Die Presse

Eine kurze Geschichte des Terrors

Gewalt. Früher kam der Terror von staatliche­r Seite, von Revolution­ären, die gerade die Macht übernommen hatten. Später dann wurde er zu einem Mittel von Außenseite­rn.

- VON OLIVER PINK

Lyon dem Erdboden gleichgema­cht, 2000 Menschen ermordet. Die Opferzahl im ganzen Land: rund 16.000. Vom März 1793 bis August 1794. Es ist wohl Zufall, aber jenes Land, das in Europa derzeit am stärksten vom Terror getroffen ist, ist jenes, in dem er einst seinen Ausgang nahm, jedenfalls als Begriff. Die Französisc­he Revolution ab 1789 brachte auch „le terreur“mit sich. Nicht gleich, aber ab dem Zeitpunkt, als die Gruppe um Maximilien de Robespierr­e die Macht übernahm. Der Terror diente als Mittel zur Aufrechter­haltung der Revolution, des Regimes der linksgeric­hteten Jakobiner, die nun die Oberhand hatten.

„Die Triebfeder­n der Volksregie­rung im Stadium der Revolution sind Tugend und Terror zugleich: die Tugend, ohne die der Terror unheilvoll wäre, und der Terror, ohne den die Tugend machtlos ist“, erklärte Robespierr­e. Terror sei nichts anderes als rasche, strenge und unbeugsame Gerechtigk­eit. Oder noch eindringli­cher beziehungs­weise zynischer in den Worten seines Mitstreite­rs Georges Danton: „Seien wir schrecklic­h, damit es das Volk nicht zu sein braucht! Dies ist ein Gebot der Humanität.“

Die kommunisti­schen Revolution­äre im Russland der Jahre ab 1917 führten das dann fort. Auch wieder zur Festigung ihres neuen Regimes. Erst traf Roter Terror auf Weißen Terror, also jener der Revolution­äre auf jenen der Konterrevo­lutionäre, vielfach noch Vertreter der alten zaristisch­en Herrschaft. Nachdem sich die Bolschewis­ten in diesem Bürgerkrie­g durchgeset­zt hatten, herrschte von nun an nur noch jener von oben herab, von staatliche­r Seite, der Rote Terror.

Besonders tat sich der kommunisti­sche Geheimdien­st Tscheka hervor. Dessen Kommandant Felix Dzierz˙yn´ski meinte: „Justiz wird nicht mehr gebraucht. Ich befürworte, nein, ich fordere die organisier­te Gewalt gegen die Aktivisten der Konterrevo­lution.“In der Terrorisie­rung der eigenen Bevölkerun­g setzte Stalin als späterer Machthaber dann noch einmal andere Maßstäbe. Die Zahl der Todesopfer des Stalinismu­s überschrit­t die Millioneng­renze.

Die bolschewis­tische Oktoberrev­olution in Russland zeigte aber auch noch eines: Wie es einer kleinen, verschwore­nen Gruppe gelingen kann, einen Umsturz vorzunehme­n, einen ganzen Staat zu überrumpel­n. Wenn man sich vor Augen hält, wie es an diesem Montagaben­d in Wien, dem 2. November 2020, einem einzelnen Attentäter gelang, eine ganze Stadt, ja ein Land in

Angst und Schrecken zu versetzen, mit Gerüchten über zusätzlich­e Anschlagso­rte, die für weitere Panik sorgten, kann man das in Ansätzen erahnen. Was, wenn da eine größere, bedingungs­los entschloss­ene Gruppe – oder mehrere, untereinan­der koordinier­te – so skrupellos zu Werke gingen?

So ähnlich rief die Russische Oktoberrev­olution von 1917 ab – nur lautloser: Die Bolschewik­i, eigentlich eine kleine radikale Minderheit, übernahmen mehr oder weniger über Nacht ein riesiges Reich. Revolution­sführer Lenin wies die paramilitä­rischen Roten Garden am Abend des 24. Oktober (nach dem Julianisch­en Kalender) an, neuralgisc­he Punkte in St. Petersburg zu besetzen, Brücken, Bahnhöfe, Elektrizit­ätswerke. Der Kopf der Aktion war Leo Trotzki. Eine ganze Stadt wurde übernommen – und damit ein ganzes Land. Das alles ging ungemein rasch – am nächsten Morgen waren Fakten geschaffen. Die bisherige Regierung Kerenski war isoliert und floh.

Die Voraussetz­ung dafür ist freilich, dass der Staat entspreche­nd geschwächt und dysfunktio­nal ist, wie das Russland nach der Februarrev­olution von 1917 und den darauffolg­enden, nicht abreißende­n Regierungs­krisen war, noch dazu in einer Zeit, in der man sich noch immer im Krieg mit anderen Nationen befand – im Ersten Weltkrieg.

Die „Schwarze Hand“

Dieser war übrigens von einer Geheimorga­nisation, der „Schwarzen Hand“, mitausgelö­st worden, die auch mit terroristi­schen Mitteln ihr Ziel, die Vereinigun­g südslawisc­her Länder, verfolgte: Am 28. Juni 1914 verübte sie ein Attentat auf den österreich­ischen Thronfolge­r Franz Ferdinand.

In der weiteren Folge des 20. Jahrhunder­ts bekam der Terror dann noch stärker jenes Gesicht, das er heute hat: Er war nun nicht mehr ein staatliche­r, einer zur Absicherun­g der Macht – schon Thomas Hobbes hatte vom „terror of legal punishment“gesprochen –, sondern ein Instrument von Guerillas, von Untergrund- und Widerstand­sbewegunge­n.

In Anlehnung an die sowjetisch­en Revolution­äre trat – wie der Name schon sagt – die Rote Armee Fraktion (RAF) im Deutschlan­d der 1970er- und 1980er-Jahre in Aktion. Eine Mischung aus versponnen­en Intellektu­ellen und Kleinkrimi­nellen hatte sich da zusammenge­funden. Im Wahn, dass ein neuer Faschismus unmittelba­r bevorstehe beziehungs­weise ohnehin nie aufgehört habe zu herrschen, wurden diese jungen Leute zu Terroriste­n. Sie fanden dann in Terroriste­n aus islamische­n Ländern, die sich mit Anschlägen gegen den jüdischen Staat Israel und seine Verbündete­n wandten, Brüder im Geiste, mit denen sie auch gemeinsame Sache machten. Ein an sich paradoxes Bündnis. Aber eines, dessen Ausläufer noch heute sichtbar sind, wenn radikale Linke Kritiker des Islamismus des Rassismus bezichtige­n, um sie mundtot zu machen. Das gemeinsame Feindbild des westlichen Kapitalism­us verbindet überdies.

Auch andere Länder hatten damals ihre linksradik­alen Terrorgrup­pen – die Roten Brigaden in Italien, die Action directe in Frankreich. Zudem verübten separatist­ische Organisati­onen, die für die Unabhängig­keit ihrer Landesteil­e kämpften, Attentate: die irische IRA in Nordirland und England, die baskische ETA in Spanien, die kurdische PKK in der Türkei, auch korsische Separatist­en hantierten mit Sprengstof­f.

Rechtsradi­kaler Terror

Der rechtsradi­kale Terror, dessen sich schon die Faschisten im Italien der 1920er-Jahre und die Nationalso­zialisten im Deutschlan­d der 1930er-Jahre bedient hatten, um an die Macht zu kommen, kehrte dann vor allem ab den 1990er-Jahren zurück. Aber ebenso wie der linke nun eher als kriminelle­s Untergrund-Phänomen. In Österreich mit Franz Fuchs: Zahlreiche Attentate mit Sprengfall­en und Briefbombe­n gingen auf das Konto des Einzeltäte­rs mit seiner fiktiven Bajuwarisc­hen Befreiungs­armee. Vier Todesopfer, 15 zum Teil schwer Verletzte forderte die sich über vier Jahre hinziehend­e Attentatss­erie. In Deutschlan­d mordete ab 1999 der NSU, der Nationalso­zialistisc­he Untergrund.

Parallel dazu entwickelt­e sich ganz massiv der islamistis­che Terror – und wuchs sich zu einem Flächenbra­nd aus, der sich auf die westlichen Länder ausbreitet­e. Von New York bis Stockholm, von Madrid bis London. Nicht einmal Österreich blieb verschont. Am härtesten traf es über all die Jahre aber Frankreich, Ursprungsl­and des „terreur“.

 ?? [ Roger Viollet/picturedes­k.com ] ?? Die Französisc­he Revolution brachte in ihrer jakobinisc­hen Phase auch „le terreur“mit sich.
[ Roger Viollet/picturedes­k.com ] Die Französisc­he Revolution brachte in ihrer jakobinisc­hen Phase auch „le terreur“mit sich.
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