spirit. Warum nicht den Lockdown statt bei einer Pressekonferenz im Parlament präsentieren, fragte die Demokratieforscherin Tamara Ehs. Berechtigte Frage. Solche stellten auch SPÖ und Neos: Man wollte genaue Begründungen, warum und wie welche Maßnahmen wirken. Das ist wichtig zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit.
Wobei: Was wie wirkt, wird man ehrlicherweise erst später wissen. Auch ob ein „Medium“-Lockdown überhaupt reicht, um das Spitalssystem zu schützen. Oder ob dem zweiten Lockdown bald ein dritter folgt.
Damit es nicht so weit kommt, wären aber noch ein paar Lernschritte notwendig, die kein großes Geheimnis sind, weil Experten sie in Interviews ständig aufzählen. Klar ist inzwischen: Man muss Zielgruppen spezifischer ansprechen (Dorfpfarrer, jugendliche Influencer, ganz egal). Man muss sich beim Contact Tracing auf jene konzentrieren, die andere anstecken können, durch gezieltes Befragen „Superspreading-Events“aufdecken und durch schnelle Antigen-Tests weitere Überträger identifizieren. Weiters braucht es professionelle Lüftungskonzepte, bessere Daten und – am wichtigsten − die Einsicht, dass wir dem winzigen Virus langfristig am besten mit winzigen Schritten beikommen. Nämlich mit vergleichsweise kleinen, aber dafür konsequenten Änderungen unserer Alltagsgewohnheiten. „A little goes a long way“formuliert das Englische so elegant. Weil den, den long way, haben wir noch vor uns.