Der Volksheld als Witzfigur
USA. Rudy Giuliani, New Yorks Ex-Bürgermeister, führt Trumps Team zur Wahlanfechtung an. Seit der Ukraine-Affäre ist sein Ruf ruiniert, nun hat er sich blamiert. Trump setzt auf direkten Druck.
New Yorks ExBürgermeister Rudy Giuliani blamiert sich laufend.
Wien/Washington. War es Schminke oder ein Haarfärbemittel, das von der Schläfe über die verschwitzten Wangen rann? Nach einem weiteren bizarren Auftritt Rudy Giulianis als Winkeladvokat Donald Trumps bei einer Pressekonferenz in einem vollgepackten Saal des republikanischen Parteihauptquartiers in Washington, bei der er eine Szene seines Lieblingsfilms „Mein Cousin Vinnie“nachspielte, schwirrten die sozialen Medien vor Theorien.
Zum Nebengeräusch verkamen derweil die Vorwürfe und Verschwörungstheorien über den angeblichen Manipulationsversuch der US-Wahl, hinter dem nicht nur ein Komplott der Demokraten stecken würde, sondern auch Venezuela und der verstorbene Diktator Hugo Chavez´ als Mastermind der Wahlfälschung.
Die Pressekonferenz geriet zum PR-Desaster. Der als „Bürgermeister Amerikas“und 9/11-Held gefeierte New Yorker Ex-Stadtchef ist samt protzigem Meisterschaftsring der Yankees – seines LieblingsBaseballteams – zur Witzfigur abgesunken, vorgeführt auch im neuen „Borat“-Film. „Es waren die gefährlichsten eindreiviertel Stunden in der TV-Geschichte Amerikas – und vermutlich die verrücktesten“, urteilte pointiert Christopher Krebs, der jüngst von Trump gefeuerte Chef für Cybersecurity, der die Wahl zuvor als die sicherste taxiert hatte. Bis auf Fox News hatten sich die TV-Sender ausgeblendet, und selbst eine Fox-Reporterin stöhnte über die aufgetischten Lügen.
Advocatus Diaboli
Im Weißen Haus sind die Rechtsberater längst enerviert von Giuliani, renommierte Anwaltskanzleien zogen sich von der Kommandosache Wahlanfechtung zurück. Nur der Präsident ist begeistert vom Feuer seines Anwalts, der freilich Tagsätze von bis zu 20.000 Dollar in Rechnung stellt. Die Vorwürfe lösten sich meist in Luft auf, von Arizona bis Pennsylvania sind die Kläger bisher abgeblitzt.
Ursprünglich hatten die Trump-Berater einen untadeligen
Anführer der juristischen Operation im Auge wie vor 20 Jahren ExAußenminister James Baker in der Causa Bush versus Gore in Florida. Übrig blieb Rudy Giuliani, ein in Mafia-Kreisen und bei Wall-StreetSpekulanten einst gefürchteter Staatsanwalt, der im Trump-Orbit in seiner Rolle als Consigliere und Advocatus Diaboli seinen Ruf vollends verspielt hat.
Von „Time“2001 als „Mann des Jahres“und von der Queen zum Sir geadelt, hatte sich Giuliani mit einer Konsulentenfirma selbstständig gemacht, streifte als Redner üppige Honorare ein und ging zwischendurch bei den republikanischen Vorwahlen um die Präsidentschaft 2008 früh unter. 2016 unterstützte er den Außenseiter Trump von Anfang an – und versprach sich einen Job als Außenminister. Wegen vielfältiger Interessenkonflikte als Lobbyist kam er nicht zum Zug.
Ein glühender und dröhnender Verteidiger Trumps blieb er dennoch. In der Ukraine-Affäre trat er schließlich als Mann fürs Grobe in Aktion, der Präsident Selenskij und hochrangige Mitarbeiter in Kiew unter Druck setzte, um Ermittlungen gegen den Energiekonzern Burisma einzuleiten. Dies sollte Hunter Biden als Aufsichtsrat und dessen Vater im Wahlkampf treffen. Die Erpressungsversuche des Trump-Teams mündeten stattdessen im Impeachment-Verfahren. Giuliani werde wie eine Granate im Weißen Haus hochgehen, warnte John Bolton, damals Sicherheitsberater. Giuliani verschwand kurzzeitig aus dem Rampenlicht, ehe er im Wahlkampffinale im gemeinsamen Feldzug mit Stephen Bannon neuerlich mit den Vorwürfen gegen die Bidens hausieren ging.
Weil der juristische Weg zusehends verbaut ist, schlägt der Präsident eine neue Strategie ein, um doch noch an der Macht zu bleiben. Ein Mitglied der Wahlkommission in Detroit drängte er in einem Anruf persönlich, die Bestätigung des Wahlergebnisses zu revidieren. Auf die von den Republikanern dominierten Parlamente in Michigan und Pennsylvania übt er Druck aus, die Entscheidung hinauszuzögern und Wahlleute zu bestellen, die seine Wiederwahl sichern sollen. Während er im Weißen Haus auf eine Delegation aus Michigan einwirkte, gab Georgia das Resultat der manuellen Neuauszählung bekannt. Bidens Vorsprung schrumpfte um rund 2000 Stimmen auf 12.000.
Mitt Romney, republikanischer Erzfeind Trumps, reagierte perplex: „Es ist schwierig, sich einen undemokratischeren Akt eines USPräsidenten vorzustellen.“
Es ist schwierig, sich einen undemokratischeren Akt eines amtierenden US-Präsidenten vorzustellen.
Senator Mitt Romney