„Lukaschenko macht Fehler“
Swetlana Tichanowskaja, die Oppositionsführerin von Belarus, über die Panik des Regimes und die Rolle von A1.
Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja im „Presse“Interview.
Sie haben Sebastian Kurz in Wien getroffen. Welche Signale haben Sie erhalten?
Swetlana Tichanowskaja: Es war ein sehr herzliches Treffen. Obwohl Herr Kurz freundschaftliche Beziehungen mit Herrn Lukaschenko hatte, war er einer der Ersten, die sich für Sanktionen ausgesprochen und Lukaschenko die Legitimität abgesprochen haben. Er hat die Menschenrechte über sein persönliches Verhältnis gestellt. Das ist ein bedeutsamer Schritt. Er unterstützt die Belarussen enorm. Wir sprachen auch über die Zukunft unserer Beziehungen und hoffen, dass wir mit der Hilfe Österreichs ein demokratisches Belarus aufbauen können.
Fiel das Gespräch auch auf A1? Der österreichische Mobilfunkanbieter steht bekanntlich wegen der Abschaltung des Internets in Belarus stark in der Kritik.
A1 ist bei vielen Treffen ein Thema. Die Lage ist kompliziert. In Belarus nützen die Gesetze nur dem Regime. Wenn sich eine Firma nicht unterordnet, kann das Business leicht zugedreht werden. A1 ist eine Geisel des Systems. Wenigstens warnt das Unternehmen seine Kunden vor und entlässt Mitarbeiter, die an Demonstrationen teilnehmen, nicht. Man bemüht sich im engen vorgegebenen Rahmen.
Sie nehmen A1 ab, dass der Firma die Hände gebunden sind?
Wenn die Behörden wollen, können sie das Unternehmen leicht nationalisieren. A1 sollte seinen Finanz- und Imageschaden deutlicher kommunizieren. Um zu verstehen, was in Belarus passiert, muss man vor Ort sein. Der Druck auf die Menschen ist enorm.
Sie reisen durch Europa und treffen viele Politiker. Was steht bei Ihren Begegnungen im Zentrum?
Ich mache vor allem auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam. Europa hat diesbezüglich recht schnell reagiert. Sanktionen wurden erlassen. Die OSZE hat im Rahmen des „Moskauer Mechanismus“am Donnerstag einen ausführlichen Bericht vorgestellt. Dort sind viele Fakten dokumentiert, auch wenn man den Autor (den Grazer Juristen Wolfgang Benedek, Anm.) nicht nach Belarus einreisen ließ. Besonders wichtig für die Belarussen ist nun finanzielle Hilfe. Viele Menschen werden verfolgt oder entlassen. Wir bemerken eine Solidaritätswelle: Staaten wollen helfen und stellen Geld, Stipendien oder Ähnliches zur Verfügung. Wir können nichts fordern. Wir bitten um Hilfe. Jedes Land muss für sich entscheiden, wie es den Belarussen helfen will.
Wie ist es für Sie, diese bekannten Persönlichkeiten zu treffen?
Wissen Sie, in Belarus wird sogar der kleinste Beamte gefürchtet. Er kann dich anschreien, dich verscheuchen, Probleme bereiten. Hier ist es anders. Ich treffe Menschen in hoher Funktion, aber es sind normale Menschen, sie sind offen für ein Gespräch. Natürlich bin ich aufgeregt, aber ich habe keine Angst. Das Wichtigste ist, die kurze Zeit eines Treffens maximal zu nutzen. Politiker sind viel beschäftigt. Man muss Informationen klar darlegen und darf nur nichts vergessen. Das Wichtigste ist auszudrücken, was dein Volk fühlt.
Apropos EU-Sanktionen: Sind die Maßnahmen ausreichend?
Am Anfang meines Weges dachte ich: Europa schaltet sich ein, und wir werden Lukaschenko sofort los! Natürlich würde ich härtere Maßnahmen, mutigere Reaktionen und schnellere Entscheidungsfindung begrüßen. Aber die Abstimmung der Staaten dauert nun mal – gerade jetzt in der Covid-Ära. Es passiert gerade so viel in der Welt. Positiv ist, dass Belarus noch immer Thema ist, dass Europa uns beobachtet. Solang man über uns spricht, heißt das, es gibt uns.
Protestiert wird seit drei Monaten. Welche Aussichten gibt es?
Alle Prognosen sind schwierig. Sicher ist: Es gibt kein Zurück. Es kann sein, dass die Demonstrationen im Winter abnehmen. Aber Demonstrationen sind nur ein Teil der Protestbewegung. Die Formen ändern sich. Manche machen „Partisanen“-Aktionen. Andere organisieren sich in unabhängigen Gruppen. Früher waren die Belarussen vereinzelt. Jetzt formulieren die Menschen erstmals ihre Ziele: Sie wollen nicht mehr unter einer Diktatur leben.
Angesichts der Repression – werden die Bürger nicht erschöpft?
Natürlich gibt es Erschöpfung. Stellen Sie sich vor: Sie gehen demonstrieren und wissen nicht, ob Sie wieder sicher nach Hause kommen. Ihre Freunde werden verhaftet, geschlagen. Sogar ich in Litauen spüre das. Ich bin dort zwar physisch sicher. Moralisch aber ist die Lage sehr ermüdend.
Und die Lösung der Krise?
Der Ausweg sind Neuwahlen. Es wäre im Interesse der Staatsmacht, sie früher als später durchzuführen. Belarus befindet sich in einer schweren politischen und ökonomischen Krise. Die Staatsmacht ignoriert das. Diese Konfrontation kann sich noch länger hinziehen.
Lukaschenkos Regime hängt jetzt stark von den Sicherheitskräften ab. Warum unterstützen sie ihn?
Das hat mehrere Gründe. Die Beamten erhalten sehr hohe Löhne und staatliche Hilfen, etwa Wohnungen. Auch sind sie an strenge Verträge gebunden. Doch das System hat nur wenige Unterstützer. Ich bin davon überzeugt, dass die Spezialeinsatzkräfte diese Grausamkeiten nicht begehen wollen.
Nach der Wahl im August gab es einen Moment, in dem die Staatsorgane gelähmt waren. Bereuen
Sie es, dass Sie damals nicht entschiedener vorgegangen sind?
Sie meinen Gewaltanwendung?
Nicht nur. Sie hätten die Macht für sich beanspruchen können.
Durch Gewaltanwendung hätten wir in den ersten Tagen den Lauf der Dinge sehr leicht für uns entscheiden können. Doch wir wollten friedlich und gesetzmäßig vorgehen. Womöglich wird jemand sagen, wir hätten unsere Chance verpasst. Aber gewaltsam wollen wir die Staatsmacht nicht bekämpfen. Was würde uns dann von diesen Kriminellen unterscheiden?
Lukaschenko hält sich auch dank Russland. Besteht zwischen Ihnen und Moskau Kontakt?
Wir haben von Anfang an Kontakt mit Moskau gesucht und das auch nicht verschwiegen. Bis heute hat man dort nicht reagiert. Wir sehen, dass Moskau von einer anfänglich direkten und starken Unterstützung Lukaschenkos allmählich abrückt. Moskau versteht, dass die Belarussen ihr Land selbst regieren und dies nicht länger einem einzigen Mann überlassen wollen. Lukaschenkos aktuelle Repressionswelle spricht von Panik. Er macht viele Fehler. Wir können also nicht nur dank eigener Kräfte auf den Sieg hoffen, sondern auch dank seiner Fehler.