Was die Massentests in der Slowakei gebracht haben
Bilanz. In der Slowakei wurde fast die gesamte Bevölkerung durchgetestet. Premier Matoviˇc zeigt sich stolz. Doch es gibt auch Kritik an der Aktion.
Bratislava. Wem die österreichischen Vorbereitungen auf CoronaMassentests kurzfristig erscheinen mögen, der tut sich wahrscheinlich umso schwerer mit dem Beispiel Slowakei, von dem sie inspiriert sind. Denn in Bratislava (Pressburg) zerbrach man sich weitaus weniger den Kopf im Voraus als in Österreich. „Probieren geht über Studieren“, wurde hier zum obersten Prinzip gemacht. Dementsprechend groß waren das Chaos und die Kritik daran.
Es begann schon mit der Kurzfristigkeit: Am 17. Oktober (einem Samstag) präsentierte Ministerpräsident Igor Matovicˇ vor Journalisten die Idee, ohne auch nur seine Koalitionspartner vorab zu informieren. Präsidentin Zuzana Cˇaputova´ als formelle Oberbefehlshaberin der Armee, die die
Tests organisieren sollte, erfuhr vom Plan erst aus den Medien. Am Tag danach wurde an einem Sonntag eine Sondersitzung der Regierung einberufen, um den Plan formell abzusegnen. Und eine Woche später startete bereits eine Pilotphase in vier kleinen ländlichen Bezirken mit hoher Infektionsrate.
Gleich an den beiden nachfolgenden Wochenenden ab Allerheiligen wurde in nur zweimal zwei Tagen das ganze Land durchgetestet. Um einen Aufstand der Lokalbehörden zu verhindern, erlaubte die Regierung dem Landesdrittel mit besonders wenigen Infektionen in der ersten Runde, auf den zweiten Durchgang zu verzichten.
In weiten Teilen der Öffentlichkeit macht sich daher nicht das Gefühl breit, etwas Vorbildliches gemeinsam geschafft, sondern eher eine Art flächendeckenden Angriff heil überstanden zu haben. Für die meisten Zeitungskommentatoren sind die Massentests in der Slowakei inzwischen „eine Spinnerei von Igor Matovic,ˇ in die sich der Premier so vernarrt hat, dass er damit nicht mehr aufhören kann“.
Weitere Testwelle
Für den so kritisierten Premier selbst hingegen sind sie die größte Erfolgsstory seit Langem. Die von ihm persönlich präsentierte Idee diene nun als Vorbild für Nachahmer von Liverpool über Südtirol bis ins Nachbarland Österreich, rühmt sich der Gründer der Bewegung „Gewöhnliche Leute und Unabhängige Persönlichkeiten“.
Matovicˇ hat eine weitere Testwelle angekündigt. Der liberale Wirtschaftsminister Richard Sulik erhielt die Aufgabe, innerhalb kürzester Zeit 16 Millionen AntigenTests für die nächsten Massentests zu organisieren. Bis 2. Dezember soll die erste Tranche bereit sein, damit am darauffolgenden Wochenende wieder im ganzen Land getestet werden kann.
Schon in der ersten Runde habe man 38.000 positiv Getestete in Quarantäne geschickt, die sonst unentdeckt die Infektion weiterverbreitet hätten, bilanzierte Matovic.ˇ In der zweiten Runde sei der Anteil an positiv Getesteten mit 0,6 Prozent deutlich geringer ausgefallen als eine Woche zuvor – damals knapp über ein Prozent (genauer 1,06 Prozent). Das belege einen klaren Erfolg. In der zweiten, nur mehr fast landesweiten Runde wurden mehr als zwei Millionen Menschen nochmals getestet. Als positiv getestet in Quarantäne geschickt wurden davon 13.500 Personen. Zählt man die 5600 positiv Getesteten aus der Pilotphase Ende Oktober mit, konnten laut Regierung also insgesamt rund 57.000 Infizierte entdeckt werden.
Ein Rückgang an Infektionen sei mehr eine Folge der zum Großteil schon vor den Tests verfügten Ausgangsbeschränkungen und Restaurantschließungen, sagen hingegen viele Experten. Außerdem seien die Statistiken durch den Effekt der Massentests verzerrt, weil viele Menschen mit Coronaverdacht in den vergangenen Wochen nicht zu den PCR-Tests gegangen seien. Denn sie mussten ja ohnehin zum Massentest.
Bis Freitag bestätigten die slowakischen Gesundheitsbehörden (nach den international verglichenen PCR-Tests) 93.396 Fälle seit Ausbruch der Pandemie.
Nach Angaben des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) lag die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in der Slowakei binnen 14 Tagen am Freitag bei 419,1 und damit sogar leicht höher als der Wert vom 25. Oktober mit 403,7 – also vor den Massentests.