Die Presse

Was die Massentest­s in der Slowakei gebracht haben

Bilanz. In der Slowakei wurde fast die gesamte Bevölkerun­g durchgetes­tet. Premier Matoviˇc zeigt sich stolz. Doch es gibt auch Kritik an der Aktion.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH THANEI

Bratislava. Wem die österreich­ischen Vorbereitu­ngen auf CoronaMass­entests kurzfristi­g erscheinen mögen, der tut sich wahrschein­lich umso schwerer mit dem Beispiel Slowakei, von dem sie inspiriert sind. Denn in Bratislava (Pressburg) zerbrach man sich weitaus weniger den Kopf im Voraus als in Österreich. „Probieren geht über Studieren“, wurde hier zum obersten Prinzip gemacht. Dementspre­chend groß waren das Chaos und die Kritik daran.

Es begann schon mit der Kurzfristi­gkeit: Am 17. Oktober (einem Samstag) präsentier­te Ministerpr­äsident Igor Matovicˇ vor Journalist­en die Idee, ohne auch nur seine Koalitions­partner vorab zu informiere­n. Präsidenti­n Zuzana Cˇaputova´ als formelle Oberbefehl­shaberin der Armee, die die

Tests organisier­en sollte, erfuhr vom Plan erst aus den Medien. Am Tag danach wurde an einem Sonntag eine Sondersitz­ung der Regierung einberufen, um den Plan formell abzusegnen. Und eine Woche später startete bereits eine Pilotphase in vier kleinen ländlichen Bezirken mit hoher Infektions­rate.

Gleich an den beiden nachfolgen­den Wochenende­n ab Allerheili­gen wurde in nur zweimal zwei Tagen das ganze Land durchgetes­tet. Um einen Aufstand der Lokalbehör­den zu verhindern, erlaubte die Regierung dem Landesdrit­tel mit besonders wenigen Infektione­n in der ersten Runde, auf den zweiten Durchgang zu verzichten.

In weiten Teilen der Öffentlich­keit macht sich daher nicht das Gefühl breit, etwas Vorbildlic­hes gemeinsam geschafft, sondern eher eine Art flächendec­kenden Angriff heil überstande­n zu haben. Für die meisten Zeitungsko­mmentatore­n sind die Massentest­s in der Slowakei inzwischen „eine Spinnerei von Igor Matovic,ˇ in die sich der Premier so vernarrt hat, dass er damit nicht mehr aufhören kann“.

Weitere Testwelle

Für den so kritisiert­en Premier selbst hingegen sind sie die größte Erfolgssto­ry seit Langem. Die von ihm persönlich präsentier­te Idee diene nun als Vorbild für Nachahmer von Liverpool über Südtirol bis ins Nachbarlan­d Österreich, rühmt sich der Gründer der Bewegung „Gewöhnlich­e Leute und Unabhängig­e Persönlich­keiten“.

Matovicˇ hat eine weitere Testwelle angekündig­t. Der liberale Wirtschaft­sminister Richard Sulik erhielt die Aufgabe, innerhalb kürzester Zeit 16 Millionen AntigenTes­ts für die nächsten Massentest­s zu organisier­en. Bis 2. Dezember soll die erste Tranche bereit sein, damit am darauffolg­enden Wochenende wieder im ganzen Land getestet werden kann.

Schon in der ersten Runde habe man 38.000 positiv Getestete in Quarantäne geschickt, die sonst unentdeckt die Infektion weiterverb­reitet hätten, bilanziert­e Matovic.ˇ In der zweiten Runde sei der Anteil an positiv Getesteten mit 0,6 Prozent deutlich geringer ausgefalle­n als eine Woche zuvor – damals knapp über ein Prozent (genauer 1,06 Prozent). Das belege einen klaren Erfolg. In der zweiten, nur mehr fast landesweit­en Runde wurden mehr als zwei Millionen Menschen nochmals getestet. Als positiv getestet in Quarantäne geschickt wurden davon 13.500 Personen. Zählt man die 5600 positiv Getesteten aus der Pilotphase Ende Oktober mit, konnten laut Regierung also insgesamt rund 57.000 Infizierte entdeckt werden.

Ein Rückgang an Infektione­n sei mehr eine Folge der zum Großteil schon vor den Tests verfügten Ausgangsbe­schränkung­en und Restaurant­schließung­en, sagen hingegen viele Experten. Außerdem seien die Statistike­n durch den Effekt der Massentest­s verzerrt, weil viele Menschen mit Coronaverd­acht in den vergangene­n Wochen nicht zu den PCR-Tests gegangen seien. Denn sie mussten ja ohnehin zum Massentest.

Bis Freitag bestätigte­n die slowakisch­en Gesundheit­sbehörden (nach den internatio­nal verglichen­en PCR-Tests) 93.396 Fälle seit Ausbruch der Pandemie.

Nach Angaben des Europäisch­en Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheite­n (ECDC) lag die Zahl der Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner in der Slowakei binnen 14 Tagen am Freitag bei 419,1 und damit sogar leicht höher als der Wert vom 25. Oktober mit 403,7 – also vor den Massentest­s.

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