Die Presse

Anschober: An einem Wochenende alle testen

Massentest. Gesundheit­sminister Rudolf Anschober will die Gesamttest­ung der Bevölkerun­g an einem Wochenende durchziehe­n. Und er räumt ein: Es gebe immer noch zu wenige Contact Tracer.

- VON ULRIKE WEISER

Die Presse: Österreich galt lang als „First Mover“, jetzt sind wir ein Schlusslic­ht mit schlechten Zahlen. Wie konnte es so weit kommen?

Rudolf Anschober: Bis auf wenige Ausnahmen ist ganz Europa dramatisch betroffen. Im Wesentlich­en unterschei­det uns nur die zeitliche Verschiebu­ng: Einige Länder wie Tschechien hat es vor, einige nach uns getroffen.

Deutschlan­d hat bei niedrigere­n Zahlen gehandelt. Auch Sebastian Kurz ließ durchblick­en, dass er für einen früheren harten Lockdown war. Wollten Sie zuwarten? Nein. Wir haben auch nicht zugewartet, sondern zuerst ein Maßnahmenp­aket gegen die Kleinveran­staltungen und einen Teil-Lockdown realisiert. Als wir gemerkt haben, dass der nicht ausreicht – und davon waren auch alle Experten überrascht – waren wir uns sehr einig, dass es sehr schnell einen harten Lockdown braucht. Als letzte Chance für die intensivme­dizinische­n Kapazitäte­n.

Wenn man sich so einig war, was meint Kurz dann, wenn er sagt, er hätte gern früher gehandelt? Das müssen Sie ihn fragen. Natürlich will einmal der und einmal der andere schneller handeln, aber am Ende sind wir uns immer einig. Das zeichnet ein starkes Team aus.

Können Sie einen dritten harten Lockdown ausschließ­en?

Wer kann in Zeiten der Pandemie etwas ausschließ­en? Aber ich bin Optimist. Ich hoffe, dass wir es mit einer kontrollie­rten Öffnung bis zur Impfung schaffen. Wir arbeiten an Schutzmaßn­ahmen für eine kontrollie­rte, gesicherte Öffnung nach dem 6. 12. Die Zeit vor Weihnachte­n ist eine riskante Phase, allein wenn man an den 8. Dezember und die Einkaufssa­mstage denkt.

Wie sollen die denn ablaufen?

Wir arbeiten gerade daran. Zu den Maßnahmen für die Öffnung gehören auch ein Schutzkonz­ept der über 65-Jährigen, das Neuausroll­en der Stopp-Corona-App, der Ausbau des Contact Tracing und eben die Massentest­s.

Sie haben mir Ende Oktober im Rahmen eines Interviews gesagt, dass Sie von Massentest­s wie in der Slowakei nichts halten. Was hat sich seither geändert?

Punkt eins: Die Situation hat sich sehr zugespitzt. Punkt zwei: Ich war immer ein Freund der Ausweitung von Testungen. Wir erweitern seit einigen Wochen die Testungen und liegen pro Tag bei über 30.000. Gleichzeit­ig bauen wir die Screening-Testungen – etwa in den Altenheime­n – massiv aus. Mir sind drei Grundprinz­ipien bei den Massentest­ungen wichtig: Freiwillig­keit, Wiederholu­ng und eine gute Kommunikat­ion, die keine falschen Sicherheit­en schafft.

Zuerst testet man Zielgruppe­n, dann die Gesamtbevö­lkerung. Wie soll Letzteres ablaufen – geblockt an wenigen Tagen, oder zieht sich das über Wochen?

Wir sehen uns am Wochenende ganz genau das Organisati­onsmodell der Massentest­ungen in Südtirol an. Es scheint mir bisher das beste zu sein, also: geblockt an einem Wochenende mit vielen Testmöglic­hkeiten und einer starken Digitalisi­erung bei der Umsetzung, um Wartezeite­n zu vermeiden.

Experten sagen, Massentest­s müssten kontinuier­lich wiederholt werden. Angekündig­t sind zwei Tests der Gesamtbevö­lkerung. War es das?

Mein Ziel ist es vor allem, Tests generell zu erweitern und den Zugang kurz- bis mittelfris­tig niederschw­elliger und einfacher zu gestalten. Die jetzt geplanten Massentest­s dienen als Startschus­s für ein größeres Maßnahmenp­aket für eine gesicherte Öffnung nach dem 6. Dezember.

Ein Problem bei den hier eingesetzt­en Antigen-Tests sind falsch positive Ergebnisse bei Gesunden. Wird man diese mit PCRoder Lamp-Tests nachtesten? Schaffen die Labore das?

Das ist eines der zentralen Probleme. Daher werden wir bei positiven Ergebnisse­n nachtesten.

Wie verhindert man umgekehrt, dass Menschen einen negativen

Test als Persilsche­in sehen – immerhin übersehen die Tests Infizierte, und das Testergebn­is hat begrenzte Haltbarkei­t: heute gesund, morgen ansteckend.

Die Kommunikat­ion ist entscheide­nd. Ein negatives Testergebn­is heißt nicht, dass die Grundgebot­e – Maske, Abstand halten, Hygiene – außer Kraft gesetzt werden. Der Test trifft auch nur eine Aussage für den konkreten Tag, an dem der Test stattfinde­t. Die Chance der Massentest­s ist, dass wir Neuinfizie­rte erkennen und aus dem Infektions­zyklus holen.

Sie haben sieben Millionen Tests bestellt, bekommt man die auch? Und wenn man die Bevölkerun­g mehr als einmal testen will, braucht man dann nicht mindestens zehn Millionen Tests?

Aus heutiger Sicht kriegen wir sie. Aber natürlich gibt es einen unglaublic­hen weltweiten Run auf die Tests. Wenn viele große Länder in Europa jetzt mit Interesse auf die Slowakei und Südtirol blicken und etwas Ähnliches machen, müssen die Produzente­n zulegen.

Die Tests sind ja freiwillig. Auch in Südtirol sind sie das, dort gilt aber vonseiten der Arbeitgebe­r: Wer sich nicht testen lässt, muss ins Home-Office oder wird freigestel­lt. Wäre das denkbar?

Nein. Und meine Erfahrung von den Screenings ist auch: Gratistest­s lehnt kaum jemand ab, sofern es keine langen Wartezeite­n und keine langen Wege gibt.

Werden die Tests für Zielgruppe­n wie Lehrer freiwillig sein?

Die Konzeption wird derzeit vom Bildungsmi­nisterium erarbeitet.

Sie haben das Contact Tracing angesproch­en: Wie viel Personal braucht es denn österreich­weit, damit es funktionie­rt?

Derzeit sind rund 4000 Personen im Einsatz. Ich denke, die Lösung ist ein dynamische­s Modell so wie in Vorarlberg: Die haben 225 Personen im Einsatz, aber einen Zusatzpool von 180 Personen ausgebilde­t, die bei Bedarf einspringe­n.

Sind die 4000 nun genug?

Nein, etliche Länder müssen noch deutlich aufstocken. Und wir stellen eine Unterstütz­ung durch eine Bundesgrup­pe der Ages zur Verfügung. Aber das Wichtigste ist die Digitalisi­erung. Und je mehr Digitalisi­erung, desto erfolgreic­her werden wir.

Kommen wir zur Hacklerreg­elung. Im Sommer hieß es: Valide Daten zu ihrer Wirkung gebe es erst frühestens 2021. Warum wird sie jetzt schon abgeschaff­t?

Es spricht alles dafür, dass sich die Grundaussa­ge des ersten Halbjahres – etwa dass 7256 Männer und eine Frau die Regelung in Anspruch genommen haben –, nicht mehr dramatisch ändern wird. Die Langzeitve­rsicherten­regelung bleibt, wir kehren aber zurück zu der Regelung, die ein hervorrage­nder sozialdemo­kratischer Sozialmini­ster vor wenigen Jahren durchgeset­zt hat. Wir wollen durch eine frühere Entscheidu­ng für möglichst viel Planungssi­cherheit sorgen. Das Ziel der Neuregelun­g ist, die Lage der Frauen zu verbessern. Deren Pension liegt durchschni­ttlich etwas über tausend Euro, das ist eine Schande.

Wenn es um die Frauen geht, hätte man da nicht, wie die SPÖ sagt, auch Kindererzi­ehungszeit­en besser bewerten können?

Ja, aber unser Ansatz bekämpft Alters- und Frauenalte­rsarmut besser. Aber es wird weitere Schritte brauchen.

Was wurde aus der Idee, von sehr hohen Pensionen einen Solidarbei­trag für die Krise abzuführen? Wir werden im kommenden Jahr das gesamte Pensionssy­stem im Hinblick auf Gerechtigk­eit und Nachhaltig­keit analysiere­n.

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[ Clemens Fabry ] Warum deutet der Kanzler öfter an, er hätte gern früher einen harten Lockdown verhängt? „Das müssen Sie ihn fragen“, sagt Rudolf Anschober (Grüne).

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