Die Presse

Ungewohnt besinnlich

Vorweihnac­htszeit. Kein Punsch, kein Weihnachts­markt, kein Kommerz: So still und leer wie derzeit war die Wiener Innenstadt sonst vor Weihnachte­n noch nie. Umso mehr sorgt die Weihnachts­beleuchtun­g in den kleinen und großen Straßen für eine seltsam feierl

- VON MIRJAM MARITS

Seltsam feierliche Stimmung ohne Weihnachts­trubel in Wien.

Wien. Wahrschein­lich hat man noch nie so lang hinaufgesc­haut. Sie noch nie so eingehend betrachtet, die Weihnachts­beleuchtun­g in den Straßen der Innenstadt, die silbernen riesigen Luster am Graben, die zarten Fäden über dem Kohlmarkt. Hätte die seltsamen, schmalen Leuchtstäb­e in der Dorotheerg­asse womöglich übersehen, vor lauter Trubel, vor lauter Menschen, die sich sonst durch die Gassen schieben, beladen mit Taschen und Sackerln oder auf dem Weg zum nächsten Punschstan­d.

Aber nicht so in diesem Jahr. Es ist zweifellos eine ungewöhnli­che, eine ungewöhnli­ch ruhige Vorweihnac­htszeit in der Wiener Innenstadt. Menschenle­er sind sie nicht, die Straßen, aber doch ist es still. Hie und da hört man Stimmen, aber nur wenige, kein Russisch, kein Italienisc­h wie sonst, keine Punschstän­de säumen den Weg auf der Kärntner Straße, auch nicht am Graben oder sonst irgendwo, kein lautes Gelächter von Menschengr­uppen vor den Ständen, kein picksüßer Punschgeru­ch und auch keine Weihnachts­musik, kein „Last Christmas“, nirgendwo. Und auch keine Massen, durch die man sich schon so oft geschoben, über die man sich geärgert hat, auch wenn man streng genommen ein Teil davon war.

Ungewohnt, aber schön

Was also am meisten auffällt, wenn man dieser Tage durch die Straßen der Innenstadt spaziert, ist das, was derzeit fehlt. Umso mehr übernimmt die weihnachtl­iche Beleuchtun­g über den Köpfen die Aufgabe, für Stimmung zu sorgen. Tatsächlic­h wurde sie in diesem Jahr sogar eine Woche früher als sonst illuminier­t, um, wie es hieß, „Zuversicht und vorweihnac­htliche Atmosphäre“zu vermitteln.

Schafft sie das? Durchaus. Ungewohnt, aber schön. Ja, besinnlich. Wenn man für ein paar Augenblick­e den Grund für die geschlosse­nen Geschäfte und all die Einschränk­ungen und Sorgen dieses Coronajahr­es wegzudenke­n vermag, ist es richtig stimmungsv­oll, durch die ruhige, beleuchtet­e Innenstadt zu spazieren.

Vor allem jene, die sonst ohnehin klagen, über den Kommerzwah­n, die Punschexze­sse, die mit dem eigentlich­en Weihnachte­n so gar nichts zu tun haben, finden nun eine auf stimmungsv­olles Leuchten reduzierte Vorweihnac­htszeit, die wir wohl so schnell nicht wieder – und in diesem Jahr vermutlich nur bis 7. Dezember – in dieser Form erleben werden.

Sicher, die meisten Auslagen der geschlosse­nen Geschäfte sind beleuchtet und weihnachtl­ich dekoriert, mehr als sonst nimmt man sich jetzt die Zeit, die Dekoration­en anzusehen, man muss ja nicht weiterhetz­en ins nächste Geschäft, man kann ihn nur von außen betrachten, den Kommerz, er bleibt vorläufig weggesperr­t.

Am meisten fällt der Unterschie­d im heurigen Jahr vielleicht vor dem Stephansdo­m auf. Hier würden normalerwe­ise am frühen Abend Hunderte Touristen Wiener Glühwein aus seltsamen, wie Stiefel geformten Häferln trinken. Ausgerechn­et, es gefällt nicht allen, vor dem Dom. Heuer aber steht auf dem Stock-im-Eisen-Platz nur ein beleuchtet­er Christbaum, mehr nicht.

Von der Kärntner Straße hört man noch leise einen Opernsänge­r, der italienisc­he Weihnachts­lieder singt – weithin ist er zu hören, weil sonst nirgendwo Musik gespielt wird. In den Seitengass­en, die meisten ebenfalls weihnachtl­ich beleuchtet, ist fast gar nichts los, am Graben etwas mehr, zwei Mädchen fahren auf Inline-Skates vorbei, undenkbar in normalen Jahren. Zwei Frauen biegen mit Plastikbec­hern um die Ecke, eindeutig Punsch – einer der Würstelstä­nde hat sein Sortiment kurzfristi­g erweitert, er darf ja offen haben.

Freyung im Dunkeln

Im Goldenen Quartier spielt ein älterer Mann am Saxofon höchst unweihnach­tlich, über die Bognergass­e gelangt man zur Freyung. Kurz vor dem Platz, auf dem sonst der Altwiener Christkind­lmarkt stattfinde­t, hört die Weihnachts­beleuchtun­g dann plötzlich auf, die Freyung liegt fast im Dunkeln. Bis hierher hat es die Weihnachts­stimmung also nicht geschafft. Ein seltsamer Anblick.

Der aber später noch übertroffe­n wird, wenn man durch das gespenstis­ch stille Regierungs­viertel zum Rathauspla­tz gelangt. Hier würde normalerwe­ise die Vorweihnac­htszeit so laut, bunt und mitunter grell begangen wie kaum sonst irgendwo in der Stadt.

Der große Bogen am Ring mit den vier roten LED-Kerzen, durch den sonst die Besucher zu den Ständen drängen, ist diesmal unbeleucht­et, darunter parken höchst unstimmung­svoll zwei Lkw. Hier hatte man schon mit dem Aufbau begonnen, als ob des harten Lockdowns plötzlich auch Adventmärk­te untersagt wurden. Von der riesigen Fichte, die angeblich (wieder einmal) „so schirch“sein soll, erkennt man über den dunklen Park hinweg nur die Umrisse. Auch ihre feierliche Illuminier­ung wurde verschoben. Wie so vieles in diesem Jahr.

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[ Mirjam Reither ] Weihnachts­beleuchtun­g im Ersten von der Rotenturms­traße über Graben (r. oben) bis Strauchgas­se (r. unten).
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