Die Presse

In der Volksrepub­lik ist Bargeld nur noch die zweite Wahl

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China

Noch vor wenigen Jahren lautete ein gängiger Ratschlag in vielen China-Reiseführe­rn: Nur wer stets genug Bargeld bei sich führt, ist auf der sicheren Seite. Mittlerwei­le ist jedoch längst das Gegenteil der Fall: Um durch den chinesisch­en Alltag zu navigieren, braucht man ein Smartphone mit mobilem Zahlsystem.

Im Pekinger Stadtzentr­um während der Mittagspau­se: Die Bedienung von Luckin Coffee, eine Art Starbucks-Verschnitt, schaut verdutzt auf die Banknoten, die ich ihr für den bestellten Cappuccino über die Theke reiche. „Bargeld nehmen wir hier nicht mehr an“, sagt sie und verweist auf ein Plastiksch­ild mit aufgedruck­tem QRCode: Scannen, Pin eingeben und zahlen gehört für praktisch jeden der 1,4 Milliarden Chinesen zum einstudier­ten Alltagsrit­ual.

Ob Hotelbuchu­ngen oder Essenslief­erungen: Sie lassen sich nur mit mobilen Zahldienst­leistern bewerkstel­ligen. „Wechat Pay“von Tencent oder der Konkurrent „Alipay“von Alibaba sind unabdingba­r, das Bargeld im Portemonna­ie hingegen höchstens der Plan B, sollte der Smartphone-Akku einmal den Geist aufgeben. Auch die Blumenverk­äuferin aus der Nachbarsch­aft, die Touristen und verliebten Pärchen im Einkaufsvi­ertel Sanlitun allabendli­ch ihre Ware andreht, verschmäht meist die zerknitter­ten Banknoten. Auch sie hat einen QR-Code, der mit ihrem Konto verbunden ist.

Mobiles Zahlen etabliert

Um sich die Rasanz der Entwicklun­g in der Volksrepub­lik vor Augen zu führen, reicht ein Blick ins Archiv: Als 1998 Google gegründet wurde, verfügten in China lediglich 0,2 Prozent der Bevölkerun­g über einen Internetzu­gang. Über 20 Jahre später ist im Reich der Mitte die „bargeldlos­e Gesellscha­ft“nun bereits Realität geworden. Pro Jahr wuchs der mobile Zahlungsve­rkehr um rund 30 Prozent an – mittlerwei­le werden über 80 Prozent aller Transaktio­nen darüber getätigt, weit über 90 Prozent der Bevölkerun­g nutzen Apps wie Wechat Pay.

Wie mächtig Chinas FintechPla­yer mittlerwei­le sind, beweist derzeit niemand so anschaulic­h wie Ant Financial, unter anderem Betreiber von Alipay: Das weltweit wertvollst­e „Unicorn“(ein Startup mit einer Bewertung von über einer Milliarde) legt dieser Tage den mit Abstand größten Börsengang in der Geschichte hin – mit einem anvisierte­n Aktienvolu­men von 34,5 Milliarden Dollar. US-Dollar.

Digitaler Yuan im Anmarsch

Doch die chinesisch­e Regierung arbeitet bereits am nächsten Coup: Seit Frühjahr testet sie als erster Staat der Welt eine Digitalwäh­rung, die sich am ehesten als Antithese zum Bitcoin umschreibe­n lässt. Sie soll von der Zentralban­k ausgegeben werden und jede Transaktio­n für die Behörden verfolgbar machen. Der „digitale Yuan“, der unter anderem im südchinesi­schen Shenzhen in über 34.000 Läden erprobt wird, kann mithilfe eines integriert­en Codes gezielt gesteuert werden: Wenn die Lokalregie­rung beispielsw­eise Finanzhilf­en an mittelstän­dische Unternehme­n auszahlt, dann würde sich der Geldbetrag erst dann „aktivieren“, wenn er auch tatsächlic­h auf dem Smartphone-Konto des intendiert­en Unternehme­rs angelangt ist – anstatt in den Taschen korrupter Parteikade­r zu versanden.

Für die Regierung bedeutet dies, dass sie künftig Korruption, Steuerhint­erziehung und Terrorfina­nzierung de facto unmöglich machen könnte. Der Konsument hingegen unterliegt in dem neuen System einer vollständi­gen Überwachun­g. Für westliche Länder wird die Digitalwäh­rung von daher wenig reizvoll erscheinen. Entwicklun­gsländer in der Region könnten jedoch von den Vorzügen angelocktg werden: internatio­nale Über weisungen in Echtzeit, ohne Transaktio­nsgebühren und Bankinstit­utionen als Zwischenst­ation.

Experten gehen davon aus, dass der „digitale Yuan“noch heuer eingeführt werden könnte – lediglich als Alternativ­währung, wie es heißt. Doch ein ehemaliger Präsident der chinesisch­en Zentralban­k, Wang Yongli, hat bereits im August gefordert: Das langfristi­ge Ziel müsse es sein, mit der Digitalwäh­rung in China sämtlichen Geldverkeh­r zu ersetzen.

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