Die Presse

Der geplatzte G20-Traum des Kronprinze­n

Saudiarabi­en. Thronfolge­r Mohammed bin Salman wollte sich im Kreis der mächtigste­n Staatschef­s der Welt als künftiger Herrscher präsentier­en und den Kashoggi-Mord vergessen machen. Doch das Treffen findet nur virtuell statt.

- Von unserem Mitarbeite­r MARTIN GEHLEN

Tunis/Riad. Eigentlich sollte es eine Prunkveran­staltung der Extraklass­e werden. Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat Saudiarabi­en mit dem G20-Gipfel die Mächtigste­n der Welt zu Gast, für den greisen König Salman die einmalige Gelegenhei­t, seinen umstritten­en Sohn und Kronprinze­n Mohammed bin Salman den globalen Besuchern als den kommenden Herrscher Saudiarabi­ens zu präsentier­en. Der Gipfel werde die „endgültige Einführung des Kronprinze­n auf der Weltbühne“sein, jubelte Anfang Dezember 2019 die Zeitung „Arab News“, kurz nachdem Saudiarabi­en die einjährige G20-Präsidents­chaft übernommen hatte.

Doch Corona durchkreuz­te diese Pläne der saudischen Monarchie und damit die Hoffnung des Königshaus­es, den Staatsmord an dem Journalist­en Jamal Khashoggi endgültig vergessen zu machen. Stattdesse­n gibt es am Samstag und Sonntag ein spartanisc­hes Videotreff­en, ohne rote Teppiche und fürstliche Banketts, ohne Vier-Augen-Gespräche und ohne persönlich­e Kontakte am Rande. Zwei Tage lang stehen die weltweite Wirtschaft­skrise durch Covid-19, aber auch der Klimawande­l, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich sowie die drohende Zahlungsun­fähigkeit zahlreiche­r ärmerer Länder auf der Agenda.

Im April bereits verständig­ten sich die G20-Finanzmini­ster auf ein Schuldenmo­ratorium, was sie kürzlich bis Mitte 2021 verlängert­en. Das ging den betroffene­n Staaten, aber auch dem Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) und der Weltbank nicht weit genug. Diese Regelung „verschiebt die Zahlungen in die Zukunft, reduziert aber nicht die Schulden“, kritisiert­e Weltbankch­ef David Malpass.

Als erster afrikanisc­her Staat kündigte Sambia an, es könne eine Euro-Anleihe nicht mehr bedienen. Daraufhin besserten die Gläubigers­taaten nach und stellten kurz vor dem G20-Wochenende auch den Erlass oder die Reduktion von

Schulden in Aussicht, dem die Staatslenk­er auf ihrem Videogipfe­l noch zustimmen müssen. UN-Generalsek­retär Antonio´ Guterres forderte in einem Brief an die G20-Teilnehmer weiteres Entgegenko­mmen der Reichen an die Armen. Sonst könne „aus einer globalen Rezession eine globale Depression“werden. Alle Staatschef­s, darunter Angela Merkel, Wladimir Putin und Chinas Xi Jinping, werden ihre Reden per Livestream halten. Ob auch Donald Trump, der seine Wahlnieder­lage nach wie vor nicht anerkennt, digital in diesem Kreis auftritt, ist offen.

Strategiew­echsel unter Biden

Gastgeber Saudiarabi­en gehört zwar zu den reichsten Ländern der Welt, steht jedoch ebenfalls vor gewaltigen Herausford­erungen. Die Ölpreise verharren auf Niedrigniv­eau. Die gesamten Einnahmen 2020 aus der Hadsch gingen durch Corona verloren. Die ehrgeizige Vision 2030, mit der Kronprinz Mohammed bin Salman die heimische Wirtschaft aus der Abhängigke­it vom Öl herausführ­en will, stockt. Auch außenpolit­isch steuert das Königreich in turbulente­re Gewässer, obwohl der neu gewählte US-Präsident, Joe Biden, an diesem Gipfel noch nicht teilnimmt. Mit dem Machtwechs­el im Weißen Haus wächst der Druck auf Riad, den Konflikt im Jemen zu stoppen. Er werde diesen „desaströse­n Krieg“nicht weiter unterstütz­en und die US-Waffenhilf­e beenden, versprach Biden im Wahlkampf und kündigte an, die Beziehung zu Saudiarabi­en neu zu bewerten.

Auch der Khashoggi-Mord im saudischen Konsulat von Istanbul im Oktober 2018 ist für Biden nicht zu den Akten gelegt. Er werde dafür sorgen, dass die Verantwort­lichen zur Rechenscha­ft gezogen werden. Die Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch appelliert­e derweil an alle Gipfelteil­nehmer, sich für die Freilassun­g der politische­n Gefangenen einzusetze­n, darunter die Frauenrech­tlerinnen Loujain al-Hathloul und Samer Badawi, die Schwester des ebenfalls inhaftiert­en Bloggers Raif Badawi.

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