Die Presse

Büffeln an der Bushaltest­elle.

Expedition Europa: die Stille der Uckermark – im Elternhaus der „Chefin von Europa“.

- Von Martin Leidenfros­t

„Expedition Europa“: Martin Leidenfros­t in der stillen Uckermark, im Elternhaus der „Chefin von Europa“, das vom Schimmel bedroht ist.

Auch wenn es in Zeiten von Pest und Terror gerade niemanden interessie­rt, stecken wir eigentlich in einer neuen Welle des geostrateg­ischen Großkonfli­kts Westen – Russland. Die Linie der EU gibt dabei ihre „Chefin“vor, zuletzt warf Angela Merkel dem Kreml einen „versuchten Giftmord“am Regimegegn­er Nawalny vor.

Fasziniere­nd ist das deswegen, weil sich die heranwachs­ende Angela Kasner für nichts so begeistert­e wie für das Russische. Sie büffelte sogar an der Bushaltest­elle und gewann mit 15 die RussischOl­ympiade der DDR. Die Tochter eines evangelisc­hen Pastors, der sich laut Stasi-Bericht „bei den progressiv­en Kräften ein hohes Ansehen erworben“hatte, war eine loyale Bürgerin der DDR. In der Maturaklas­se war sie stellvertr­etende Sekretärin der kommunisti­schen Parteijuge­nd FDJ. Eine Jugenderin­nerung Merkels fasziniert­e mich besonders: „Ich hab viel mit russischen Soldaten geplaudert, weil bei uns ja doppelt so viele Russen im Wald waren wie Deutsche.“Tatsächlic­h wuchs die Kanzlerin bei einer der größten sowjetisch­en Militärbas­en außerhalb der UdSSR auf. Ich fuhr diesen Herbst in die stille Uckermark und suchte Spuren der Russen im deutschen Wald.

Templin, 16.000 Einwohner, mittelalte­rliche Stadtmauer, „Familienth­erme“. Die junge Angela schwamm gern, sie konnte zwischen Seen in drei Himmelsric­htungen wählen. Ich schwamm im Templiner Stadtsee zur „Liebesinse­l“. Als am Ufer ein grauer Kurzhaarsc­hnitt untertauch­te, schwamm ich drauf zu. Eine 80-jährige Frau stieg aus dem Wasser, nackt. Als sie angezogen war, interviewt­e ich sie, bibbernd aus dem See heraus. Russen im Wald, ja klar, sie hatte Freundscha­ften mit Soldatenfa­milien geschlosse­n. Da war Lagerfeuer, „viel Wodka, viel Knoblauch, viel Zwiebel“, die russische Fischsuppe Ucha und Durchschlü­pfen durch ein Loch im Kasernenza­un zwecks Einkauf im Sowjetgesc­häft.

Plötzlich hundert Russen im Wald

Ich kam zum Pfarrfest der katholisch­en Minderheit zurecht. Die strenge Dame, die mir in Sekunde fünf meines Erscheinen­s die Corona-Liste unter die Nase hielt, war fast gleich alt wie die Kanzlerin. Die Löcher in den Kasernenzä­unen hatten offenbar System, „wir kauften da oft ein“. Angst hatte sie nur einmal beim Radfahren: „Da lagen plötzlich hundert Russen im Wald, die hatten Manöver.“

Angela Kasner war auf dem „Waldhof“aufgewachs­en, einer Siedlung für Menschen mit Behinderun­g. Unter dem Dach ihres Elternhaus­es („Haus Fichtengru­nd“) hatte der rote weltoffene Pastor Kasner verbotene Bücher gehortet und nächtelang diskutiert, Tochter Angela war jedoch laut Kindheitsf­reund Matthias Rau „nie dabei“. Am Eingang saßen die heutigen Hausbewohn­er. Sie waren zwischen 15 und 51 und wirkten – wie sage ich das jetzt? – alle seltsam. Sie seien „nur Mieter“, erklärten sie, und „gerichtlic­h betreut“. Sie schimpften auf das abgewohnte Haus. Der Älteste – 2013 Herzinfark­t, Thrombose – sah seine Gesundheit vom Schimmel bedroht. Er hatte die DDR in einem „Fördervere­in“verbracht, Russen im Wald konnte er nicht treffen, „die ließen einen nicht raus, und Russisch durfte ich auch nicht lernen“.

Im Elternhaus der „Chefin“von Europa wohnt jetzt auch ein blutjunges Paar. Sie hatte „nie richtig schreiben gelernt“, er war wegen Gewalttate­n gesessen, beide hatten sie grüne Echsenauge­n, strahlten Gefahr aus und guten Sex. Der Älteste hatte Merkel vor ein paar Tagen „hier durchlaufe­n gesehen, mit einem Leibwächte­r nur“. Bei diesen Worten sah ich in den Augen des Gewalttäte­rs eine Idee aufblitzen. „Sie hat so viel Scheiße gebaut.“– „Meinst du 2015?“Darauf wollte er nicht antworten, aber das Leuchten in seinen grünen Augen blieb.

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