Eine kurze Geschichte des Terrors
Gewalt. Früher kam der Terror von staatlicher Seite, von Revolutionären, die gerade die Macht übernommen hatten. Später dann wurde er zu einem Mittel von Außenseitern.
Lyon dem Erdboden gleichgemacht, 2000 Menschen ermordet. Die Opferzahl im ganzen Land: rund 16.000. Vom März 1793 bis August 1794. Es ist wohl Zufall, aber jenes Land, das in Europa derzeit am stärksten vom Terror getroffen ist, ist jenes, in dem er einst seinen Ausgang nahm, jedenfalls als Begriff. Die Französische Revolution ab 1789 brachte auch „le terreur“mit sich. Nicht gleich, aber ab dem Zeitpunkt, als die Gruppe um Maximilien de Robespierre die Macht übernahm. Der Terror diente als Mittel zur Aufrechterhaltung der Revolution, des Regimes der linksgerichteten Jakobiner, die nun die Oberhand hatten.
„Die Triebfedern der Volksregierung im Stadium der Revolution sind Tugend und Terror zugleich: die Tugend, ohne die der Terror unheilvoll wäre, und der Terror, ohne den die Tugend machtlos ist“, erklärte Robespierre. Terror sei nichts anderes als rasche, strenge und unbeugsame Gerechtigkeit. Oder noch eindringlicher beziehungsweise zynischer in den Worten seines Mitstreiters Georges Danton: „Seien wir schrecklich, damit es das Volk nicht zu sein braucht! Dies ist ein Gebot der Humanität.“
Die kommunistischen Revolutionäre im Russland der Jahre ab 1917 führten das dann fort. Auch wieder zur Festigung ihres neuen Regimes. Erst traf Roter Terror auf Weißen Terror, also jener der Revolutionäre auf jenen der Konterrevolutionäre, vielfach noch Vertreter der alten zaristischen Herrschaft. Nachdem sich die Bolschewisten in diesem Bürgerkrieg durchgesetzt hatten, herrschte von nun an nur noch jener von oben herab, von staatlicher Seite, der Rote Terror.
Besonders tat sich der kommunistische Geheimdienst Tscheka hervor. Dessen Kommandant Felix Dzierz˙yn´ski meinte: „Justiz wird nicht mehr gebraucht. Ich befürworte, nein, ich fordere die organisierte Gewalt gegen die Aktivisten der Konterrevolution.“In der Terrorisierung der eigenen Bevölkerung setzte Stalin als späterer Machthaber dann noch einmal andere Maßstäbe. Die Zahl der Todesopfer des Stalinismus überschritt die Millionengrenze.
Die bolschewistische Oktoberrevolution in Russland zeigte aber auch noch eines: Wie es einer kleinen, verschworenen Gruppe gelingen kann, einen Umsturz vorzunehmen, einen ganzen Staat zu überrumpeln. Wenn man sich vor Augen hält, wie es an diesem Montagabend in Wien, dem 2. November 2020, einem einzelnen Attentäter gelang, eine ganze Stadt, ja ein Land in
Angst und Schrecken zu versetzen, mit Gerüchten über zusätzliche Anschlagsorte, die für weitere Panik sorgten, kann man das in Ansätzen erahnen. Was, wenn da eine größere, bedingungslos entschlossene Gruppe – oder mehrere, untereinander koordinierte – so skrupellos zu Werke gingen?
So ähnlich rief die Russische Oktoberrevolution von 1917 ab – nur lautloser: Die Bolschewiki, eigentlich eine kleine radikale Minderheit, übernahmen mehr oder weniger über Nacht ein riesiges Reich. Revolutionsführer Lenin wies die paramilitärischen Roten Garden am Abend des 24. Oktober (nach dem Julianischen Kalender) an, neuralgische Punkte in St. Petersburg zu besetzen, Brücken, Bahnhöfe, Elektrizitätswerke. Der Kopf der Aktion war Leo Trotzki. Eine ganze Stadt wurde übernommen – und damit ein ganzes Land. Das alles ging ungemein rasch – am nächsten Morgen waren Fakten geschaffen. Die bisherige Regierung Kerenski war isoliert und floh.
Die Voraussetzung dafür ist freilich, dass der Staat entsprechend geschwächt und dysfunktional ist, wie das Russland nach der Februarrevolution von 1917 und den darauffolgenden, nicht abreißenden Regierungskrisen war, noch dazu in einer Zeit, in der man sich noch immer im Krieg mit anderen Nationen befand – im Ersten Weltkrieg.
Die „Schwarze Hand“
Dieser war übrigens von einer Geheimorganisation, der „Schwarzen Hand“, mitausgelöst worden, die auch mit terroristischen Mitteln ihr Ziel, die Vereinigung südslawischer Länder, verfolgte: Am 28. Juni 1914 verübte sie ein Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand.
In der weiteren Folge des 20. Jahrhunderts bekam der Terror dann noch stärker jenes Gesicht, das er heute hat: Er war nun nicht mehr ein staatlicher, einer zur Absicherung der Macht – schon Thomas Hobbes hatte vom „terror of legal punishment“gesprochen –, sondern ein Instrument von Guerillas, von Untergrund- und Widerstandsbewegungen.
In Anlehnung an die sowjetischen Revolutionäre trat – wie der Name schon sagt – die Rote Armee Fraktion (RAF) im Deutschland der 1970er- und 1980er-Jahre in Aktion. Eine Mischung aus versponnenen Intellektuellen und Kleinkriminellen hatte sich da zusammengefunden. Im Wahn, dass ein neuer Faschismus unmittelbar bevorstehe beziehungsweise ohnehin nie aufgehört habe zu herrschen, wurden diese jungen Leute zu Terroristen. Sie fanden dann in Terroristen aus islamischen Ländern, die sich mit Anschlägen gegen den jüdischen Staat Israel und seine Verbündeten wandten, Brüder im Geiste, mit denen sie auch gemeinsame Sache machten. Ein an sich paradoxes Bündnis. Aber eines, dessen Ausläufer noch heute sichtbar sind, wenn radikale Linke Kritiker des Islamismus des Rassismus bezichtigen, um sie mundtot zu machen. Das gemeinsame Feindbild des westlichen Kapitalismus verbindet überdies.
Auch andere Länder hatten damals ihre linksradikalen Terrorgruppen – die Roten Brigaden in Italien, die Action directe in Frankreich. Zudem verübten separatistische Organisationen, die für die Unabhängigkeit ihrer Landesteile kämpften, Attentate: die irische IRA in Nordirland und England, die baskische ETA in Spanien, die kurdische PKK in der Türkei, auch korsische Separatisten hantierten mit Sprengstoff.
Rechtsradikaler Terror
Der rechtsradikale Terror, dessen sich schon die Faschisten im Italien der 1920er-Jahre und die Nationalsozialisten im Deutschland der 1930er-Jahre bedient hatten, um an die Macht zu kommen, kehrte dann vor allem ab den 1990er-Jahren zurück. Aber ebenso wie der linke nun eher als kriminelles Untergrund-Phänomen. In Österreich mit Franz Fuchs: Zahlreiche Attentate mit Sprengfallen und Briefbomben gingen auf das Konto des Einzeltäters mit seiner fiktiven Bajuwarischen Befreiungsarmee. Vier Todesopfer, 15 zum Teil schwer Verletzte forderte die sich über vier Jahre hinziehende Attentatsserie. In Deutschland mordete ab 1999 der NSU, der Nationalsozialistische Untergrund.
Parallel dazu entwickelte sich ganz massiv der islamistische Terror – und wuchs sich zu einem Flächenbrand aus, der sich auf die westlichen Länder ausbreitete. Von New York bis Stockholm, von Madrid bis London. Nicht einmal Österreich blieb verschont. Am härtesten traf es über all die Jahre aber Frankreich, Ursprungsland des „terreur“.